Asylbewerber draußen lassen?
Innenminister Karner will Asylverfahren außerhalb der EU-Grenzen abwickeln. Die SN prüften nach, ob dies rechtlich und politisch möglich ist.
Die Idee ist nicht neu. Bereits im März 2017 plädierte Sebastian Kurz, damals Außenminister und noch nicht ÖVP-Chef, für „Flüchtlingszentren außerhalb der EU nach australischem Vorbild“. Wenige Wochen darauf präzisierte er: „Wer sich illegal auf den Weg macht, wird an der Außengrenze gestoppt, versorgt und zurückgestellt.“
Auf diesen Spuren wandelt nun Innenminister Gerhard Karner. In einem Interview mit der deutschen „Welt“und im Pressefoyer nach dem Ministerrat am Mittwoch bezeichnete er es als „gute Lösung“, würde die EU künftig Migrantinnen und Migranten „in Drittstaaten zurückschicken und dort ihre Asylanträge prüfen lassen“. Nur wer Anspruch auf Asyl habe, solle Schutz in der EU erhalten, sagte Karner. Die EU müsste im Gegenzug die Drittstaaten, in denen die Asylbewerber Aufnahme finden, wirtschaftlich unterstützen. Karner: „Dazu müssten aber einige europäische Gesetze geändert werden und klar muss auch sein: Diese Lösung kann nur kommen, wenn alle EU-Länder zustimmen.“
Bisher stimmt nicht einmal Karners grüner Koalitionspartner zu: „Einen Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien wird es mit uns nicht geben“, sagte die grüne Ministerin Leonore Gewessler beim gemeinsamen Medienauftritt mit Karner nach dem Ministerrat.
Was sind die Hintergründe der neu aufgeflammten Diskussion? Das australische Modell, auf das sich Kurz seinerzeit bezog und das offenkundig auch Karner vorschwebt, sieht vor, Asylbewerber nicht ins Zielland einzulassen. Vielmehr werden die Migranten seit 2013 in Internierungslager auf Nauru oder Papua-Neuguinea verbracht, um dort auf den Ausgang ihres Asylverfahrens zu warten. Die Zahl der Bootsflüchtlinge in Australien ging seither spürbar zurück, doch, so ein Sprecher des UNFlüchtlingshilfswerks (UNHCR) auf SN-Anfrage: „Dieses System bringt unermessliches Leid für die Flüchtlinge mit sich.“UNHCR-ÖsterreichChef Christoph Pinter lässt auf Twitter keinen Zweifel: „Die UNHCR-Position (zu Karners Vorschlag) ist ganz klar: Die Auslagerung von Asylverpflichtungen an
Drittstaaten ist keine tragfähige Lösung“, schrieb er.
Karner bezog sich in seinem „Welt“-Interview auch auf das neue britische System. Die Regierung Johnson hat kürzlich ein Abkommen mit Ruanda geschlossen, dem zufolge illegal eingereiste Migranten in das ostafrikanische Land verbracht werden. Dort können sie einen Asylantrag stellen und im Erfolgsfall in Ruanda bleiben, das dafür von der britischen Regierung unterstützt wird. Dieses System ist hoch umstritten und wird wohl vor der britischen Gerichtsbarkeit landen. Stellungnahme des UNHCR: Das Vereinigte Königreich „unterminiert die internationalen Gesetze und Praktiken zum Flüchtlingsschutz“.
Auch auf Dänemark nahm Karner in seinem Interview Bezug. Das dortige Parlament beschloss soeben ein Gesetz, das Asylzentren in anderen Ländern möglich macht. Damit können, berichtet die APA, die Behörden Asylbewerber in Drittländer
fliegen, wo sie darauf warten müssen, dass ihr Antrag in Dänemark behandelt wird.
Mit EU-Recht ist Karners Vorstoß derzeit nicht vereinbar. Die EU-Aufnahmerichtlinie legt fest, dass sich Asylbewerber „im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats aufhalten“dürfen, „solange ihr Antrag zur Entscheidung anhängig ist oder geprüft wird“. Sinngemäß das Gleiche legt die EU-Verfahrensrichtlinie fest. Dänemark „beteiligt sich nicht an der Annahme“der beiden Richtlinien, was es dem dänischen Parlament ermöglichte, den vorhin erwähnten Beschluss zu fassen. In der EU-Grundrechtecharta heißt es: „Niemand darf in einen Staat abgeschoben (...) werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“Wie dies im Einklang mit den Zuständen in allfälligen afrikanischen Asylzentren steht, ist eine offene Frage.