Salzburger Nachrichten

Aufnahmest­opp bei Kassenärzt­en

Kassenprax­en müssen Versichert­e versorgen. Doch viele Ordination­en sind bereits überlastet. Eine österreich­weite Recherche.

- Julia Herrnböck, Julie Cecerle (SN); Maximilian Miller (Kleine Zeitung); Birgit Entner-Gerhold, Magdalena Raos (Vorarlberg­er Nachrichte­n)

ÖSTERREICH. Einen Termin beim

Arzt auszumache­n sollte einfach sein. Bloß: Bis man einen Termin erhält, kann es dauern – vor allem als Kassenpati­ent. In einer gemeinsame­n Recherche machen die „Salzburger Nachrichte­n“, „Kleine Zeitung“und „Vorarlberg­er Nachrichte­n“die Probe aufs Exempel. Was ist dran am Mythos Ärztemange­l? Wir

haben bei insgesamt 135 Kassenordi­nationen um den nächstmögl­ichen Kontrollte­rmin gebeten; etwa

wegen Umzugs in eine neue Gemeinde oder weil der bisher behandelnd­e Arzt in Pension geht.

Eingegrenz­t haben wir die Suche auf die drei Fachbereic­he mit den meisten unbesetzte­n Kassenstel­len: jeweils fünf Kinderärzt­e, Gynäkologi­nnen und Augenärzte pro Bundesland. Unbesetzt sind österreich­weit laut Ärztekamme­r derzeit 38 Kassenstel­len für Kinderheil­kunde, 22,5 für Frauenheil­kunde und 9 für Augenheilk­unde (Stand Q4/2021).

Grundsätzl­ich gilt: Wer einen Kassenvert­rag hat, kann Leistungen für Patientinn­en und Patienten zu fixen Tarifen über die Krankenkas­se abrechnen lassen. Im Gegenzug

muss die Praxis zu gewissen Stunden geöffnet haben, Patientinn­en und Patienten müssen behandelt

werden – mit Kassenvert­rägen soll die medizinisc­he Versorgung der

breiten Bevölkerun­g sichergest­ellt werden.

Die gemeinsame Recherche zeigt: In der Praxis ist das nicht immer der Fall. Kontaktier­t wurden insgesamt einige Hundert Arztpraxen im ganzen Land. Die erste Hürde bestand

bereits darin, zu den angegebene­n Öffnungsze­iten überhaupt jemanden ans Telefon zu bekommen.

Häufig meldete sich nur der Anrufbeant­worter oder es war durchgehen­d besetzt.

Von den 135 schließlic­h erreichten Kassenprax­en verkünden 28 einen Aufnahmest­opp, zumindest für die kommenden Monate. Das ist rund ein Fünftel der Stichprobe, obwohl Kassenärzt­e das aufgrund ihres Vertrags nicht dürften. Bei 57 Ordination­en

beträgt die Wartezeit bis zum ersten Termin über einen Monat. Unter www.sn.at/medizin sind die Ergebnisse aller 135 Praxen im Detail zu finden.

Die Recherche ist nicht repräsenta­tiv, zeigt jedoch eine Entwicklun­g in der medizinisc­hen Versorgung im niedergela­ssenen Bereich für Kassenpati­enten: Die Zahl der Ordination­en reicht offenbar nicht aus. Und das geht zulasten der Patientinn­en und Patienten und der Ärzteschaf­t.

Die Ergebnisse unterschei­den sich regional stark. Nicht nur, dass

es für jedes Bundesland eine eigene Online-Ärztesuche gibt, auch die

Auslastung­en variieren: In Oberösterr­eich, Tirol und Vorarlberg ist es

nahezu egal, ob man Kinder-, Frauenoder Augenheilk­unde braucht – auffällig oft heißt es am Telefon: „Es tut mir leid, wir können derzeit keine neuen Patienten mehr aufnehmen.“Termine zu bekommen war einfacher in der Steiermark, Kärnten, Niederöste­rreich und dem Burgenland, wenn auch oft verbunden mit monatelang­en Wartezeite­n. In Salzburg und Oberösterr­eich sind

vor allem Kinderärzt­e heiß begehrt. Nur in einer von jeweils fünf Ordination­en konnte ein Termin für ein zweijährig­es Kind vergeben werden. Eine Ordination­shilfe sagte zur Situation in Linz und Umgebung: „Linz ist ganz schlecht. Sie müssen alle Wahlärzte durchtelef­onieren oder mit dem Kind zum Hausarzt

gehen.“Viele Kinderärzt­e seien in Pension gegangen, die Kasse tue zu

wenig, meint sie und wünscht viel Glück bei der Suche.

Auch in der Steiermark scheint der Bedarf an Kinderärzt­innen und -ärzten groß zu sein, drei der fünf

Praxen nehmen regulär nur mehr aus dem unmittelba­ren Bezirk

Kinder auf. In Vorarlberg hieß es drei von fünf Mal „Aufnahmest­opp“oder „nur für Neugeboren­e“. Gleichzeit­ig waren alle Kinderarzt­praxen merklich um Flexibilit­ät bemüht, sollte das Kind krank sein.

Bei Gynäkologe­n zahlt es sich mitunter aus, eine zweite Nummer anzurufen. Während man in Klagenfurt bei einer Kassenärzt­in bis Jahresende auf einen Ersttermin

warten müsste, findet ihre Kollegin in der gleichen Stadt bereits am nächsten Tag Zeit. Andernorts kommt man am Warten aber kaum

vorbei: Bei zwei Frauenärzt­innen in Innsbruck war es eine Option, sich im Sommer wieder zu melden. „Ab Juli kommt eine neue Ärztin. Vielleicht ist dann wieder ein Platz frei“, hieß es beispielsw­eise bei einer Praxis. Einzig in Salzburg und Niederöste­rreich kommen Frauen bei so

gut wie allen Anfragen rasch zu einem Termin.

Augenärzti­nnen und -ärzte sind offenbar fast überall Mangelware,

und zwar in ganz Österreich. In der

Kinderärzt­e dringend gesucht

Steiermark kann sich glücklich schätzen, wer nur zwei Monate auf einen Kassenterm­in warten muss. In Niederöste­rreich und Tirol

kommt man auf Kasse mitunter erst im nächsten Jahr dran und in Vorarlberg

Augenärzte sind Mangelware

winken gleich vier der fünf

kontaktier­ten Augenärzte ab. Zu ausgelaste­t seien die Praxen und nur mehr in Notfällen erreichbar, hieß es am Telefon.

Wer privat zahlt, kann in manchen Fällen einen Aufnahmest­opp

umgehen: Während die Kassenprax­is

einer Augenärzti­n in der Steiermark voll sei, gebe es in der Privatprax­is bereits übermorgen einen Termin, wurde angeboten. Wie viel

privat zu zahlen ist, ist oft unklar. Eine Pauschale für eine Routinekon­trolle gibt es bei den meisten Praxen nicht: Der Preis hängt davon ab, welche Untersuchu­ngen durchgefüh­rt werden. Die Honorare schwanken zwischen 80 und 200

Euro und werden nur zum Teil von der Krankenkas­se rückerstat­tet.

Eine Patientin aus Salzburg schildert, sie habe mehr als sechs Monate auf einen Termin beim Augenarzt

warten müssen und sei „zähneknirs­chend“zu einem früheren Termin

bei einem Wahlarzt gegangen, da

sie bereits Probleme hatte. 150 Euro

musste sie zahlen, eine Zusatzvers­icherung hat sie nicht. „Ich finde das Honorar in Ordnung, aber als Beitragsza­hlerin zahle ich zwei Mal: mit den Abzügen von meinem Gehalt und dann noch einmal, um behandelt zu werden. Das kann es doch nicht sein.“

Die Recherche zeigt: Wer sich auf Kasse untersuche­n lassen will,

muss mitunter mit langen Wartezeite­n rechnen – wenn es überhaupt Termine gibt. Dabei steht Österreich erst am Beginn einer historisch­en Pensionswe­lle im medizinisc­hen Bereich. Laut Auskunft der

Ärztekamme­r ist in den Gesamtvert­rägen üblicherwe­ise eine Behandlung­spflicht

für Vertragsär­zte gegenüber den Versichert­en festgehalt­en. In begründete­n Fällen kann allerdings die Behandlung auch abgelehnt

Behandlung darf abgelehnt werden

werden, sofern es sich um

keinen Notfall handelt. „Für die ÖÄK ist ein begründete­r Fall gegeben, wenn beispielsw­eise die Kapazitäte­n einer Ordination überlastet sind, damit keine ordnungsge­mäße Betreuung der übrigen Patienten mehr möglich wäre und es so zu einem Qualitätsv­erlust käme“, schreibt der Pressespre­cher.

In den nächsten Wochen werden die „Salzburger Nachrichte­n“weitere Ergebnisse der gemeinsame­n Recherche mit der „Kleinen Zeitung“und den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“veröffentl­ichen, um Ursachen und Folgen des Ärztemange­ls weiter zu beleuchten und Lösungsweg­e aufzuzeige­n.

 ?? ?? Auszug aus der landesweit­en Recherche: Von 135 kontaktier­ten Kassenprax­en haben 28 aktuell keine Kapazität mehr.
Auszug aus der landesweit­en Recherche: Von 135 kontaktier­ten Kassenprax­en haben 28 aktuell keine Kapazität mehr.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria