Zehnjährige floh allein vor dem Krieg
Bis nach Australien reiste Victoria zu einer Freundin der Familie. Dabei fragte sie die Stewardessen nur: „Darf ich im Flugzeug schlafen?“
SYDNEY. In Medieninterviews wird sie nur „Victoria“genannt, den vollen Namen will die Familie aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen. Gut 15.000 Kilometer und drei Flüge musste sie überbrücken,
um nach dem Grenzübertritt von Ungarn über Dubai bis nach Brisbane zu kommen. Die Zehnjährige hatte nur eine kleine Tasche mit ein
paar Habseligkeiten dabei, darunter eine ukrainische Flagge, die sie jetzt stolz an ihrer Schlafzimmerwand hängen hat.
„Zu Hause musste sie teilweise bis zu sechs Stunden in einem Bunker sitzen, um sich vor den russischen Bomben zu schützen“, sagte
Veronika Rowe in einem Telefoninterview. Die aus der Ukraine stammende Frau, die in Australien lebt, ist eine Freundin von Victorias Mutter und hat angeboten, sich um das Mädchen zu kümmern, während seine Eltern in der Heimat um ihr
Land kämpfen. So ist Victorias Vater
direkt an der Front im Einsatz.
Während des Telefonats erklärt Rowe, dass die Familie seit drei Tagen keinen Kontakt zu ihm habe und nicht wisse, ob er noch lebt.
Die Reise selbst hat Victoria erstaunlich gut gemeistert. Nachdem
ein Kontakt, den Rowe bezahlte, sie aus der Ukraine bis nach Budapest gebracht hatte, flog sie ab dort eigenständig bis nach Australien. Im Gespräch mit australischen Medien
berichtete Rowe, wie der „Überlebensinstinkt“Victorias eingesetzt habe. „Sie hatte keine Wutanfälle, sie hat nicht geweint“, sagte sie. „Sie
fragte nur: ,Kann ich im Flugzeug schlafen?‘“Letzteres hätten ihr die
Angestellten von Emirates am Flughafen berichtet.
Rowe hatte sämtlichen Familienangehörigen und Freunden Hilfe angeboten, „aber niemand sonst
wollte kommen“, berichtete sie. „Alle wollen ihr Land verteidigen.“
Victoria erweist sich indessen in Australien nun als ebenso mutig und resilient wie während der Reise. Noch in der Ukraine hatte sie in einem Videoanruf gesagt, sie wolle nach Australien kommen, um „blauen Himmel und Sonne“zu sehen. In ihrem neuen Heimatort hat sie davon nun ausreichend, mit ihrer Pflegefamilie hat sie auch schon einige von Australiens schönsten Stränden besucht.
Mitte Juni soll die Zehnjährige nun auch wieder zur Schule gehen. „Meine Tochter und ich versuchen gerade, ihr die wichtigsten Worte auf Englisch beizubringen“, berichtete Rowe. Victoria fange in der vierten Klasse an und sie sei sich sicher, dass
das junge Mädchen auch diesen Neuanfang gut bewältigen werde. „Sie stellt eine Menge Fragen
und sie ist sehr schlau.“
Am Ziel erweist sie sich als ebenso mutig