Aufnahmestopp bei Kassenärzten
Kassenpraxen müssen Versicherte versorgen. Doch viele Ordinationen sind bereits überlastet. Eine österreichweite Recherche.
ÖSTERREICH. Einen Termin beim
Arzt auszumachen sollte einfach sein. Bloß: Bis man einen Termin erhält, kann es dauern – vor allem als Kassenpatient. In einer gemeinsamen Recherche machen die „Salzburger Nachrichten“, „Kleine Zeitung“und „Vorarlberger Nachrichten“die Probe aufs Exempel. Was ist dran am Mythos Ärztemangel? Wir
haben bei insgesamt 135 Kassenordinationen um den nächstmöglichen Kontrolltermin gebeten; etwa
wegen Umzugs in eine neue Gemeinde oder weil der bisher behandelnde Arzt in Pension geht.
Eingegrenzt haben wir die Suche auf die drei Fachbereiche mit den meisten unbesetzten Kassenstellen: jeweils fünf Kinderärzte, Gynäkologinnen und Augenärzte pro Bundesland. Unbesetzt sind österreichweit laut Ärztekammer derzeit 38 Kassenstellen für Kinderheilkunde, 22,5 für Frauenheilkunde und 9 für Augenheilkunde (Stand Q4/2021).
Grundsätzlich gilt: Wer einen Kassenvertrag hat, kann Leistungen für Patientinnen und Patienten zu fixen Tarifen über die Krankenkasse abrechnen lassen. Im Gegenzug
muss die Praxis zu gewissen Stunden geöffnet haben, Patientinnen und Patienten müssen behandelt
werden – mit Kassenverträgen soll die medizinische Versorgung der
breiten Bevölkerung sichergestellt werden.
Die gemeinsame Recherche zeigt: In der Praxis ist das nicht immer der Fall. Kontaktiert wurden insgesamt einige Hundert Arztpraxen im ganzen Land. Die erste Hürde bestand
bereits darin, zu den angegebenen Öffnungszeiten überhaupt jemanden ans Telefon zu bekommen.
Häufig meldete sich nur der Anrufbeantworter oder es war durchgehend besetzt.
Von den 135 schließlich erreichten Kassenpraxen verkünden 28 einen Aufnahmestopp, zumindest für die kommenden Monate. Das ist rund ein Fünftel der Stichprobe, obwohl Kassenärzte das aufgrund ihres Vertrags nicht dürften. Bei 57 Ordinationen
beträgt die Wartezeit bis zum ersten Termin über einen Monat. Unter www.sn.at/medizin sind die Ergebnisse aller 135 Praxen im Detail zu finden.
Die Recherche ist nicht repräsentativ, zeigt jedoch eine Entwicklung in der medizinischen Versorgung im niedergelassenen Bereich für Kassenpatienten: Die Zahl der Ordinationen reicht offenbar nicht aus. Und das geht zulasten der Patientinnen und Patienten und der Ärzteschaft.
Die Ergebnisse unterscheiden sich regional stark. Nicht nur, dass
es für jedes Bundesland eine eigene Online-Ärztesuche gibt, auch die
Auslastungen variieren: In Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg ist es
nahezu egal, ob man Kinder-, Frauenoder Augenheilkunde braucht – auffällig oft heißt es am Telefon: „Es tut mir leid, wir können derzeit keine neuen Patienten mehr aufnehmen.“Termine zu bekommen war einfacher in der Steiermark, Kärnten, Niederösterreich und dem Burgenland, wenn auch oft verbunden mit monatelangen Wartezeiten. In Salzburg und Oberösterreich sind
vor allem Kinderärzte heiß begehrt. Nur in einer von jeweils fünf Ordinationen konnte ein Termin für ein zweijähriges Kind vergeben werden. Eine Ordinationshilfe sagte zur Situation in Linz und Umgebung: „Linz ist ganz schlecht. Sie müssen alle Wahlärzte durchtelefonieren oder mit dem Kind zum Hausarzt
gehen.“Viele Kinderärzte seien in Pension gegangen, die Kasse tue zu
wenig, meint sie und wünscht viel Glück bei der Suche.
Auch in der Steiermark scheint der Bedarf an Kinderärztinnen und -ärzten groß zu sein, drei der fünf
Praxen nehmen regulär nur mehr aus dem unmittelbaren Bezirk
Kinder auf. In Vorarlberg hieß es drei von fünf Mal „Aufnahmestopp“oder „nur für Neugeborene“. Gleichzeitig waren alle Kinderarztpraxen merklich um Flexibilität bemüht, sollte das Kind krank sein.
Bei Gynäkologen zahlt es sich mitunter aus, eine zweite Nummer anzurufen. Während man in Klagenfurt bei einer Kassenärztin bis Jahresende auf einen Ersttermin
warten müsste, findet ihre Kollegin in der gleichen Stadt bereits am nächsten Tag Zeit. Andernorts kommt man am Warten aber kaum
vorbei: Bei zwei Frauenärztinnen in Innsbruck war es eine Option, sich im Sommer wieder zu melden. „Ab Juli kommt eine neue Ärztin. Vielleicht ist dann wieder ein Platz frei“, hieß es beispielsweise bei einer Praxis. Einzig in Salzburg und Niederösterreich kommen Frauen bei so
gut wie allen Anfragen rasch zu einem Termin.
Augenärztinnen und -ärzte sind offenbar fast überall Mangelware,
und zwar in ganz Österreich. In der
Kinderärzte dringend gesucht
Steiermark kann sich glücklich schätzen, wer nur zwei Monate auf einen Kassentermin warten muss. In Niederösterreich und Tirol
kommt man auf Kasse mitunter erst im nächsten Jahr dran und in Vorarlberg
Augenärzte sind Mangelware
winken gleich vier der fünf
kontaktierten Augenärzte ab. Zu ausgelastet seien die Praxen und nur mehr in Notfällen erreichbar, hieß es am Telefon.
Wer privat zahlt, kann in manchen Fällen einen Aufnahmestopp
umgehen: Während die Kassenpraxis
einer Augenärztin in der Steiermark voll sei, gebe es in der Privatpraxis bereits übermorgen einen Termin, wurde angeboten. Wie viel
privat zu zahlen ist, ist oft unklar. Eine Pauschale für eine Routinekontrolle gibt es bei den meisten Praxen nicht: Der Preis hängt davon ab, welche Untersuchungen durchgeführt werden. Die Honorare schwanken zwischen 80 und 200
Euro und werden nur zum Teil von der Krankenkasse rückerstattet.
Eine Patientin aus Salzburg schildert, sie habe mehr als sechs Monate auf einen Termin beim Augenarzt
warten müssen und sei „zähneknirschend“zu einem früheren Termin
bei einem Wahlarzt gegangen, da
sie bereits Probleme hatte. 150 Euro
musste sie zahlen, eine Zusatzversicherung hat sie nicht. „Ich finde das Honorar in Ordnung, aber als Beitragszahlerin zahle ich zwei Mal: mit den Abzügen von meinem Gehalt und dann noch einmal, um behandelt zu werden. Das kann es doch nicht sein.“
Die Recherche zeigt: Wer sich auf Kasse untersuchen lassen will,
muss mitunter mit langen Wartezeiten rechnen – wenn es überhaupt Termine gibt. Dabei steht Österreich erst am Beginn einer historischen Pensionswelle im medizinischen Bereich. Laut Auskunft der
Ärztekammer ist in den Gesamtverträgen üblicherweise eine Behandlungspflicht
für Vertragsärzte gegenüber den Versicherten festgehalten. In begründeten Fällen kann allerdings die Behandlung auch abgelehnt
Behandlung darf abgelehnt werden
werden, sofern es sich um
keinen Notfall handelt. „Für die ÖÄK ist ein begründeter Fall gegeben, wenn beispielsweise die Kapazitäten einer Ordination überlastet sind, damit keine ordnungsgemäße Betreuung der übrigen Patienten mehr möglich wäre und es so zu einem Qualitätsverlust käme“, schreibt der Pressesprecher.
In den nächsten Wochen werden die „Salzburger Nachrichten“weitere Ergebnisse der gemeinsamen Recherche mit der „Kleinen Zeitung“und den „Vorarlberger Nachrichten“veröffentlichen, um Ursachen und Folgen des Ärztemangels weiter zu beleuchten und Lösungswege aufzuzeigen.