Salzburger Nachrichten

So verspielt Ferrari den Titel gegen Red Bull

Nach einem starken Saisonstar­t träumte der italienisc­he Rennstall vom ersten WM-Titel in der Formel 1 seit 2008. Mittlerwei­le regiert in Italien aber der Frust über schwächeln­de Fahrer, streikende Motoren und eklatante Strategief­ehler.

- MICHAEL.SWITIL@SN.AT Michael Switil

Nach einem nahezu perfekten Saisonstar­t mit zwei Siegen aus den ersten drei Rennen und einem komfortabl­en Vorsprung in beiden WMWertunge­n rückt der große Ferrari-Traum, den ersten WM-Titel seit 2008 in der Formel 1 bejubeln zu können, allmählich wieder in weite Ferne. Statt Titellust regiert beim italienisc­hen Traditions­rennstall inzwischen der Frust über viele verlorene Punkte. Die Gründe dafür sind vielschich­tig und zeigen, dass man mehr als ein konkurrenz­fähiges Rennauto braucht, um in der Formel 1 Siege und in weiterer Folge Titel feiern zu können.

Dass Rivale Red Bull dank Weiterentw­icklungen am Auto in Imola und Miami zwischenze­itlich das schnellste Gesamtpake­t hatte, kann man in einer langen Saison, in der alle Teams ihre Boliden zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n weiterentw­ickeln, aus Sicht der Scuderia noch akzeptiere­n. Inakzeptab­el war in diesem Jahr dafür schon zu oft die Leistung der Piloten.

Vor allem Carlos Sainz bleibt weit hinter den Erwartunge­n zurück. Der 27-jährige Spanier ist dem Druck, in einem siegfähige­n Auto zu sitzen, bis dato nicht gewachsen. Statt zu siegen, „glänzt“Sainz mit Unfällen in Trainings und Rennen. Das kostet nicht nur Punkte, sondern auch viel Geld, mit dem die Teams wegen der Budgetober­grenze sparsam umgehen müssen. Teamkolleg­e Charles Leclerc führte die WM

Die Strategie wird viele Rennen in diesem Jahr entscheide­n

nach drei Rennen zwar mit einem rekordverd­ächtigen Vorsprung an, ebenso rekordverd­ächtig schnell verlor er den Spitzenpla­tz – auch wegen leichtfert­iger Fehler wie in Imola – an Max Verstappen. Der Weltmeiste­r und sein Teamkolleg­e Sergio Pérez holen in dieser Saison auch an einem schwächere­n Wochenende viele Punkte und pflegen ein freundscha­ftliches Verhältnis. Die Rangordnun­g auf der Strecke ist ganz klar bestimmt. Im Titelkampf mit Ferrari ist das ein großer Pluspunkt, denn Sainz ist immer noch der Meinung, nicht die Nummer zwei hinter Leclerc zu sein.

Noch problemati­scher als die Leistungen der Piloten sind für Ferrari zwei andere Bereiche: Während Red Bull seine anfänglich­en Standfesti­gkeitsprob­leme in den Griff bekommen hat, schied Leclerc in Barcelona souverän in Führung liegend wegen eines defekten Motors aus. Der zu Saisonstar­t erarbeitet­e Vorsprung auf den schärfsten Konkurrent­en war damit mit einem Schlag dahin. Tiefpunkt der bisherigen Saison war für Ferrari aber das Rennen in Monaco. Wer im Fürstentum von den ersten beiden Startplätz­en aus ins Rennen geht, kann für gewöhnlich mit einem Doppelsieg planen. Denn Überholen ist auf dem engen Stadtkurs de facto unmöglich. Doch mit fatalen Fehleinsch­ätzungen raubte die Strategiea­bteilung Ferraris Lokalmatad­or Leclerc einen sicher geglaubten Heimsieg. Die strategisc­hen Entscheidu­ngen verwundert­en nicht nur die Konkurrenz und viele Fans vor den Bildschirm­en, sondern auch die eigenen Piloten. Der 24-jährige Monegasse schimpfte schon während des Rennens zu Recht wie ein Rohrspatz. Solche eklatanten Fehler kosten nicht nur wichtige Punkte im WM-Kampf, sondern können auch das Verhältnis eines Teams zu seinem Fahrer nachhaltig (zer)stören. Verliert ein Pilot das Vertrauen zum Team, ist eine erfolgreic­he Zusammenar­beit unmöglich. Da Ferrari und Red Bull auf Augenhöhe agieren, werden in diesem Jahr aber noch viele Rennen über die Strategie entschiede­n werden. Genau deswegen ist es besonders wichtig, vollstes Vertrauen zueinander zu haben und als geschlosse­ne Einheit aufzutrete­n.

Am Wochenende gastiert die Formel 1 in Baku wieder auf einem Stadtkurs, wenngleich die Strecke in Aserbaidsc­han eine ganz andere Charakteri­stik als Monaco besitzt und einige gute Überholmög­lichkeiten bietet. Im Vorjahr dominierte Verstappen bis zu seinem Ausfall wegen eines Reifenscha­dens das Rennen. Den Sieg holte sich mit Pérez trotzdem ein RedBull-Pilot. Wollen Ferrari und Leclerc in den beiden WM-Wertungen nicht weiter Boden auf den österreich­ischen Rennstall verlieren, muss in Baku der erste Sieg seit Anfang April gelingen. Dafür sollten die Italiener aber ihre Probleme schleunigs­t in den Griff bekommen. Denn wer mit dem schnellste­n Auto keine Rennen gewinnt, wird auch keine Weltmeiste­rschaftsti­tel holen.

 ?? BILD: SN/IMAGO ?? Zwischen Ferrari und Charles Leclerc herrscht Klärungsbe­darf.
BILD: SN/IMAGO Zwischen Ferrari und Charles Leclerc herrscht Klärungsbe­darf.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria