EZB läutet Wende der Geldpolitik ein – im Juli werden die Zinsen erhöht
Die historisch hohe Inflation zwingt die EZB, zu handeln: Sie erhöht die Zinsen und beendet die Wertpapierkäufe.
AMSTERDAM. Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag beschlossen, die Ankäufe von Wertpapieren zu beenden und bei ihrem Treffen am 21. Juli die Leitzinsen in der Eurozone um einen Viertelprozentpunkt zu erhöhen. Und sie hat sich auf einen nächsten Zinsschritt im September festgelegt. Der könnte bei anhaltend hoher Inflation auch einen halben Prozentpunkt betragen. Danach sollen die Zinsen allmählich steigen, um die Inflation mittelfristig auf zwei Prozent zu senken. Die Reaktionen fielen gemischt aus, der EZB wird weiter vorgeworfen, die Zinswende zu spät eingeleitet zu haben.
Die Europäische Zentralbank (EZB) beseitigte am Donnerstag die letzten Zweifel, ob und wann es in der Eurozone zur Wende in der Geldpolitik kommt. Der Gouverneursrat fasste zwei Beschlüsse, die das Ende der jahrelangen Phase von Null- und Negativzinsen bedeuten. Der Ankauf von Wertpapieren wird gestoppt, die Leitzinsen werden erhöht. Die letzte Zinserhöhung liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück, sie fand im Juli 2011 statt, danach ging es nur mehr bergab.
Ab 1. Juli wird die Zentralbank im Rahmen des regulären Programms APP (Asset Purchase Programme) keine Wertpapiere mehr ankaufen. Sie wird allerdings die Rückzahlungen auslaufender Wertpapiere noch einige Zeit über das Datum hinaus investieren, ab dem die Zinsen erhöht werden. Und auch dafür gibt es nunmehr eine Festlegung.
Beim Treffen des EZB-Gouverneursrats am 21. Juli werden alle drei Leitzinssätze der EZB um 0,25 Prozentpunkte erhöht. Damit steigt der wichtigste Leitzins, der seit März 2016 bei 0,0 Prozent stehende Hauptrefinanzierungssatz (zu diesem können sich Banken bis zu eine Woche Geld von der EZB leihen), auf 0,25 Prozent. Für Geld, das Banken sich für einen Tag leihen, sind dann 0,5 Prozent zu zahlen. Im Gegenzug halbiert sich der negative Zinssatz, den Banken derzeit zahlen, wenn sie Geld bei der EZB über Nacht hinterlegen, auf 0,25 Prozent.
Die EZB-Präsidentin machte allerdings klar, dass es nicht bei dieser einen Zinserhöhung bleiben wird. „Das ist ein wichtiger erster Schritt, aber damit beginnt eine Reise.“Bereits fixiert ist eine weitere Zinserhöhung im September. Die könnte aber, wenn der mittelfristige Inflationsausblick anhält oder sich weiter verschlechtert, höher ausfallen als im Juli, sagte Lagarde, und 0,5 Prozentpunkte betragen. Auf die Frage, warum die EZB angesichts der rekordhohen Inflation ihre Leitzinssätze nicht bereits im Juli um einen halben Prozentpunkt erhöht, verwies Lagarde auf die lange Phase extrem niedriger Zinsen. Es habe elf Jahre lang keine Erhöhung und danach negative Zinsen gegeben. Es sei gute Praxis von Notenbanken, nach so einer Phase moderat zu starten. „Wir wollen auch beobachten, wie die Märkte die Entscheidung aufnehmen“, sagte Lagarde.
Kurzfristig gab es einen Anstieg der Renditen europäischer Staatsanleihen, die Aktienkurse an der Deutschen Börse gaben nach.
Was die Wirkung der geldpoli- tischen Wende für die massive Teuerung betrifft, war die EZBPräsidentin bemüht, keine falschen Hoffnungen zu wecken. „Die Zinserhöhung wird keinen unmittelbaren Effekt auf die Inflation haben“, werde sich aber auf die Finanzierungsbedingungen auswirken. Soll heißen, Kredite, die Banken vergeben, werden sich verteuern. Für Sparer gibt es hingegen die Aussicht, dass ihnen für Einlagen wieder Zinsen gutgeschrieben werden. Wegen der hohen Inflation wird die Realverzinsung aber noch länger negativ bleiben. Lagarde zeigte sich zuversichtlich, dass die Zinssignale ihre Wirkung bei den Verbrauchern nicht verfehlen. Die vertrauten noch immer darauf, dass die Inflation mittelfristig zum 2-Prozent-Ziel der EZB zurückkehrt. Die Inflationserwartungen seien also immer noch gut verankert, und das sollten sie auch bleiben, sagte Lagarde, „weil wir liefern werden“. Sie verwies auch darauf, dass sämtliche Beschlüsse nach einer „produktiven Diskussion“im EZBRat einstimmig gefallen seien.
In der EZB erwartet man für heuer in der Eurozone 6,8 Prozent Inflation, sie sollte 2023 auf 3,5 Prozent sinken und im Jahr darauf mit 2,1 Prozent hauchdünn über dem EZB-Ziel liegen.
Lagarde sagte, dass die russische Aggression gegenüber der Ukraine weiter auf Europas Wirtschaft laste. Sie führe zu Unterbrechungen im Handel und Engpässen bei Materialien und trage zu den hohen Energie- und Rohstoffpreisen bei. Das belaste das Vertrauen und dämpfe vor allem kurzfristig das Wachstum. Allerdings könne man davon ausgehen, dass die Konjunktur wieder stärker anspringe, wenn der Gegenwind sich abschwäche. Für heuer rechnen die Ökonominnen und Ökonomen der EZB mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung im Euroraum um 2,8 Prozent und jeweils 2,1 Prozent in den beiden Folgejahren.
„Das ist ein wichtiger erster Schritt. Aber es ist der Beginn einer Reise.“
Christine Lagarde, EZB-Präsidentin