Ein Soundtrack, den der Krieg zerrissen hat
Popsängerin aus der Ukraine gastiert in Salzburg und sammelt Geld für ihre Heimat: Sie will kein Mitleid, sondern Waffen.
SALZBURG. Khrystyna Soloviy gehört mit ein paar Hundert Millionen Zugriffen auf Streamingplattformen zu den erfolgreichsten Popsängerinnen der Ukraine. Derzeit ist die 29-Jährige in Europa auf Tour, um Geld für ihre Heimat zu sammeln. Am Freitag gastiert sie im Salzburger Jazzit (Eintritt gegen freiwillige Spende).
SN: Frau Soloviy, wie ist die Situation in Ihrer Heimat Lwiw? Soloviy: Meine Familie ist in Gefahr, das sind wir alle in der Ukraine. Wir leben in der Schusslinie. Ich machte eine kurze Pause von meiner Charity-Tour, kehrte für eine Woche nach Lwiw zurück und während dieser Zeit gab es Raketenangriffe.
SN: Wie schwer ist es im Moment, nicht in Ihrer Heimat zu sein?
Es ist schwierig für mich, und diese Schwierigkeit ist dauerhaft. Ich tue, was ich am besten kann, sozusagen an meiner eigenen Front kämpfen. Das Schwierigste ist jedoch, wenn Ausländer auf mich zukommen und anfangen, ihr Beileid und ihr Bedauern auszudrücken. Sie denken, dass sie so unterstützend sind, aber es fällt mir schwer, ohne Tränen zuzuhören. Ich hasse es, bemitleidet zu werden, und ich möchte nicht, dass mein Volk nur ein Opfer ist. Gebt uns Waffen und helft uns zu gewinnen!
SN: Fühlen Sie sich im Moment denn auch als eine Botschafterin Ihres Landes?
Natürlich habe ich das Gefühl, dass ich mein Land jedes Mal vertrete, wenn ich auf die Bühne gehe und zu Hilfe für die Ukraine aufrufe. Es ist mir wichtig, dass sich Ausländer in ein ukrainisches Lied, die ukrainische Sprache, verlieben. Das ist unsere Identität, unser großer Wert, den Europa und die ganze Welt gerade kennenlernen.
SN: Hierzulande ist Popmusik aus der Ukraine nur bekannt, wenn sie beim Songcontest auftaucht. Wie würden Sie
Ihre eigene Musik beschreiben? Meine Musik stammt aus den Karpaten von Lemko, aber es ist mir wichtig, mich als Musikerin weiterzuentwickeln, und ich wende mich oft an diejenigen, die für mich ukrainische Musik geschaffen haben. Ich wurde in eine Familie von Chorleitern hineingeboren, was einen großen Einfluss auf meine Arbeit hatte.
SN: Stimmt es, dass Sie mit dem ESC-Sieger Kalush Orchestra auch schon zusammengearbeitet haben, und was bedeutete der Sieg beim
ESC in Ihrer Heimat?
Ja, wir haben ein Lied zusammen. Wir haben es letzten Sommer geschrieben, es heißt „Taxi“. Die Ukraine versteht den Sieg beim Eurovision Song Contest als ihren eigenen. Ich hatte die Ehre, Mitglied der nationalen Jury von Eurovision zu sein und die Teilnehmer anderer Länder zu bewerten, in denen Musiker eine besser entwickelte Infrastruktur des Showbusiness haben. Mir wurde klar, dass dies für unsere Musiker eine echte Chance ist, die europäische Arena zu betreten und gehört zu werden.
SN: Was sind Wurzeln Ihrer Musik?
Die Wurzeln meiner Musik liegen in der Ukraine und in meinem Ukrainisch-Sein habe ich einen sehr starken Kern gefunden. Ich bin froh, diese Gabe zu haben – das, was ich erlebt und gefühlt habe, in Songs zu verwandeln, die auch bei meinen Zuhörern ankommen. Die Songs sind die Soundtracks meines Lebens.
SN: Ihre eigene Volksgruppe, die Lemken, erlebten 1947 eine Vertreibung. Welchen Einfluss hat diese Geschichte auf Ihre Familie?
In meiner Familie war ich die Erste, die diese Geschichte so akribisch aufgearbeitet hat und damit auch die Lemko-Lieder. Ich nenne es nichts anderes als den Ruf der Ahnen. Und mit ihrer Hilfe erschaffe ich jetzt meine Musik.
SN: Ein neuer Song heißt „Ich bringe Frieden“. Sie haben ihn kurz vor dem russischen Angriff veröffentlicht.
Für mich ist das einer der härtesten Songs. Am Vorabend der Invasion fühlte ich mich unruhig, was mir den Anstoß gab, Musik zu schreiben. Es ist ein Traumlied. Ich träume von Frieden. Und ich widme es jedem, der zu den Waffen greift, um das Existenzrecht der Ukrainer zu verteidigen.
SN: Sie veröffentlichen im Moment ein vierteiliges, neues Album. Wie sehr wirkt sich der Krieg dabei thematisch aus?
Der Krieg teilte mein Leben in ein Vorher und Nachher. Ich weiß nicht, ob ich die nächsten Teile veröffentlichen werde, denn ich bin nicht, was ich am Anfang dieses Albums war.
SN: Aufgenommen haben
Sie vor ein paar Wochen auch eine Version von „Bella Ciao“, einem Klassiker des Protestsongs. Welche Rolle kann
Musik in einem Krieg spielen? Kann ein Lied den Krieg beenden? Unwahrscheinlich. Aber wir haben jetzt viele Lieder, die unsere Stimmung heben, uns noch mehr vereinen und uns die Kraft geben, bis zum letzten Blutstropfen um unser Leben, für unser Land zu kämpfen.
SN: Wie beurteilen Sie die Politik der Europäischen Union in Hinblick auf den Krieg?
Was wünschen Sie sich?
Die EU als Ganzes unterstützt uns auf jeden Fall: Sanktionen, Hilfe, Solidarität, Flüchtlinge, Geld. Ich möchte, dass westliche Politiker den Fluss der Euro-Währung für Energie nach Russland stoppen. Mit diesem Geld finanziert Russland den Krieg und tötet Ukrainer, zerstört unsere Städte, unsere Träume, unser Potenzial, unsere Kultur.
SN: Von Musik wird gern behauptet, dass sie Brücken bauen könne – lassen sich mit Musik aber in so einer Kriegssituation auch Brücken nach Russland bauen?
Mir kocht das Blut bei dieser Frage. Ich bin überrascht, dass man das sagen kann, ohne den Kontext dessen zu erkennen, was Russland ist. Sie sehen Russland als etwas, mit dem Sie einen Dialog führen können. Russland ist eine Idee des Bösen. Das ist die Idee des Imperiums. Schauen Sie sich die Karte an – das sind ein riesiges kolonisiertes Land und fast 200 eroberte Nationalitäten. Wie könnte dies ohne Übel und Unheil erreicht werden? Wie viele Völker Russlands kennen Sie außer den Russen? Was wissen Sie über ihre Kultur? Europäer glauben, dass alles östlich von Polen russisch ist. Dank dieses Kriegs ist es uns Ukrainern endlich gelungen, der Welt zu erklären, dass wir keine Russen sind. Die russische Kultur, mit der Sie in Europa so eng verbunden sind, ist eine Ästhetisierung des Rassismus, eine Ästhetisierung des Bösen, die die Authentizität von Hunderten von Nationen zerstört hat.
Mit Dank für die Übersetzung aus dem Ukrainischen an Mariia Soliak.