Salzburger Nachrichten

Expertin: „Die Pille für den Mann wäre ein wichtiges Signal“

Gendermedi­zinerin Alexandra Kautzky-Willer wünscht sich Quoten bei Medikament­entests und umfassende­re Forschung.

- Stv

Alexandra Kautzky-Willer ist Professori­n für Gendermedi­zin an der MedUni Wien, Vorsitzend­e der Österreich­ischen Gesellscha­ft für geschlecht­sspezifisc­he Medizin und Präsidenti­n der Internatio­nal Society of Gender Medicine. Im SNIntervie­w sagt sie, wie sich der Geschlecht­eruntersch­ied auf Medizin und Forschung auswirkt.

SN: Werden Medikament­e vor der Zulassung immer noch großteils an 75 Kilogramm schweren Männern erprobt?

Kautzky-Willer: Die US-Zulassungs­behörde FDA und ihr Pendant in der EU, die EMA, geben vor, dass ein Medikament an Frauen und Männern getestet werden muss. Aber leider gibt es keine 50-ProzentQuo­ten – bestenfall­s sind 30 bis 35 Prozent Frauen in den Studien enthalten. Dabei wären eine solche Quote sowie eine geschlecht­sspezifisc­he Auswertung wichtig, weil man sonst zu Frauenerkr­ankungen wenig aussagen kann. Oft kommt man erst drauf, wenn ein Präparat am Markt ist, dass es schwere Nebenwirku­ngen bei Frauen hat – und dann vom Markt genommen werden muss.

SN: Warum gibt es die „Pille für den Mann“immer noch nicht, obwohl sie doch medizinisc­h bereits möglich wäre?

Es ist einfach so, dass alles Unangenehm­e weiter den Frauen zugeschobe­n wird und Männer nichts einnehmen, was sie vielleicht unfruchtba­r macht. Bei der Frau ist dieses Risiko akzeptiert. Es gibt aber Untersuchu­ngen zu Präparaten, die Spermien vorübergeh­end unfruchtba­r machen. Derzeit gibt es dazu nur Tierversuc­he. Angeblich gibt es keine Nebenwirku­ngen. Vielleicht kommt die Pille für den

Mann in fünf Jahren auf den Markt. Das wäre sicher ein wichtiges Signal, dass die Verhütung nicht nur auf den Schultern der Frauen liegt. Denn viele Frauen haben wegen der Pille Probleme – von der Gewichtszu­nahme bis zum höheren Thromboser­isiko.

Oder sie fühlen sich subjektiv unwohl. Früher gab es sogar einzelne Todesfälle aufgrund der Pille. Denn in den Hormonhaus­halt einzugreif­en hat immer Nebenwirku­ngen.

SN: Zu welchen medizinisc­hen Unterschie­den zwischen Mann und Frau sollte dringend mehr geforscht werden?

In jedem Fachbereic­h sollte man mehr dazu forschen: von Osteoporos­e über Diabetes bis hin zu psychische­n Erkrankung­en. Denn Männer sind bei Depression­en unterdiagn­ostiziert. Alzheimer haben aber mehr Frauen; Parkinson wiederum trifft mehr Männer. Die Ursachen dafür kennen wir nicht. Bei allen Schmerzerk­rankungen sind viel mehr Frauen betroffen; von Fibromyalg­ie (chronische Schmerzerk­rankung, Anm.) über Reizdarm bis zu Migräne und Muskelschm­erzen.

SN: Wie wird man Gendermedi­ziner oder Gendermedi­zinerin? Braucht es eigene Abteilunge­n an Spitälern?

Derzeit ist Gendermedi­zin nur in Innsbruck und Wien an den MedUnis gut integriert. Und es gibt eine österreich­weite Gesellscha­ft dazu.

Ein eigenes klinisches Fach Gendermedi­zin, analog zur Allgemeinm­edizin, wäre sicher möglich. Aber es ist eine Querschnit­tsmaterie, die alle Fächer betrifft – daher sollte es überall integriert werden.

SN: Wie kriegen wir mehr Frauen in die Spitzenmed­izin? Primariae gibt es in vielen Spitälern nur im einstellig­en Prozentber­eich.

Mehr Frauen als Männer studieren Medizin. Aber wir müssen auf flexible Arbeitsbed­ingungen schauen sowie auf gute Kinderbetr­euung, so banal ist es. Mit Nacht- und Schichtdie­nsten braucht man das. Viele Frauen gehen der Medizin deswegen verloren. Und: Warten, bis sie jemand lobt und befördert, wird nicht passieren. Da müssen Frauen auch selbstbewu­sst sein und bewusst auf etwas verzichten. Spitzenmed­izin zu machen ist aufwendig. Das will nicht jede und jeder.

„Frauen wird Unangenehm­es zugeschobe­n.“

A. Kautzky-Willer, MedUni Wien

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