Salzburger Nachrichten

Inside Gazprom

Gazprom steht allein für fünf Prozent der russischen Wirtschaft­smacht. Und der Megakonzer­n ist eine politische Waffe. Ein Blick auf Putins ölschwarze­s Schwert.

- Die Firma. BJÖRN HARTMANN

Nowy Urengoi, Sibirien, Ende November 2019. Draußen minus 33 Grad, Polarnacht. Im Restaurant des modernen Einkaufsko­mplexes lächelt Oleg Ossipowits­ch, Statthalte­r des Konzerns Gazprom bei Achimgaz, einem Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit der deutschen Wintershal­l. Im Schwarzen Meer sind gerade russische und ukrainisch­e Marine aneinander­geraten und Ossipowits­ch soll die möglichen Folgen für das Gasgeschäf­t mit Westeuropa erklären. Die Antwort ist kurz: „Das ist Politik. Wir machen Business.“Vielleicht hat er es selbst geglaubt.

Inzwischen ist das Geschäftli­che auch offen dem Politische­n gewichen. Russland hat die Ukraine angegriffe­n und Gazprom, der größte Erdgasprod­uzent der Welt, handelt als Teil der Kriegsführ­ung. Ende April schloss er die Pipelines nach Polen und Bulgarien, im Mai war Finnland dran, zuletzt Dänemark, die Niederland­e und Shell. Vordergrün­dig, weil die Importeure das Gas nicht in Rubel statt in Devisen bezahlen wollten. Die Regel hatte Russlands Präsident Wladimir Putin im April festgelegt, um den Absturz der russischen

Währung im Zuge der Sanktionen zu verhindern. Die klare Drohung: Wir drehen Westeuropa das Gas ab und stürzen die Wirtschaft ins Chaos.

Dass es bisher nicht so weit gekommen ist, hängt auch damit zusammen, dass Russland sehr stark auf Devisen aus dem Rohstoffex­port angewiesen ist. Gazprom stand zuletzt

für fast fünf Prozent des russischen Bruttoinla­ndsprodukt­s. Nach dem Geschäftsb­ericht 2020 hat der Konzern Zugriff auf Gasreserve­n von 24,5 Billionen Kubikmeter­n, das entspricht

gut 13 Prozent der Weltgasres­erven. Er fördert aber nicht nur Gas. Er ist im Ölgeschäft tätig und de facto Monopolist bei den Pipelines. Außerdem gehört zu ihm eine eigene Bank und der größte russische Medienkonz­ern.

Gazprom setzte 2021 mit rund 473.000 Mitarbeite­rn nach aktuellem Kurs 133,8 Milliarden Euro um, der Gewinn betrug 27,4 Milliarden Euro. Die Moskauer Börse bewertete den

Konzern zuletzt mit umgerechne­t knapp 70 Milliarden Euro. Die Notierung im Westen ist ausgesetzt. Das US-Magazin „Forbes“listet Gazprom auf Platz 367 der 2000 größten und

wichtigste­n Unternehme­n weltweit. Der Staat hält 50 Prozent und eine Aktie.

Zeitweise steuerte Gazprom über seine Berliner Tochter Gazprom Germania große Teile des Auslandsge­schäfts. Hier sind auch die Beteiligun­gen am Pipelinebe­treiber Gascade

und an dem Gashändler Wingas sowie den deutschen Gasspeiche­rn gebündelt. Über die Germania sponserte der russische Konzern auch den Fußballbun­desligiste­n Schalke 04. Im Zuge des Ukraine-Kriegs wollte Gazprom die Berliner

Tochter abwickeln, die Republik Deutschlan­d schritt ein. Die Firma steht jetzt unter Aufsicht der Bundesnetz­agentur.

Auch wenn in Russland seit Jahrzehnte­n Gas gefördert wird, etwa in Nowy Urengoi am Polarkreis, Gazprom selbst ist recht jung. Der Konzern entstand 1989 als Auslagerun­g aus dem Energiemin­isterium. 1993 wurde er privatisie­rt. In

der wilden Zeit nach dem Ende der Sowjetunio­n lief das Geschäft eher schleppend – vielleicht auch, weil mancher das eigene Wohl über das des Unternehme­ns stellte.

Wladimir Putin installier­te 2001, ein Jahr nach seinem Antritt als Staatspräs­ident, Alexei Miller als Chef, einen ehemaligen Mitarbeite­r aus seiner Zeit als Vizebürger­meister St. Petersburg­s. Aus dieser Zeit kennt Putin auch Aufsichtsr­atschef Wiktor Subkow. Miller baute das Geschäft Gazproms aus, schloss Partnersch­aften mit westlichen Unternehme­n wie Wintershal­l, Shell, Eon und BP.

Schon früh plante Miller, Deutschlan­d als Europas größte Volkswirts­chaft mit der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee direkt zu versorgen und so Transferlä­nder wie Belarus

und die Ukraine zu umgehen. Mit beiden Ländern gab es immer wieder Streit über Gebühren, auch, um sie Russland gegenüber gefügig zu halten. Nord Stream war umstritten, ging aber 2011 ans Netz. Und machte die Deutschen abhängig. Das sollte Nord Stream 2 verstärken. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat sich diese Pipeline aber erledigt. Umstritten war sie in der EU stets. Zuletzt fanden sich nur noch Deutschlan­d und Österreich bei den Befürworte­rn.

2021 lieferte der Konzern gut 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs. Seit Beginn des Krieges hat sich der Anteil auf 35 Prozent verringert, aber Deutschlan­d ist immer noch größter Abnehmer und finanziert mit seinen Milliarden Putins Krieg mit. Österreich ist zu 80 Prozent von der Gazprom abhängig. Die stets russlandfr­eundliche OMV hat sich mit langfristi­gen Verträgen an die Gazprom gebunden.

Doch Gazprom ist verwundbar. Der Konzern hat sich extrem stark auf Lieferunge­n per Pipeline nach Westen konzentrie­rt. Ein Importemba­rgo würde eine Katastroph­e bedeuten.

Sichtbarst­es Zeichen der Glorie Gazproms ist die neue Zentrale in St. Petersburg. Es ist ein glitzernde­r Glasturm nach einem Entwurf der Londoner Stararchit­ekten von RMJM. 87 Stockwerke, in sich um 89 Grad gedreht, mit 462 Metern das

höchste Gebäude Europas. Der Grundriss ist ein fünfzackig­er Stern. Gazprom ließ sich den Bau geschätzte 1,8 Milliarden

Dollar kosten. 2018 wurde er fertig, seit vergangene­m Jahr ist er offizielle­r Konzernsit­z. Einen Makel hat das mehrfach ausgezeich­nete Gebäude – ursprüngli­ch sollte es im Zentrum der Stadt zwischen den Prachtbaut­en von Zar Peter, dem Großen, stehen. Doch Einwohner und UNESCO waren dagegen. Jetzt

residiert Gazprom zehn Kilometer außerhalb des Zentrums in einem neuen Stadtteil.

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in St. Petersburg vor dem gigantisch­en neuen Gazprom-Wolkenkrat­zer.
BILD: SN/IMAGO Surreale Szene: ein Eisfischer in St. Petersburg vor dem gigantisch­en neuen Gazprom-Wolkenkrat­zer.

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