Zu spät und zu wenig? Der Blick geht nach vorn
Und sie bewegt sich doch. Nach elf Jahren bis auf null Prozent sinkender Leitzinsen beendet die Europäische Zentralbank die Phase der außergewöhnlichen Geldpolitik. Die milliardenschweren Wertpapierkäufe
werden gestoppt. Ab Juli geht es auch mit den Zinsen nach oben, wenn auch sehr moderat. In einem ersten Schritt um einen Viertelprozentpunkt, aber weitere sind bereits avisiert.
Viel zu spät sei die EZB dran, viel zu wenig sei das, was sie mache, sagen ihre Kritiker. Man
kann der EZB und anderen Notenbanken vorwerfen, dass sie zu lange daran festhielten, der Anstieg der Inflation sei vorübergehend. Aber sie wäre auch nicht so stark gestiegen, hätte es den russischen Angriff auf die Ukraine nicht gegeben. Der Sprung, den die Inflation seither gemacht hat, ist politisch
bedingt. Die Sanktionen treiben die Preise für Energie und Nahrungsmittel in die Höhe. Sie machen zusammen fast drei
Viertel der hohen Inflation aus. Dagegen kann die EZB wenig
tun. Sie kann Inflation dämpfen, wenn der Konjunkturmotor überhitzt, weil zu viel auf Pump
konsumiert und investiert wird. Gegen Preiskapriolen auf den Märkten ist sie fast machtlos.
Es ist vor allem Aufgabe der Fiskalpolitik, die Folgen der hohen Inflation zu dämpfen, die alle zu spüren bekommen, aber
viele Menschen existenziell bedrohen. Eine Notenbank muss dafür sorgen, dass die Menschen vertrauen, dass sie die
Währung stabil hält. Dafür werden die 0,25 Prozent im Juli
nicht ausreichen, das weiß man in der EZB. Auch die US-Notenbank hat die Zinsen im ersten Schritt nur um einen Viertelprozentpunkt erhöht. Geldpolitik ist nichts für Hasardeure. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte, dass man sich bei den Zinsen auf eine Reise begebe. Dazu ist nur zu sagen: Reisende soll man nicht aufhalten.