Droht am Flughafen im Sommer das Chaos?
Aus Personalmangel müssen Airlines ihr Angebot kürzen, just zur Hauptreisezeit.
WIEN. Der Sommer steht vor der Tür. Weil die Coronapandemie vorerst ihren Schrecken verloren hat,
ist die Motivation nach dem Wegfall (fast) aller Coronabeschränkungen, in diesem Sommer zu verreisen, bei
vielen so hoch wie lange nicht. Doch es könnte eine Reise mit Hindernissen werden. Bereits jetzt mehren sich die Anzeichen, dass man bei einer Anreise mit dem Flugzeug eine gehörige Portion Geduld mitbringen muss. An manchen
Flughäfen ist mit längeren Wartezeiten, Verspätungen und dem Ausfall von Flügen zu rechnen.
Was sich im Sommer abspielen könnte, darauf haben Vorfälle in den
vergangenen Wochen einen Vorgeschmack gegeben. So warteten über das Pfingstwochenende Tausende Britinnen und Briten an mehreren Flughäfen auf die Weiterreise, nachdem ihre Flüge kurzfristig ausgefallen waren. Am Flughafen Amsterdam-Schiphol kam es zu chaotischen Zuständen, weil die Fluggesellschaft KLM aus Personalmangel Flüge einstellen musste. Auch British Airways, der Billigflieger Easyjet oder Tui hatten aus Kapazitätsgründen etliche Flüge aus dem Programm
gestrichen. Die auf die Flugbranche spezialisierte Beratungsagentur PC
Agency schätzt, dass über Pfingsten mindestens 15.000 Passagiere von Flugänderungen betroffen waren.
Nachhaltige Besserung ist nicht in Sicht, es dürfte in dieser Tonart
weitergehen. Mitte der Woche kündigten die deutsche AUA-Mutter Lufthansa und ihre Tochter Eurowings an, im Juli zusammen mehr als 1000 Flüge streichen zu müssen. Die Ausfälle betreffen die Wochentage Freitag, Samstag und Sonntag, an denen die Kapazitäten um gut fünf Prozent reduziert werden.
Grund für Verzögerungen und Ausfälle ist das Zusammentreffen zweier Entwicklungen infolge der
Pandemie. Einerseits ist der Andrang nach Flugreisen nach zwei
Jahren Coronabeschränkungen aktuell besonders hoch. Dieser stärkeren Nachfrage stehen aber ausgedünnte Mitarbeiterzahlen gegenüber. Seit März 2020 war der Flugverkehr teilweise komplett zum Erliegen gekommen. Viele Beschäftigte wechselten die Branche.
Jetzt werden fieberhaft neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht. Deutsche Flughäfen haben
bereits um den Einsatz von 2000 Leiharbeitern aus der Türkei angesucht – so groß ist der Bedarf.
Österreich sollte von solchen Entwicklungen weitgehend verschont bleiben, versichern die zuständigen Stellen – obwohl man gegen importierte Störungen nicht immun sei. Man sei aber „gut vorbereitet, um ein erhöhtes Verkehrsaufkommen sicher und pünktlich abzuwickeln“, betont die für die Flugsicherung verantwortliche Austro Control. Im Sommer werden
bis zu 3500 Flugbewegungen im heimischen Luftraum täglich erwartet, damit würden die Spitzenwerte von 2019 (knapp 3400 Bewegungen) übertroffen. Laufend sucht man neues Personal. Am Samstag (11. Juni) findet in Wien ein Recruiting Day statt, bei dem man 40 Bewerber für den Lotsenausbildungskurs im Oktober finden will.
Auch die AUA und der Flughafen Wien betonen, für den erwarteten Ansturm gerüstet zu sein. Die AUA hat kürzlich 150 Flugbegleiterinnen und -begleiter aufgenommen, die im Sommer zum Einsatz kommen sollen und 10 Prozent des gesamten
Kabinenpersonals ausmachen.
Beim Flughafen Wien liegt man aktuell bei 65 bis 70 Prozent des
Passagieraufkommens vor Corona. Mit einem Personalstand von 80 Prozent von 2019 könne man das
Aufkommen damit gut abdecken, versichert der Airport. 100 Leute wurden neu für die Bereiche Sicherheitskontrolle, Passagier- und Bodenabfertigung aufgenommen.
Die AUA bewegt sich bei touristischen Zielen in Europa auf Höchstwerten. In diesem Bereich gebe es um 20 Prozent mehr Angebot als im Sommer 2019, erklärt eine Sprecherin. Diese Flüge seien „teils schon
gut gefüllt, Ferienflieger nach Spanien, Griechenland oder in die Türkei sind im Juli und August schon zu rund 85 Prozent voll“. Vorerst noch „lockerer“sei die Buchungslage bei klassischen Städtereisen wie nach Venedig, Rom oder Barcelona.
Als Grund, warum es in Österreich kaum Probleme geben sollte, wird die Kurzarbeit genannt. Sie habe es ermöglicht, Mitarbeiter auch weiter zu beschäftigen, als die gesamte Luftfahrt am Boden war.
Nicht alle teilen den Optimismus. Die Dienstleistungsgewerkschaft
Vida warnt, man werde wegen Personalengpässen bei Bodendiensten und Flugsicherung „wenn überhaupt, nur mit Ach und Krach über die Sommermonate kommen“. Um
Personal zu halten und neues auszubilden, fordert Vida-Gewerkschafter Daniel Liebhart „gute Löhne und Arbeitsbedingungen“.
Auch für Rechtsanwalt Alexander Skribe ist die aktuelle Konstellation „der Stoff, aus dem Probleme sind“. Denn „immer nach größeren
Umwälzungen dauert es, bis der extrem vernetzte Apparat wieder funktioniert“, sagt er. Er hat sich darauf spezialisiert, Fluggästen gegenüber Airlines zu ihrem Recht zu verhelfen. In zehn Jahren habe seine Kanzlei 257.000 Fälle aus Österreich
und Deutschland untersucht. Bei 70 Prozent wurden Ansprüche erkannt, die dann fast ausnahmslos durchgesetzt werden konnten, vor Gericht oder außerhalb.
Zwar sei jeder Fall anders gelagert, trotzdem ließen sich gewisse
Algorithmen ableiten, sagt Skribe. Der Anwalt erkannte darin ein Geschäftsmodell und entwickelt heute in erster Linie die Software dazu.
Die Höhe der Entschädigung hat übrigens nichts mit dem Kaufpreis zu tun, sie richtet sich nach Flugdistanz und Dauer der Verspätung – die mindestens drei Stunden betragen muss, damit ein Anspruch besteht. Passagiere können dann auch mehr bekommen, als sie bezahlt haben. Skribe erinnert sich an einen Fall, bei dem Passagiere für einen 120-Euro-Flug ins ägyptische Hurghada eine Entschädigung von 500 Euro bekommen hätten.