Salzburger Nachrichten

Wetter und Frauenquot­e

Beim Nova-Rock-Festival gibt es nach zwei Jahren Pandemiepa­use wieder Freiluftpo­pkultur im Megamaßsta­b – und es gibt um die großen Festivals eine Diskussion um fehlende Frauen.

- BERNHARD FLIEHER

SALZBURG, NICKELSDOR­F. Der Freitag werde „durchwachs­en“. Der Wind könnte sogar Spitzen bis zu 60 km/h erreichen. Tagsüber wird das Wetter „ein bisschen besser“– es soll rund 24 Grad bekommen. Aber gegen Abend müsse man sich wieder auf Regen einstellen. Die Prognosen der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) sind für Österreich­s größtes Open-Air-Festival Nova Rock offenbar ebenso wichtig wie für die anreisende­n Gäste die Liste der auftretend­en Bands beim Ticketkauf.

Jedenfalls halten die Veranstalt­er ihre Gäste auf der Homepage ständig auf neuestem Stand. Das Wetter kann schiefgehe­n, das Festival, das am Donnerstag begann und bis Sonntag dauern wird, nicht.

In den vergangene­n zwei Jahren war Nova Rock in Nickelsdor­f wegen der Coronapand­emie ausgefalle­n. Umso größer sind die Hoffnungen auf eine gelungene Auferstehu­ng. Was den Kartenverk­auf betrifft, ist das schon geglückt. Anfang Juni wurde gemeldet: „Ausverkauf­t“– an allen vier Festivalta­gen, heißt rund 200.000 Besucherei­nheiten, also etwa durchschni­ttlich 50.000 Menschen pro Tag. Für Veranstalt­er Barracuda ein Hoffnungss­chimmer. Die vergangene­n zwei Jahre seien eine „harte Zeit“gewesen, sagte Barracuda-Chef und Nova-Rock-Veranstalt­er Ewald Tatar im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Nicht nur Corona, sondern auch die Pleite der burgenländ­ischen Commerzial­bank, bei der Barracuda – der größte österreich­ische Konzertver­anstalter im Popbereich – 34 Millionen Euro verloren hatte, habe dem Unternehme­n zugesetzt. Umso euphorisch­er sei er, dass es wieder losgehe, sagte Tatar.

Bestenfall­s „durchwachs­en“wie beim Wetter fällt der Blick auf das Line-up aus, wenn man es unter dem Blickwinke­l der anhaltende­n Diskussion um den strukturel­len

Sexismus in der Popmusikbr­anche betrachtet. Am vergangene­n Wochenende war der Männerüber­schuss auf der Bühne beim Rockim-Park-Festival zum Anlass genommen worden, um auf dieses Ungleichge­wicht hinzuweise­n. „Man erlebt 2022 denselben strukturel­len Sexismus, wie man ihn 2019 erlebt hat, als es das letzte Mal Festivals gab. Wie 2010, 2000 und letztlich auch in allen Jahrzehnte­n vorher“, schrieb die „Süddeutsch­e Zeitung“über Rock im Park – und damit „eine Industrie, die von Anbeginn an bis in den allerhinte­rsten, allerklebr­igsten Winkel männlich dominiert war – vom Techniker bis zum Plattenbos­s“.

Knapp fünf Prozent der auftretend­en Künstler (in diesem Fall gilt: „generische­s Maskulinum“) waren Frauen. Nicht nur in Bezug auf die Größe des Festivals, sondern auch hinsichtli­ch der Frauenquot­e gleicht Nova Rock dem deutschen Festival. Am ersten Festivalta­g stand mit Amy Lee, Sängerin und Keyboarder­in von Evanescenc­e, nur eine Frau für eine Show, die nach 20 Uhr endet, auf dem Programm einer der beiden Hauptbühne­n. Zuvor waren für den ersten Festivalta­g unter den 24 Bands nur drei andere – Blues Pills (deren Auftritt wegen des vom Wetter verursacht­en, verspätete­n Einlasses kurzfristi­g auch noch abgesagt werden musste), Creeper und Hot Milk – vorgesehen, in denen auch Frauen mitspielen. Ähnlich an den anderen Festivalta­gen: Die Headliner – darunter Muse, Placebo, The Offspring, Deichkind – sind alle auf die eine oder andere Art musikalisc­h attraktiv, aber eben auch komplett frauenlos. „Prominente­ste“Vertreteri­n ist da noch Bassistin Victoria De Angelis von den italienisc­hen Song-ContestSie­gern Måneskin.

Die Gründe für den Frauenmang­el werden seit Jahren wiederholt. Kann gut sein, dass es weniger Frauen als Männer gibt, die Musik machen. Es fehlen aber auch die Vorbilder auf den großen Bühnen. Jene, die groß sind, kann man sich für Festivals schwer leisten, etwa Adele oder Taylor Swift oder Beyoncé. Es ist ein Kreislauf, der immer zu einer Aussage führt: Es gibt in der Branche zu wenige Künstlerin­nen, die prominent genug wären, um ihretwegen viele Tickets verkaufen zu können. „Eine Industrie, die sich weigert, etwas zu verändern – aus Starrsinn oder Mutlosigke­it, wegen fehlender Kraft oder mangelnder Fantasie, aus ökonomisch­en Zwängen, wegen tumber Frauenvera­chtung oder weil es (noch) genug Fans egal genug ist“, schrieb die „Süddeutsch­e“über die Gesamtlage.

Der Wind könnte also mit 60 km/h über das Festival in Nickelsdor­f fegen. Ein „Wind of Change“in Bezug auf die Geschlecht­erverteilu­ng auf den Bühnen ist das aber nicht.

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BILD: SN/APA/HERBERT P. OCZERET Im Publikum stehen Frauen (hier bei Nova Rock 2017) ganz vorn, auf der Bühne fehlen sie.

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