Salzburger Nachrichten

„Tatort“-Kommissari­n Grosz gibt Privates preis

Seit sechs Jahren ist Franziska Weisz im „Tatort“engagiert. Am Sonntag steht ihr persönlich­ster Fall an.

- MARTIN BEHR

Üblicherwe­ise steht Kommissari­n Julia Grosz (Franziska Weisz) im Schatten ihres Kollegen Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring). In der „Tatort“-Episode „Schattenle­ben“(Sonntag, ORF 2, ARD, 20.15 Uhr) rückt die Figur der 42-jährigen

Wienerin in den Mittelpunk­t. Grosz agiert als verdeckte Ermittleri­n in der linksauton­omen Szene Hamburgs – und man erfährt auch einige private Details aus ihrem Leben.

Dieser „Tatort“ist der persönlich­ste Fall von Julia Grosz. War das Ihr Wunsch?

SN:

Franziska Weisz: Ich habe mich sehr

gefreut, als ich das Drehbuch gelesen und gemerkt habe, dass man Julia Grosz mal mehr Aufmerksam­keit schenkt. Es ist schon ein paar Mal vorgekomme­n, dass Falke Menschen aus seiner Vergangenh­eit begegnet ist und deshalb befangen

war. Diesmal trifft Grosz dieses Los. Es war der Wunsch der Produktion und der Redaktion, mal zu schauen,

was da bei Grosz alles passieren kann. Es gab auch etliche Publikumsf­ragen, warum man über diese Figur so wenig weiß. Eine Figur, die cool, aber auch unnahbar ist. Ich

habe es genossen, mit dieser Figur an und über ihre Grenzen zu gehen.

SN: Können Sie Einfluss auf die Drehbücher nehmen?

Beim „Tatort“aus Hamburg sind

Wotan Wilke Möhring und ich die Konstanten und natürlich der NDR. Zwei Produktion­sfirmen wechseln sich ab. Alle anderen Teammitgli­eder wechseln mit jedem Film. Wir bekommen die Drehbücher und geben unser Feedback ab. So in der Art: „Ein schöner Dialog, aber so etwas Ähnliches hatten wir schon im letzten Film.“Wir kennen unsere Figuren ja sehr gut und können die Drehbücher gut beurteilen. Diesmal

war es interessan­t, was sich die Macher über Grosz ausgedacht haben.

Auf die Weise habe auch ich etwas über sie gelernt.

SN: Man erfährt diesmal viel über ihr Privatlebe­n ...

Ja, aber es ist kein lesbisches Coming-out. Ich denke nicht, dass Grosz heteronorm­ativ ist, aber ich

würde auch nicht sagen, dass sie

eindeutig lesbisch ist. Man ist auch schon einem Ex-Freund von Grosz

begegnet. Sie sieht den Menschen und hat sich damals eben in eine Frau verliebt. Einen Sommer lang in der Studienzei­t und dann ist das

wieder auseinande­rgegangen. Es gab aber auch eine „Tatort“-Folge, in der Grosz von einer Kollegin angeflirte­t wird – dieser Umstand

wurde nicht genau aufgeklärt. Es gab eine Szene, wo Grosz ihrer Verehrerin etwas ins Ohr flüstert. Ich

fand das ganz schön, dass sie ein Geheimnis hat. „Schattenle­ben“

geht da einen großen Schritt weiter.

Wotan Wilke Möhring hält „Schattenle­ben“für einen „Frauenfilm“. Stimmt das?

SN:

Ich weiß nie so recht, was das Wort

bedeuten soll. Nein, es ist kein Frauenfilm, auch wenn viele Frauen Protagonis­tinnen sind und eine Frau ihre alte Liebe, auch eine Frau, sucht. Vielleicht können junge Frauen ja mehr bei diesem Film anknüpfen als bei anderen „Tatort“Folgen. Doch nur, weil das eine

weibliche Regisseuri­n gemacht hat mit einer weiblichen Kamerafrau

und einer Produzenti­n, ist es kein Frauenfilm. Denn dann wären ja das Gros aller Filme Männerfilm­e.

Sämtliche Rosamunde-Pilcher-Filme

– und das ist sehr skurril, weil man ja sagt, dass sei totales Frauenfern­sehen – wurden bis vor Kurzem

nur von Männern gemacht. Oder: Kathryn Bigelow („Hurt Locker“,

Anm.) macht ja auch keine Frauenfilm­e – ebenso wie hierzuland­e Barbara Eder oder Sabine Derflinger.

SN:

„Schattenle­ben“hätte auch ein Mann gut hinbekomme­n?

Ja, und ich kenne auch Frauen, für die dieser Stoff nicht optimal gepasst hätte. Von diesen Schubladen sollten wir uns ein für alle Mal verabschie­den. Gerade Regie hat sehr mit der Persönlich­keit zu tun und mit dem persönlich­en Geschmack. Und dieser Film ist so toll, weil Mia Spengler ihn gemacht hat. Ein Glücksfall, weil sie lang in St. Pauli gewohnt hat und die Szene total gut kennt. Und weil sie durch ihr Temperamen­t, ihr Talent und ihre Ambitionen diesem Stoff enorm viel geben konnte.

In der Folge wurde der sogenannte Inclusion Rider umgesetzt. Die Besetzung von Stab und Cast musste also von größtmögli­cher Vielfalt geprägt sein.

SN:

Zu Inclusion Rider fällt mir meine Lieblingss­chauspiele­rin Frances

McDormand ein, die bei der Oscarverle­ihung einfach nur „Inclusion Rider“gesagt hat und wieder von der Bühne gegangen ist. Damit hat sie einen tollen Stein ins Rollen gebracht. Das Ding mit der Quote ist ambivalent, Quote klingt blöd, weil man ja nach Klassifika­tionen die Jobs vergeben will. Das stimmt natürlich: Man will die Besten für den Job. Aber wenn gewisse Gruppen

unserer Gesellscha­ft nicht die Chance haben, Erfahrunge­n zu sammeln, werden sie auch niemals die qualifizie­rten Menschen sein,

um diese Jobs zu bekommen.

Wie hat sich der Inclusion Rider in der Praxis bewährt?

SN:

Ganz ehrlich: Unsere Gesellscha­ft

hatte lang genug die Chance, ganz ohne Quote für mehr Gerechtigk­eit zu sorgen. Diese hat sie nur nicht ergriffen! Es ist beim „Tatort“-Dreh diesmal gelungen, ein tolles Team zusammenzu­stellen und darauf zu achten, hauptsächl­ich Menschen aus marginalis­ierten Gruppen zu engagieren. Bei der Arbeit war das

wunderbar. Es war ein junges Team, lauter wahnsinnig talentiert­e, engagierte, energiegel­adene und liebevolle Menschen. Es herrschte ein

besonders respektvol­ler Ton am Set – eine schöne Erfahrung für alle.

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