Wetter und Frauenquote
Beim Nova-Rock-Festival gibt es nach zwei Jahren Pandemiepause wieder Freiluftpopkultur im Megamaßstab – und es gibt um die großen Festivals eine Diskussion um fehlende Frauen.
SALZBURG, NICKELSDORF. Der Freitag werde „durchwachsen“. Der Wind könnte sogar Spitzen bis zu 60 km/h erreichen. Tagsüber wird das Wetter „ein bisschen besser“– es soll rund 24 Grad bekommen. Aber gegen Abend müsse man sich wieder auf Regen einstellen. Die Prognosen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) sind für Österreichs größtes Open-Air-Festival Nova Rock offenbar ebenso wichtig wie für die anreisenden Gäste die Liste der auftretenden Bands beim Ticketkauf.
Jedenfalls halten die Veranstalter ihre Gäste auf der Homepage ständig auf neuestem Stand. Das Wetter kann schiefgehen, das Festival, das am Donnerstag begann und bis Sonntag dauern wird, nicht.
In den vergangenen zwei Jahren war Nova Rock in Nickelsdorf wegen der Coronapandemie ausgefallen. Umso größer sind die Hoffnungen auf eine gelungene Auferstehung. Was den Kartenverkauf betrifft, ist das schon geglückt. Anfang Juni wurde gemeldet: „Ausverkauft“– an allen vier Festivaltagen, heißt rund 200.000 Besuchereinheiten, also etwa durchschnittlich 50.000 Menschen pro Tag. Für Veranstalter Barracuda ein Hoffnungsschimmer. Die vergangenen zwei Jahre seien eine „harte Zeit“gewesen, sagte Barracuda-Chef und Nova-Rock-Veranstalter Ewald Tatar im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Nicht nur Corona, sondern auch die Pleite der burgenländischen Commerzialbank, bei der Barracuda – der größte österreichische Konzertveranstalter im Popbereich – 34 Millionen Euro verloren hatte, habe dem Unternehmen zugesetzt. Umso euphorischer sei er, dass es wieder losgehe, sagte Tatar.
Bestenfalls „durchwachsen“wie beim Wetter fällt der Blick auf das Line-up aus, wenn man es unter dem Blickwinkel der anhaltenden Diskussion um den strukturellen
Sexismus in der Popmusikbranche betrachtet. Am vergangenen Wochenende war der Männerüberschuss auf der Bühne beim Rockim-Park-Festival zum Anlass genommen worden, um auf dieses Ungleichgewicht hinzuweisen. „Man erlebt 2022 denselben strukturellen Sexismus, wie man ihn 2019 erlebt hat, als es das letzte Mal Festivals gab. Wie 2010, 2000 und letztlich auch in allen Jahrzehnten vorher“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“über Rock im Park – und damit „eine Industrie, die von Anbeginn an bis in den allerhintersten, allerklebrigsten Winkel männlich dominiert war – vom Techniker bis zum Plattenboss“.
Knapp fünf Prozent der auftretenden Künstler (in diesem Fall gilt: „generisches Maskulinum“) waren Frauen. Nicht nur in Bezug auf die Größe des Festivals, sondern auch hinsichtlich der Frauenquote gleicht Nova Rock dem deutschen Festival. Am ersten Festivaltag stand mit Amy Lee, Sängerin und Keyboarderin von Evanescence, nur eine Frau für eine Show, die nach 20 Uhr endet, auf dem Programm einer der beiden Hauptbühnen. Zuvor waren für den ersten Festivaltag unter den 24 Bands nur drei andere – Blues Pills (deren Auftritt wegen des vom Wetter verursachten, verspäteten Einlasses kurzfristig auch noch abgesagt werden musste), Creeper und Hot Milk – vorgesehen, in denen auch Frauen mitspielen. Ähnlich an den anderen Festivaltagen: Die Headliner – darunter Muse, Placebo, The Offspring, Deichkind – sind alle auf die eine oder andere Art musikalisch attraktiv, aber eben auch komplett frauenlos. „Prominenteste“Vertreterin ist da noch Bassistin Victoria De Angelis von den italienischen Song-ContestSiegern Måneskin.
Die Gründe für den Frauenmangel werden seit Jahren wiederholt. Kann gut sein, dass es weniger Frauen als Männer gibt, die Musik machen. Es fehlen aber auch die Vorbilder auf den großen Bühnen. Jene, die groß sind, kann man sich für Festivals schwer leisten, etwa Adele oder Taylor Swift oder Beyoncé. Es ist ein Kreislauf, der immer zu einer Aussage führt: Es gibt in der Branche zu wenige Künstlerinnen, die prominent genug wären, um ihretwegen viele Tickets verkaufen zu können. „Eine Industrie, die sich weigert, etwas zu verändern – aus Starrsinn oder Mutlosigkeit, wegen fehlender Kraft oder mangelnder Fantasie, aus ökonomischen Zwängen, wegen tumber Frauenverachtung oder weil es (noch) genug Fans egal genug ist“, schrieb die „Süddeutsche“über die Gesamtlage.
Der Wind könnte also mit 60 km/h über das Festival in Nickelsdorf fegen. Ein „Wind of Change“in Bezug auf die Geschlechterverteilung auf den Bühnen ist das aber nicht.