Ein König auf heikler Mission
Das Staatsoberhaupt Belgiens findet in Afrika wichtige Worte für „Kongo-Gräuel“und Kolonialsystem.
SYLVIA WÖRGETTER
BRÜSSEL, KINSHASA. Allein die lange Dauer dieses Staatsbesuchs ist ungewöhnlich: Sieben Tage weilt König Philippe in der Demokratischen Republik Kongo. Begleitet wird der belgische Monarch von seiner Frau Mathilde, Premierminister Alexander De Croo und mehreren Kabinettsmitgliedern. Die Visite auf Einladung von Präsident Félix Tshisekedi ist Teil einer erst in den letzten Jahren in Gang gekommenen Vergangenheitsbewältigung. Es geht um Belgiens Kolonialherrschaft in Westafrika von 1885 bis 1960, um die Ermordung des ersten frei gewählten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba – und um die Beisetzung dessen einzigen sterblichen Überrests: eines Zahns.
Philippe spielt eine wichtige Rolle bei der Aussöhnung mit dem riesigen afrikanischen Staat, auf dessen Gebiet vor allem unter der Herrschaft seines Vorfahren Leopold II. schreckliche Grausamkeiten begangen worden waren. In seiner Rede vor dem Parlament in der Hauptstadt Kinshasa drückte Philippe am Mittwoch nicht nur sein „tiefstes Bedauern für die Wunden aus der Vergangenheit“aus. Er verurteilte auch das Kolonialsystem an sich. „Dieses basierte auf Ausbeutung und Beherrschung“, sagte er. Auch wenn viele Belgier im Kongo ihr Bestes gegeben und das Land geliebt hätten, „stützte sich das Regime auf eine an sich nicht zu rechtfertigende Haltung von Ungleichheit. Es war durch Paternalismus, Diskriminierung und Rassismus gekennzeichnet und gab Anleitung zu Untaten und Erniedrigungen.“
So deutliche Worte hatte noch kein Repräsentant der ehemaligen Kolonialmacht gefunden. Doch ein Wort vermied auch Philippe: „Entschuldigung“. Ein offizielles Schuldeingeständnis könnte Reparationsforderungen nach sich ziehen, befürchtet man in Brüssel. Der Besuch des Königspaares dient auch der Vorbereitung einer um Jahrzehnte verspäteten Beerdigung. Ende Juni wird eine kongolesische Delegation nach Brüssel reisen, um den Zahn Patrice Lumumbas in Empfang zu nehmen und in den Kongo zu überführen. Er soll feierlich bestattet werden. So können Lumumbas Kinder endlich an einem Grab trauern.
Lumumba hatte den Kongo 1960 in die Unabhängigkeit geführt. Bereits im Jahr darauf wurde er gestürzt und unter Mitwirkung belgischer Beamter und des CIA ermordet. Seine Leiche wurde zunächst verscharrt, dann wieder ausgegraben. Ein belgischer Polizeioffizier zersägte den Körper und löste ihn in Säure auf. Vorher hatte er dem Toten noch zwei Zähne ausgebrochen, die er schließlich nach Belgien mitnahm. Von dem Vorgang erzählte der Mann später. Ein Zahn ging verloren, der andere wurde nach langen Jahren schließlich der belgischen Regierung übergeben.
Vor zwei Jahren, im Zuge der weltweiten Black-Lives-Matter-Bewegung, wurde die unbewältigte Kolonialvergangenheit in Belgien zum Thema – vor allem die „KongoGräuel“, die im Namen Leopolds II. begangen worden waren. Leopold, der von 1865 bis 1909 herrschte, beutete den Kongo zunächst als Privatbesitz aus. Die Bevölkerung musste Sklavenarbeit leisten. Als Bilder der Gräueltaten bekannt wurden – zur Strafe für ungenügende Lieferungen von Elfenbein und Kautschuk wurden Hände oder Füße abgehackt –, übergab er das Territorium auf internationalen Druck an den Staat Belgien.