Erotische Ökologie
Der Mensch ist zu klein für Größenwahn. Warum „hier Mensch, dort Natur“eine Todsünde ist und was die Verbundenheit mit dem Ganzen bedeutet.
„Alles fühlt“, sagt der Biologe und Philosoph Andreas Weber. Ein SN-Gespräch mit dem Eröffnungsredner der Goldegger Dialoge 2022 über seinen Versuch, Ökonomie,
Natur und Menschlichkeit zu versöhnen.
SN:
Der Mensch machte sich die Natur untertan. Gleichzeitig geriet er damit in einen epochalen Konflikt mit dem Planeten. Wie ist dieser Zwiespalt aufzulösen?
Andreas Weber: Wir haben die Natur zum Objekt unserer Verfügungsgewalt gemacht und uns von ihr getrennt. Die Folge ist, dass man die Natur entweder
beherrschen muss, um ihr nicht ausgeliefert zu sein, oder mit ihr verschmelzen muss, um glücklich zu sein. Ich spreche dagegen in meiner erotischen Ökologie
nicht von der Natur, sondern von nicht-menschlichen Subjekten. Das hebt den Gegensatz auf „hier Mensch, dort Natur“und stellt eine grundsätzliche Gemeinsamkeit her. Dann sind wir in einer Welt, die wir mit anderen Subjekten, mit Tieren und Pflanzen, teilen müssen, damit alle gemeinsam weiterleben können.
SN: Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung?
Das ist ein sehr belasteter Begriff. Ich möchte den Menschen aber auch nicht degradieren. Wir haben die
besondere Eigenschaft, dass wir uns darum kümmern können – und müssen –, dass die Gemeinschaft aller Lebewesen erhalten bleibt und die Ökoprozesse weiterhin fruchtbar ablaufen.
Gerade weil der Mensch diese Bürde der Verantwortung hat, hat er keine Vorrechte. Es gibt aber seit der Romantik eine geistige Konjunktur, dass das Unmäßige, das Prometheische, die tiefste innere Identität des Menschen sei. Er fügt sich nie ganz ein, er
muss sich eine Bresche schlagen. Das ist einerseits das Großartige an ihm. Aber sobald es in Narzissmus und technologischen Größenwahn
umschlägt, ist es eine ökologische Todsünde. Unmäßige Dominanz und Herausnahme eigener Rechte sind ökologische Killer. Der Mensch ist schlichtweg zu klein für Größenwahn und er hat zu wenig Überblick, weil er zu sehr verwoben ist mit dem Ganzen des Lebens.
SN: Jeder babylonische Turmbau endet im Chaos?
Solche Parabeln der Arroganz finden wir oft in alten Kulturen. Sie wussten, dass man dem Menschen beibringen muss,
nicht zu hoch zu greifen, weil er sonst tief fällt. Unsere technische Zivilisation hat das außer
Kraft gesetzt. Sie kann anscheinend gar nicht hoch genug greifen. Aber irgendwann ist es zu viel. Wir sind immer Teil eines Gegenseitigkeitsprozesses. Ich
kann mich der Welt nicht gegenüberstellen als ihr Beherrscher, weil ich damit meine Existenzgrundlage verliere. Als Teil dieser
Welt bin ich auch die
Welt. Das ist doch toll!
Was ist die Alternative zum Größenwahn und zur Beherrschung der Natur?
SN:
Die Alternative ist, dass wir mit allen nicht-menschlichen Wesen wieder gleichberechtigt leben, anstatt zu
glauben, wir stünden über ihnen. Alle sind Partner des Lebens und deshalb haben alle Anrecht auf das Leben. Der gesellschaftliche Weg dahin ist steinig, weil vielfältige ökonomische Interessen dagegenstehen und unsere ganze Sichtweise auf die Natur als Objekt. Aber es gibt
viele Ansätze des Teilens und der Beteiligung, die in diese Richtung führen. Ansätze einer Wirtschaft der „Commons“, in der alle etwas erhalten und alle etwas
beitragen müssen. Konjunktur haben auch die Rechte der Natur auf juristischer Ebene. Der Fluss Whanganui
in Neuseeland wurde zur Person erklärt.
SN: Wie sieht die Welt aus, die Sie fantasieren? Sie wäre erheblich langsamer, sie wäre von erheblich weniger Dingen bevölkert, es gäbe erheblich weniger
Abfall, aber auch erheblich weniger emotionalen Abfall. Allen empirischpsychologischen Studien zufolge sind Menschen, die in Gegenseitigkeit leben, zufriedener als Menschen in
Konsumgesellschaften mit Kühlschrank und Streamingdienst. Sich in Gegenseitigkeit neu zu finden würde dazu führen, dass es den Menschen seelisch besser ginge.
Aber das ist heute ganz schlecht zu verkaufen.
SN:
Weil jeder gern den Kühlschrank nimmt, wenn er ihn bekommen kann.
Ja, aber das heißt nicht, dass es den Menschen nicht sehr gut geht, solange sie keinen Kühlschrank haben. Denn mit dem Kühlschrank nehmen sie auch die ganze
moderne Infrastruktur mit, von der Erwerbsarbeit bis zu den multinationalen Konzernen. Kurt Tucholsky hat 1924 gesagt, ich kann sehr komfortabel leben ohne die Erfindungen des Jahres 2400. So relativ ist das Materielle für das Wohlbefinden. Das Vielversprechendste ist daher, dass jede und jeder im eigenen Umfeld damit anfängt, die Augenhöhe mit nicht-menschlichem Leben herzustellen. Das führt unmittelbar dazu, dass sich Menschen besser fühlen, und es ist zugleich
ein politischer Akt.
SN: Sie erwähnen immer die Naturvölker als Vorbild. Aber dorthin zurück können und wollen die meisten nicht.
Wenn Sie mich fragen, wie die Mischform des Menschen aussieht zwischen Naturvolk und hoch technisierter Zivilisation, muss ich sagen, dass ich dafür kein gesellschaftliches Modell habe. Es ist klar, dass man niemals je irgendwohin zurück kann. Es gibt kein Paradies. Leben ist immer eine große Herausforderung. Es ist tödlich. Das ist für niemanden ein Spaß. Gleichzeitig ist diese tödliche Seite der Motor dafür, dass Leben sich immer wieder fortsetzt. Wer behauptet, für diese Problematik unserer Existenz eine harmonischsymbiotische Auflösung zu haben, ist ein Esoteriker.
Die Welt ist kein Kindergeburtstag. Aber sie ist auch kein erbarmungsloser Kriegsschauplatz. Es gibt keinen Grund, einen erbarmungslosen Krieg zu führen gegen andere Menschen oder gegen die Natur.
Goldegger Dialoge: Andreas Weber ist am Donnerstag, 16. Juni, der Eröffnungsredner der
Goldegger Dialoge. Das ganze Programm siehe: WWW.SCHLOSSGOLDEGG.AT
Im SN-Saal: Dienstag, 14. Juni, 19.00 Uhr, Pre-Opening der Goldegger Dialoge zum Thema „Verbunden sein. Standhalten gegen Spaltung, Hass und Krieg“. Podiumsgespräch und Diskussion mit Joachim Bauer, Arzt und Neurologe, und Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolksbegehren.
Anmeldung: SN.at/reservierung, Tel. 0662/8373-222
Sich verhaspeln
Beim Spinnen mit dem Spinnrad wurde früher aus unbearbeiteter Wolle Garn
gesponnen, dieses wurde auf einer Haspel aufgerollt. Verlor man beim
Aufrollen den Faden, hat man sich „verhaspelt“.
Ojemine!
Der Ursprung dieses sehr alten Ausrufs
liegt im Lateinischen. In vielen Gebeten sprach man Jesus mit den Worten O Jesu Domine, zu Deutsch: O Herr Jesus, an. Und wie es mit der Sprache so
geht – man nahm es nicht so ganz genau mit der Aussprache, und fertig war ojemine!