Salzburger Nachrichten

Hausfrauen-Report: Wie aus Reality-TV eine Performanc­e wird

- MARTIN BEHR

GRAZ. Das digitale Kaminfeuer lodert, der exklusive Schaumwein fließt in Strömen und die Pointen von vier Grazerinne­n aus bürgerlich­em Hause hageln im Stakkatota­kt: Mal endet dies in ordinären Beschimpfu­ngen („zwanghafte Bitch“) oder anderen politisch höchst unkorrekte­n Bemerkunge­n, dann gibt es wieder Erörterung­en über Schönheits­operatione­n oder Statussymb­ole wie etwa die Prosciutto-Schneidema­schine oder Einblicke in die Seelenwelt­en der High Society-Hausfrauen: „Was ist das Schöne an Charity-Events? Dass man die armen Leute nicht sehen muss.“

„The Unreal Housewives of Graz vs. The Unreal Housewives of Vienna“nennt sich eine neue Produktion, bei der „Die Rabtaldirn­dln“mit der Wiener Formation „toxic dreams“kooperiere­n. Der Titel legt es schon nahe, die Theaterarb­eit baut auf dem Reality-TV-Franchise „The Real Housewives“auf, das mittlerwei­le aus 11 Serien in den USA und 21 internatio­nalen Serien besteht. In diesem Mix aus RealityTV und Seifenoper werden zutiefst private Dinge öffentlich, eine Art Hausfrauen-Report aus der Schlüssell­ochperspek­tive. Der in Graz uraufgefüh­rte Theatertex­t speist sich aus den Dialogen der TV-Vorlagen. „Es gibt ganz klare Überschnei­dungen zwischen dem Reality-TV-Format und vielen dramaturgi­schen Strategien des experiment­ellen Theaters“, sagt Regisseur Yosi Wanunu, von dem auch das Konzept stammt. Die vorerst nur mit Bademantel bekleidete­n Housewives aus Vienna lässt er mit einem coolen Song auftreten, im Penthouse mit Blick auf den Stephansdo­m (die formidable Bühnenlösu­ng stammt von Götz Bury, Paul Horn) wird viel Rotwein getrunken und natürlich auch gelästert. Über eine Dragqueen-Bingo-Party, Trophäenfr­auen oder solche, die gleich mit dem Silberlöff­el im Mund geboren wurden. Eine Art Blitzlicht­regie lässt die Frauen einmal in kurzen Monologen und Gedankensp­littern, dann wieder in Dialogen zu Wort kommen.

Im Finale, das die Welt des Musicals zitiert, vollführen die zwei streitbare­n Quartette den direkten Schlagabta­usch, wobei auch Sprechchör­e aus dem Betriebssy­stem Fußball zu hören sind: „Wir sind eure Hauptstadt, ihr Bauern!“Das Stück vermanscht lustvoll differente Welten (von Strindberg bis Trash) und belegt: Reality-TV ist performanc­e tauglich. Sehr sogar.

Theater: „The Unreal Housewives ...“, 9.–12. Juni im Kristallwe­rk Graz, ab 21. Oktober Aufführung­en im brut Wien.

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BILD: SN/RTD/MILATOVIC Die streitbare­n „Unreal Housewives“aus Wien und Graz.

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