So verspielt Ferrari den Titel gegen Red Bull
Nach einem starken Saisonstart träumte der italienische Rennstall vom ersten WM-Titel in der Formel 1 seit 2008. Mittlerweile regiert in Italien aber der Frust über schwächelnde Fahrer, streikende Motoren und eklatante Strategiefehler.
Nach einem nahezu perfekten Saisonstart mit zwei Siegen aus den ersten drei Rennen und einem komfortablen Vorsprung in beiden WMWertungen rückt der große Ferrari-Traum, den ersten WM-Titel seit 2008 in der Formel 1 bejubeln zu können, allmählich wieder in weite Ferne. Statt Titellust regiert beim italienischen Traditionsrennstall inzwischen der Frust über viele verlorene Punkte. Die Gründe dafür sind vielschichtig und zeigen, dass man mehr als ein konkurrenzfähiges Rennauto braucht, um in der Formel 1 Siege und in weiterer Folge Titel feiern zu können.
Dass Rivale Red Bull dank Weiterentwicklungen am Auto in Imola und Miami zwischenzeitlich das schnellste Gesamtpaket hatte, kann man in einer langen Saison, in der alle Teams ihre Boliden zu unterschiedlichen Zeitpunkten weiterentwickeln, aus Sicht der Scuderia noch akzeptieren. Inakzeptabel war in diesem Jahr dafür schon zu oft die Leistung der Piloten.
Vor allem Carlos Sainz bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Der 27-jährige Spanier ist dem Druck, in einem siegfähigen Auto zu sitzen, bis dato nicht gewachsen. Statt zu siegen, „glänzt“Sainz mit Unfällen in Trainings und Rennen. Das kostet nicht nur Punkte, sondern auch viel Geld, mit dem die Teams wegen der Budgetobergrenze sparsam umgehen müssen. Teamkollege Charles Leclerc führte die WM
Die Strategie wird viele Rennen in diesem Jahr entscheiden
nach drei Rennen zwar mit einem rekordverdächtigen Vorsprung an, ebenso rekordverdächtig schnell verlor er den Spitzenplatz – auch wegen leichtfertiger Fehler wie in Imola – an Max Verstappen. Der Weltmeister und sein Teamkollege Sergio Pérez holen in dieser Saison auch an einem schwächeren Wochenende viele Punkte und pflegen ein freundschaftliches Verhältnis. Die Rangordnung auf der Strecke ist ganz klar bestimmt. Im Titelkampf mit Ferrari ist das ein großer Pluspunkt, denn Sainz ist immer noch der Meinung, nicht die Nummer zwei hinter Leclerc zu sein.
Noch problematischer als die Leistungen der Piloten sind für Ferrari zwei andere Bereiche: Während Red Bull seine anfänglichen Standfestigkeitsprobleme in den Griff bekommen hat, schied Leclerc in Barcelona souverän in Führung liegend wegen eines defekten Motors aus. Der zu Saisonstart erarbeitete Vorsprung auf den schärfsten Konkurrenten war damit mit einem Schlag dahin. Tiefpunkt der bisherigen Saison war für Ferrari aber das Rennen in Monaco. Wer im Fürstentum von den ersten beiden Startplätzen aus ins Rennen geht, kann für gewöhnlich mit einem Doppelsieg planen. Denn Überholen ist auf dem engen Stadtkurs de facto unmöglich. Doch mit fatalen Fehleinschätzungen raubte die Strategieabteilung Ferraris Lokalmatador Leclerc einen sicher geglaubten Heimsieg. Die strategischen Entscheidungen verwunderten nicht nur die Konkurrenz und viele Fans vor den Bildschirmen, sondern auch die eigenen Piloten. Der 24-jährige Monegasse schimpfte schon während des Rennens zu Recht wie ein Rohrspatz. Solche eklatanten Fehler kosten nicht nur wichtige Punkte im WM-Kampf, sondern können auch das Verhältnis eines Teams zu seinem Fahrer nachhaltig (zer)stören. Verliert ein Pilot das Vertrauen zum Team, ist eine erfolgreiche Zusammenarbeit unmöglich. Da Ferrari und Red Bull auf Augenhöhe agieren, werden in diesem Jahr aber noch viele Rennen über die Strategie entschieden werden. Genau deswegen ist es besonders wichtig, vollstes Vertrauen zueinander zu haben und als geschlossene Einheit aufzutreten.
Am Wochenende gastiert die Formel 1 in Baku wieder auf einem Stadtkurs, wenngleich die Strecke in Aserbaidschan eine ganz andere Charakteristik als Monaco besitzt und einige gute Überholmöglichkeiten bietet. Im Vorjahr dominierte Verstappen bis zu seinem Ausfall wegen eines Reifenschadens das Rennen. Den Sieg holte sich mit Pérez trotzdem ein RedBull-Pilot. Wollen Ferrari und Leclerc in den beiden WM-Wertungen nicht weiter Boden auf den österreichischen Rennstall verlieren, muss in Baku der erste Sieg seit Anfang April gelingen. Dafür sollten die Italiener aber ihre Probleme schleunigst in den Griff bekommen. Denn wer mit dem schnellsten Auto keine Rennen gewinnt, wird auch keine Weltmeisterschaftstitel holen.