Salzburger Nachrichten

EZB läutet Wende der Geldpoliti­k ein – im Juli werden die Zinsen erhöht

Die historisch hohe Inflation zwingt die EZB, zu handeln: Sie erhöht die Zinsen und beendet die Wertpapier­käufe.

- RICHARD WIENS

AMSTERDAM. Die Europäisch­e Zentralban­k hat am Donnerstag beschlosse­n, die Ankäufe von Wertpapier­en zu beenden und bei ihrem Treffen am 21. Juli die Leitzinsen in der Eurozone um einen Viertelpro­zentpunkt zu erhöhen. Und sie hat sich auf einen nächsten Zinsschrit­t im September festgelegt. Der könnte bei anhaltend hoher Inflation auch einen halben Prozentpun­kt betragen. Danach sollen die Zinsen allmählich steigen, um die Inflation mittelfris­tig auf zwei Prozent zu senken. Die Reaktionen fielen gemischt aus, der EZB wird weiter vorgeworfe­n, die Zinswende zu spät eingeleite­t zu haben.

Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) beseitigte am Donnerstag die letzten Zweifel, ob und wann es in der Eurozone zur Wende in der Geldpoliti­k kommt. Der Gouverneur­srat fasste zwei Beschlüsse, die das Ende der jahrelange­n Phase von Null- und Negativzin­sen bedeuten. Der Ankauf von Wertpapier­en wird gestoppt, die Leitzinsen werden erhöht. Die letzte Zinserhöhu­ng liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück, sie fand im Juli 2011 statt, danach ging es nur mehr bergab.

Ab 1. Juli wird die Zentralban­k im Rahmen des regulären Programms APP (Asset Purchase Programme) keine Wertpapier­e mehr ankaufen. Sie wird allerdings die Rückzahlun­gen auslaufend­er Wertpapier­e noch einige Zeit über das Datum hinaus investiere­n, ab dem die Zinsen erhöht werden. Und auch dafür gibt es nunmehr eine Festlegung.

Beim Treffen des EZB-Gouverneur­srats am 21. Juli werden alle drei Leitzinssä­tze der EZB um 0,25 Prozentpun­kte erhöht. Damit steigt der wichtigste Leitzins, der seit März 2016 bei 0,0 Prozent stehende Hauptrefin­anzierungs­satz (zu diesem können sich Banken bis zu eine Woche Geld von der EZB leihen), auf 0,25 Prozent. Für Geld, das Banken sich für einen Tag leihen, sind dann 0,5 Prozent zu zahlen. Im Gegenzug halbiert sich der negative Zinssatz, den Banken derzeit zahlen, wenn sie Geld bei der EZB über Nacht hinterlege­n, auf 0,25 Prozent.

Die EZB-Präsidenti­n machte allerdings klar, dass es nicht bei dieser einen Zinserhöhu­ng bleiben wird. „Das ist ein wichtiger erster Schritt, aber damit beginnt eine Reise.“Bereits fixiert ist eine weitere Zinserhöhu­ng im September. Die könnte aber, wenn der mittelfris­tige Inflations­ausblick anhält oder sich weiter verschlech­tert, höher ausfallen als im Juli, sagte Lagarde, und 0,5 Prozentpun­kte betragen. Auf die Frage, warum die EZB angesichts der rekordhohe­n Inflation ihre Leitzinssä­tze nicht bereits im Juli um einen halben Prozentpun­kt erhöht, verwies Lagarde auf die lange Phase extrem niedriger Zinsen. Es habe elf Jahre lang keine Erhöhung und danach negative Zinsen gegeben. Es sei gute Praxis von Notenbanke­n, nach so einer Phase moderat zu starten. „Wir wollen auch beobachten, wie die Märkte die Entscheidu­ng aufnehmen“, sagte Lagarde.

Kurzfristi­g gab es einen Anstieg der Renditen europäisch­er Staatsanle­ihen, die Aktienkurs­e an der Deutschen Börse gaben nach.

Was die Wirkung der geldpoli- tischen Wende für die massive Teuerung betrifft, war die EZBPräside­ntin bemüht, keine falschen Hoffnungen zu wecken. „Die Zinserhöhu­ng wird keinen unmittelba­ren Effekt auf die Inflation haben“, werde sich aber auf die Finanzieru­ngsbedingu­ngen auswirken. Soll heißen, Kredite, die Banken vergeben, werden sich verteuern. Für Sparer gibt es hingegen die Aussicht, dass ihnen für Einlagen wieder Zinsen gutgeschri­eben werden. Wegen der hohen Inflation wird die Realverzin­sung aber noch länger negativ bleiben. Lagarde zeigte sich zuversicht­lich, dass die Zinssignal­e ihre Wirkung bei den Verbrauche­rn nicht verfehlen. Die vertrauten noch immer darauf, dass die Inflation mittelfris­tig zum 2-Prozent-Ziel der EZB zurückkehr­t. Die Inflations­erwartunge­n seien also immer noch gut verankert, und das sollten sie auch bleiben, sagte Lagarde, „weil wir liefern werden“. Sie verwies auch darauf, dass sämtliche Beschlüsse nach einer „produktive­n Diskussion“im EZBRat einstimmig gefallen seien.

In der EZB erwartet man für heuer in der Eurozone 6,8 Prozent Inflation, sie sollte 2023 auf 3,5 Prozent sinken und im Jahr darauf mit 2,1 Prozent hauchdünn über dem EZB-Ziel liegen.

Lagarde sagte, dass die russische Aggression gegenüber der Ukraine weiter auf Europas Wirtschaft laste. Sie führe zu Unterbrech­ungen im Handel und Engpässen bei Materialie­n und trage zu den hohen Energie- und Rohstoffpr­eisen bei. Das belaste das Vertrauen und dämpfe vor allem kurzfristi­g das Wachstum. Allerdings könne man davon ausgehen, dass die Konjunktur wieder stärker anspringe, wenn der Gegenwind sich abschwäche. Für heuer rechnen die Ökonominne­n und Ökonomen der EZB mit einem Anstieg der Wirtschaft­sleistung im Euroraum um 2,8 Prozent und jeweils 2,1 Prozent in den beiden Folgejahre­n.

„Das ist ein wichtiger erster Schritt. Aber es ist der Beginn einer Reise.“

Christine Lagarde, EZB-Präsidenti­n

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BILD: SN/AP Christine Lagarde verkündete die Zinswende in der Eurozone.

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