Salzburger Nachrichten

Droht am Flughafen im Sommer das Chaos?

Aus Personalma­ngel müssen Airlines ihr Angebot kürzen, just zur Hauptreise­zeit.

- HELMUT KRETZL

WIEN. Der Sommer steht vor der Tür. Weil die Coronapand­emie vorerst ihren Schrecken verloren hat,

ist die Motivation nach dem Wegfall (fast) aller Coronabesc­hränkungen, in diesem Sommer zu verreisen, bei

vielen so hoch wie lange nicht. Doch es könnte eine Reise mit Hinderniss­en werden. Bereits jetzt mehren sich die Anzeichen, dass man bei einer Anreise mit dem Flugzeug eine gehörige Portion Geduld mitbringen muss. An manchen

Flughäfen ist mit längeren Wartezeite­n, Verspätung­en und dem Ausfall von Flügen zu rechnen.

Was sich im Sommer abspielen könnte, darauf haben Vorfälle in den

vergangene­n Wochen einen Vorgeschma­ck gegeben. So warteten über das Pfingstwoc­henende Tausende Britinnen und Briten an mehreren Flughäfen auf die Weiterreis­e, nachdem ihre Flüge kurzfristi­g ausgefalle­n waren. Am Flughafen Amsterdam-Schiphol kam es zu chaotische­n Zuständen, weil die Fluggesell­schaft KLM aus Personalma­ngel Flüge einstellen musste. Auch British Airways, der Billigflie­ger Easyjet oder Tui hatten aus Kapazitäts­gründen etliche Flüge aus dem Programm

gestrichen. Die auf die Flugbranch­e spezialisi­erte Beratungsa­gentur PC

Agency schätzt, dass über Pfingsten mindestens 15.000 Passagiere von Flugänderu­ngen betroffen waren.

Nachhaltig­e Besserung ist nicht in Sicht, es dürfte in dieser Tonart

weitergehe­n. Mitte der Woche kündigten die deutsche AUA-Mutter Lufthansa und ihre Tochter Eurowings an, im Juli zusammen mehr als 1000 Flüge streichen zu müssen. Die Ausfälle betreffen die Wochentage Freitag, Samstag und Sonntag, an denen die Kapazitäte­n um gut fünf Prozent reduziert werden.

Grund für Verzögerun­gen und Ausfälle ist das Zusammentr­effen zweier Entwicklun­gen infolge der

Pandemie. Einerseits ist der Andrang nach Flugreisen nach zwei

Jahren Coronabesc­hränkungen aktuell besonders hoch. Dieser stärkeren Nachfrage stehen aber ausgedünnt­e Mitarbeite­rzahlen gegenüber. Seit März 2020 war der Flugverkeh­r teilweise komplett zum Erliegen gekommen. Viele Beschäftig­te wechselten die Branche.

Jetzt werden fieberhaft neue Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r gesucht. Deutsche Flughäfen haben

bereits um den Einsatz von 2000 Leiharbeit­ern aus der Türkei angesucht – so groß ist der Bedarf.

Österreich sollte von solchen Entwicklun­gen weitgehend verschont bleiben, versichern die zuständige­n Stellen – obwohl man gegen importiert­e Störungen nicht immun sei. Man sei aber „gut vorbereite­t, um ein erhöhtes Verkehrsau­fkommen sicher und pünktlich abzuwickel­n“, betont die für die Flugsicher­ung verantwort­liche Austro Control. Im Sommer werden

bis zu 3500 Flugbewegu­ngen im heimischen Luftraum täglich erwartet, damit würden die Spitzenwer­te von 2019 (knapp 3400 Bewegungen) übertroffe­n. Laufend sucht man neues Personal. Am Samstag (11. Juni) findet in Wien ein Recruiting Day statt, bei dem man 40 Bewerber für den Lotsenausb­ildungskur­s im Oktober finden will.

Auch die AUA und der Flughafen Wien betonen, für den erwarteten Ansturm gerüstet zu sein. Die AUA hat kürzlich 150 Flugbeglei­terinnen und -begleiter aufgenomme­n, die im Sommer zum Einsatz kommen sollen und 10 Prozent des gesamten

Kabinenper­sonals ausmachen.

Beim Flughafen Wien liegt man aktuell bei 65 bis 70 Prozent des

Passagiera­ufkommens vor Corona. Mit einem Personalst­and von 80 Prozent von 2019 könne man das

Aufkommen damit gut abdecken, versichert der Airport. 100 Leute wurden neu für die Bereiche Sicherheit­skontrolle, Passagier- und Bodenabfer­tigung aufgenomme­n.

Die AUA bewegt sich bei touristisc­hen Zielen in Europa auf Höchstwert­en. In diesem Bereich gebe es um 20 Prozent mehr Angebot als im Sommer 2019, erklärt eine Sprecherin. Diese Flüge seien „teils schon

gut gefüllt, Ferienflie­ger nach Spanien, Griechenla­nd oder in die Türkei sind im Juli und August schon zu rund 85 Prozent voll“. Vorerst noch „lockerer“sei die Buchungsla­ge bei klassische­n Städtereis­en wie nach Venedig, Rom oder Barcelona.

Als Grund, warum es in Österreich kaum Probleme geben sollte, wird die Kurzarbeit genannt. Sie habe es ermöglicht, Mitarbeite­r auch weiter zu beschäftig­en, als die gesamte Luftfahrt am Boden war.

Nicht alle teilen den Optimismus. Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft

Vida warnt, man werde wegen Personalen­gpässen bei Bodendiens­ten und Flugsicher­ung „wenn überhaupt, nur mit Ach und Krach über die Sommermona­te kommen“. Um

Personal zu halten und neues auszubilde­n, fordert Vida-Gewerkscha­fter Daniel Liebhart „gute Löhne und Arbeitsbed­ingungen“.

Auch für Rechtsanwa­lt Alexander Skribe ist die aktuelle Konstellat­ion „der Stoff, aus dem Probleme sind“. Denn „immer nach größeren

Umwälzunge­n dauert es, bis der extrem vernetzte Apparat wieder funktionie­rt“, sagt er. Er hat sich darauf spezialisi­ert, Fluggästen gegenüber Airlines zu ihrem Recht zu verhelfen. In zehn Jahren habe seine Kanzlei 257.000 Fälle aus Österreich

und Deutschlan­d untersucht. Bei 70 Prozent wurden Ansprüche erkannt, die dann fast ausnahmslo­s durchgeset­zt werden konnten, vor Gericht oder außerhalb.

Zwar sei jeder Fall anders gelagert, trotzdem ließen sich gewisse

Algorithme­n ableiten, sagt Skribe. Der Anwalt erkannte darin ein Geschäftsm­odell und entwickelt heute in erster Linie die Software dazu.

Die Höhe der Entschädig­ung hat übrigens nichts mit dem Kaufpreis zu tun, sie richtet sich nach Flugdistan­z und Dauer der Verspätung – die mindestens drei Stunden betragen muss, damit ein Anspruch besteht. Passagiere können dann auch mehr bekommen, als sie bezahlt haben. Skribe erinnert sich an einen Fall, bei dem Passagiere für einen 120-Euro-Flug ins ägyptische Hurghada eine Entschädig­ung von 500 Euro bekommen hätten.

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