Mit Simon Stone durchs schwarze Loch im Stadion ins Wunderland
Über eine Exkursion in erdige Abgründe, die nicht zwangsläufig schrecklich sein müssen.
Die Kicker der dänischen Nationalmannschaft sagten nach dem Mat(s)ch, es sei der schlimmste Boden gewesen, auf dem sie jemals
gespielt hätten. Sie haben gewonnen, obwohl sich im Happel-Stadion ein Loch auftat auf grünem Plan inmitten, irgendwas war mit hohem Grundwasser wegen Regen. Naturgewalten, immer eine ideale Ausrede, so wie es auch die Lücken im Gedächtnis sind in einem Untersuchungsausschuss oder beim Mordprozess.
Aber das ist trügerisch, denn so ein Loch ist eben doch nicht nichts. Und wie sie da standen, die Kicker, und ins Loch schauten, plapperten die ORF-Moderatoren das üblich Belanglose, anstatt die Beatles aufzulegen. „I’m fixing a hole where the rain gets in/And stops my mind from wandering/Where it will go“, sagen die im 1967er-Jahr auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Löcher mögen auf den ersten Blick unangenehm sein. Sie sind zum
Stolpern gefährlich. Sie machen, herausgefressen von Motten, das G’wand unanziehbar. Sie schlucken alles, was nicht in sie gehört. Sogar
das Licht und die Energie, wenn die Löcher schwarz sind. Vielleicht war der Stromausfall
vor dem Match im Stadion, bei dem das Loch aufging, gar ein kosmisches Ereignis?
Die Beatles-Idee jedenfalls, dass es hinter so einem Loch weitergeht, dass die Gefahr, sich in einem Loch zu verlieren, größer ist, als sich
nur einen Hax’n zu brechen, ist unheimlich. Fragen Sie nach bei Lewis Carroll, wie der die
Alice ins Wunderland schickt. Hinter jedem Loch lauert eine Welt. Als Beweis könnten Sie sich den melancholisch wunderschönen Film „The Dig“von Simon Stone anschauen. Da
gräbt einer in den Hügeln von Suffolk Löcher und gräbt dann ein Schiff aus. Es stellt sich als Sensationsfund heraus. Nur weil da ein Loch
gegraben wurde, änderte sich der Blick auf die Geschichte der frühen Besiedlung der britischen Inseln. Eine große, wahre Geschichte.
Und eine traurige noch dazu, also wirklich traurig, nicht so peinlich bitter wie die Farce im Happel-Stadion. Der Entdecker des Schiffs, das eine Grabstätte war, hieß Basil Brown und er war „bloß“ein Amateurausgräber. Die feinen, studierten Herren aus den großen Museen der großen Städte streiften die Ehre der
Entdeckung ein und verschwiegen den Namen des wahren Finders jahrzehntelang. Die echten,
wahren Löcher, die uns fehlen beim Blick auf die Welt, werden hergestellt von denen, die die Macht über die Geschichtsschreibung haben.
In Dänemark war ich übrigens einmal auf einer Wiese. Auch die war schlimmer Boden,
weil mehrtägiges Rockfestival und mehrtägiger Dauerregen. Damals traten unter anderen Soundgarden auf. Wie ich mich jetzt zurückhöre in diese Zeit, höre ich auch deren mächtigen Song „Black Hole Sun“. Da ist der Weg nicht
weit zu Black Sabbath, die vom „Hole in the Sky“erzählen. Beim Loch-Song-Stöbern kommen mir auch die Sugababes unter: „Hole in the Head“. Ein Titel, der freilich im Fall der Sugababes für das leere Musikalische gilt, aber überhaupt auch die gemeinste, aber recht verbreitete Art eines Lochs beschreibt. Bevor ich bei dem alten Volkslied „Loch im Eimer“aber auch noch draufkomme, dass so vieles wie das
Ernst-Happel-Stadion tatsächlich im Eimer ist, stelle ich aus Sicherheitsgründen das Nachdenken über Löcher ein.