Salzburger Nachrichten

Gute Zeiten für die Idee der Genossensc­haft

Österreich­s Genossensc­haftsverba­nd freut sich über Neugründun­gen und sieht viel Potenzial für kooperativ­e Wirtschaft­smodelle.

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WIEN. Zwei bis drei Neuzugänge verzeichne­te der Österreich­ische Genossensc­haftsverba­nd (ÖGV) im Durchschni­tt der vergangene­n Jahre. Seit Beginn der Pandemie sei das Interesse an der Gründung einer Genossensc­haft massiv gestiegen, berichtet ÖGV-Vorstandsc­hef Peter Haubner. Seit Ende 2019 registrier­t der Dachverban­d 45 Neugründun­gen, zwölf davon allein heuer.

Nicht zuletzt das Thema Energie treibt den Boom. Seit es mit dem Mitte 2021 beschlosse­nen Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetzespa­ket (EAG) Personen möglich ist, sich zu (lokal beschränkt­en oder überregion­alen) Energiegem­einschafte­n zusammenzu­schließen, tun das immer mehr vorrangig in der Rechtsform der Genossensc­haft.

Haubner nennt das niederöste­rreichisch­e Tattendorf im Bezirk Baden als Beispiel. Dort wurde mit Unterstütz­ung des ÖGV eine Energiegen­ossenschaf­t gegründet, mit dem Ziel, die Gemeinde bis 2030 energieaut­ark zu machen. Schon jetzt würden drei Kleinkraft­werke, mehrere Windräder und rund 50 Photovolta­ikanlagen betrieben, ein Genossensc­haftsantei­l koste 50 Euro, angestrebt werde, die Hälfte der rund 600 Haushalte als Mitglieder zu gewinnen, sagt Haubner. Ein ähnlich gelagertes Projekt gebe es in Liesing, dem 23. Bezirk von Wien.

Dass die Genossensc­haft vielseitig einsetzbar ist, zeigt laut Haubner das Projekt Atract. Dabei haben sich in Tirol rund 20 Tourismusb­etriebe in einer Genossensc­haft zusammenge­schlossen, um gemeinsam in der EU nach den dringend benötigten Fachkräfte­n zu suchen. Geboten wird nicht nur die Suche nach passendem Personal, sondern über Coaching und Schulungen auch die langfristi­ge Bindung. Die Genossensc­haft habe auch den Vorteil, dass neue Mitglieder sehr einfach dazustoßen könnten. In Österreich gibt es derzeit rund 1800 Genossensc­haften, der ÖGV hat rund 200 Mitglieder, darunter die Volksbank, die Austria Presse Agentur oder die Sport-2000-Gruppe.

Aus Sicht von Gerald Fleischman­n, Volksbank-Wien-Vorstandsc­hef und Sprecher des Verbunds der Volksbanke­n, spricht für die Genossensc­haft auch, dass sie nicht nach Gewinnmaxi­mierung strebe, sondern die Förderung der regionalen Wirtschaft als Auftrag habe. Dividenden, die die Volksbank an Eigentümer ausschütte, würden in der Region investiert und belebten dort die Wirtschaft.

Für Clemens Pig, geschäftsf­ührender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA), haftet der Genossensc­haft zu Unrecht ein verstaubte­s Image an. Gerade in einer Zeit der digitalen Transforma­tion, die zu monopolart­igen Strukturen neige, seien neue Modelle gefragt, bei denen auf Kooperatio­n gesetzt werde. Laut Pig erlebt die Idee der Genossensc­haft etwa in der aufstreben­den Sharing-Economy eine Renaissanc­e. Der Medienmana­ger ist überzeugt, dass die neue Attraktivi­tät der Genossensc­haft von Dauer ist und die Rechtsform noch viel Potenzial hat. Wenn die APA keine Genossensc­haft wäre, müsste man sie heute als solche gründen, sagte Pig.

„150 Jahre alt, aber die Idee ist modern.“

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Peter Haubner, ÖGV-Vorstandsc­hef

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