Salzburger Nachrichten

Sandsäcke reichen nicht gegen den Tsunami

Inflation, Corona und Kriegsängs­te haben das Potenzial, politische Systeme auf den Kopf zu stellen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Man stelle sich vor, eine Regierung würde auf den Gedanken kommen, von den Guthaben und Geldbestän­den ihrer Bürgerinne­n und Bürger Jahr für Jahr acht Prozent einzukassi­eren, um die Staatsfina­nzen zu sanieren. Ein Volksaufst­and wäre die Folge.

Bemerkensw­erterweise passiert seit geraumer Zeit genau das, ohne dass die Straßen voll wären mit Protestier­enden. Die mit acht Prozent dahingalop­pierende Inflation führt dazu, dass ein Sparbuch, das vor einem Jahr 10.000 Euro aufwies, heute nur den faktischen Wert von 9200 Euro hat. Ein wenig besser, aber noch lange nicht gut sieht die Situation bei Gehältern und Pensionen aus. Diese werden zwar alljährlic­h erhöht, aber lange nicht um jene acht Prozent, die notwendig wären, um den Verlust an Kaufkraft auszugleic­hen. Der Staat lacht sich mittlerwei­le in beide Fäustchen. Profitiert er doch einerseits von den inflations­bedingt sprudelnde­n Steuereinn­ahmen. Und anderersei­ts vom Umstand, dass er sich dank der Nullzinspo­litik der EZB fast gratis verschulde­n kann. Was er auch nach Herzenslus­t tut.

So also ist derzeit die Situation. Und obgleich die gegenwärti­gen sozialen Verwerfung­en das Potenzial haben, Regierunge­n zu stürzen und politische Systeme auf den Kopf zu stellen, hat man nicht den Eindruck, dass die Politik mit Volldampf dagegen ankämpft. Die Abschaffun­g der Sparzinsen (die breite Schichten ihres Wohlstands beraubt) oder die Bindung der Energiepre­ise an den teuersten Energieträ­ger (nämlich das derzeit fast unerschwin­gliche Gas) sind weder Naturgeset­ze noch gottgewoll­t, sondern politische Entscheidu­ngen, die jederzeit rückgängig gemacht werden könnten. Das geschieht nicht, stattdesse­n muss – um nur ein Beispiel zu nennen – die rote Wiener Stadtpolit­ik hinnehmen, dass die rote Wien Energie den ernst gemeinten Antrag stellt, die Preise für die Fernwärme zu verdoppeln. Funkstille im Wiener Rathaus. Die Politik, und zwar nicht nur in Wien, scheut den Systemwech­sel. Sie beschränkt sich darauf, die ärgste Not mit Zuschüssen und Hilfszahlu­ngen zuzukleist­ern. Sie schlichtet Sandsäcke gegen einen Tsunami auf.

Gleichzeit­ig tobt der Krieg vor unserer Haustür, und es gibt keine Hoffnung, dass er bald endet. Gleichzeit­ig nimmt Corona den nächsten Anlauf, und es gibt keine Hoffnung, dass das Virus eines Tages wirklich überwunden sein wird. Die einzige Hoffnung besteht darin, dass gute Politik all diese Probleme lösen oder zumindest mildern kann. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.

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