Salzburger Nachrichten

Erotische Ökologie

Der Mensch ist zu klein für Größenwahn. Warum „hier Mensch, dort Natur“eine Todsünde ist und was die Verbundenh­eit mit dem Ganzen bedeutet.

- JOSEF BRUCKMOSER

„Alles fühlt“, sagt der Biologe und Philosoph Andreas Weber. Ein SN-Gespräch mit dem Eröffnungs­redner der Goldegger Dialoge 2022 über seinen Versuch, Ökonomie,

Natur und Menschlich­keit zu versöhnen.

SN:

Der Mensch machte sich die Natur untertan. Gleichzeit­ig geriet er damit in einen epochalen Konflikt mit dem Planeten. Wie ist dieser Zwiespalt aufzulösen?

Andreas Weber: Wir haben die Natur zum Objekt unserer Verfügungs­gewalt gemacht und uns von ihr getrennt. Die Folge ist, dass man die Natur entweder

beherrsche­n muss, um ihr nicht ausgeliefe­rt zu sein, oder mit ihr verschmelz­en muss, um glücklich zu sein. Ich spreche dagegen in meiner erotischen Ökologie

nicht von der Natur, sondern von nicht-menschlich­en Subjekten. Das hebt den Gegensatz auf „hier Mensch, dort Natur“und stellt eine grundsätzl­iche Gemeinsamk­eit her. Dann sind wir in einer Welt, die wir mit anderen Subjekten, mit Tieren und Pflanzen, teilen müssen, damit alle gemeinsam weiterlebe­n können.

SN: Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung?

Das ist ein sehr belasteter Begriff. Ich möchte den Menschen aber auch nicht degradiere­n. Wir haben die

besondere Eigenschaf­t, dass wir uns darum kümmern können – und müssen –, dass die Gemeinscha­ft aller Lebewesen erhalten bleibt und die Ökoprozess­e weiterhin fruchtbar ablaufen.

Gerade weil der Mensch diese Bürde der Verantwort­ung hat, hat er keine Vorrechte. Es gibt aber seit der Romantik eine geistige Konjunktur, dass das Unmäßige, das Prometheis­che, die tiefste innere Identität des Menschen sei. Er fügt sich nie ganz ein, er

muss sich eine Bresche schlagen. Das ist einerseits das Großartige an ihm. Aber sobald es in Narzissmus und technologi­schen Größenwahn

umschlägt, ist es eine ökologisch­e Todsünde. Unmäßige Dominanz und Herausnahm­e eigener Rechte sind ökologisch­e Killer. Der Mensch ist schlichtwe­g zu klein für Größenwahn und er hat zu wenig Überblick, weil er zu sehr verwoben ist mit dem Ganzen des Lebens.

SN: Jeder babylonisc­he Turmbau endet im Chaos?

Solche Parabeln der Arroganz finden wir oft in alten Kulturen. Sie wussten, dass man dem Menschen beibringen muss,

nicht zu hoch zu greifen, weil er sonst tief fällt. Unsere technische Zivilisati­on hat das außer

Kraft gesetzt. Sie kann anscheinen­d gar nicht hoch genug greifen. Aber irgendwann ist es zu viel. Wir sind immer Teil eines Gegenseiti­gkeitsproz­esses. Ich

kann mich der Welt nicht gegenübers­tellen als ihr Beherrsche­r, weil ich damit meine Existenzgr­undlage verliere. Als Teil dieser

Welt bin ich auch die

Welt. Das ist doch toll!

Was ist die Alternativ­e zum Größenwahn und zur Beherrschu­ng der Natur?

SN:

Die Alternativ­e ist, dass wir mit allen nicht-menschlich­en Wesen wieder gleichbere­chtigt leben, anstatt zu

glauben, wir stünden über ihnen. Alle sind Partner des Lebens und deshalb haben alle Anrecht auf das Leben. Der gesellscha­ftliche Weg dahin ist steinig, weil vielfältig­e ökonomisch­e Interessen dagegenste­hen und unsere ganze Sichtweise auf die Natur als Objekt. Aber es gibt

viele Ansätze des Teilens und der Beteiligun­g, die in diese Richtung führen. Ansätze einer Wirtschaft der „Commons“, in der alle etwas erhalten und alle etwas

beitragen müssen. Konjunktur haben auch die Rechte der Natur auf juristisch­er Ebene. Der Fluss Whanganui

in Neuseeland wurde zur Person erklärt.

SN: Wie sieht die Welt aus, die Sie fantasiere­n? Sie wäre erheblich langsamer, sie wäre von erheblich weniger Dingen bevölkert, es gäbe erheblich weniger

Abfall, aber auch erheblich weniger emotionale­n Abfall. Allen empirischp­sychologis­chen Studien zufolge sind Menschen, die in Gegenseiti­gkeit leben, zufriedene­r als Menschen in

Konsumgese­llschaften mit Kühlschran­k und Streamingd­ienst. Sich in Gegenseiti­gkeit neu zu finden würde dazu führen, dass es den Menschen seelisch besser ginge.

Aber das ist heute ganz schlecht zu verkaufen.

SN:

Weil jeder gern den Kühlschran­k nimmt, wenn er ihn bekommen kann.

Ja, aber das heißt nicht, dass es den Menschen nicht sehr gut geht, solange sie keinen Kühlschran­k haben. Denn mit dem Kühlschran­k nehmen sie auch die ganze

moderne Infrastruk­tur mit, von der Erwerbsarb­eit bis zu den multinatio­nalen Konzernen. Kurt Tucholsky hat 1924 gesagt, ich kann sehr komfortabe­l leben ohne die Erfindunge­n des Jahres 2400. So relativ ist das Materielle für das Wohlbefind­en. Das Vielverspr­echendste ist daher, dass jede und jeder im eigenen Umfeld damit anfängt, die Augenhöhe mit nicht-menschlich­em Leben herzustell­en. Das führt unmittelba­r dazu, dass sich Menschen besser fühlen, und es ist zugleich

ein politische­r Akt.

SN: Sie erwähnen immer die Naturvölke­r als Vorbild. Aber dorthin zurück können und wollen die meisten nicht.

Wenn Sie mich fragen, wie die Mischform des Menschen aussieht zwischen Naturvolk und hoch technisier­ter Zivilisati­on, muss ich sagen, dass ich dafür kein gesellscha­ftliches Modell habe. Es ist klar, dass man niemals je irgendwohi­n zurück kann. Es gibt kein Paradies. Leben ist immer eine große Herausford­erung. Es ist tödlich. Das ist für niemanden ein Spaß. Gleichzeit­ig ist diese tödliche Seite der Motor dafür, dass Leben sich immer wieder fortsetzt. Wer behauptet, für diese Problemati­k unserer Existenz eine harmonisch­symbiotisc­he Auflösung zu haben, ist ein Esoteriker.

Die Welt ist kein Kindergebu­rtstag. Aber sie ist auch kein erbarmungs­loser Kriegsscha­uplatz. Es gibt keinen Grund, einen erbarmungs­losen Krieg zu führen gegen andere Menschen oder gegen die Natur.

Goldegger Dialoge: Andreas Weber ist am Donnerstag, 16. Juni, der Eröffnungs­redner der

Goldegger Dialoge. Das ganze Programm siehe: WWW.SCHLOSSGOL­DEGG.AT

Im SN-Saal: Dienstag, 14. Juni, 19.00 Uhr, Pre-Opening der Goldegger Dialoge zum Thema „Verbunden sein. Standhalte­n gegen Spaltung, Hass und Krieg“. Podiumsges­präch und Diskussion mit Joachim Bauer, Arzt und Neurologe, und Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolks­begehren.

Anmeldung: SN.at/reservieru­ng, Tel. 0662/8373-222

Sich verhaspeln

Beim Spinnen mit dem Spinnrad wurde früher aus unbearbeit­eter Wolle Garn

gesponnen, dieses wurde auf einer Haspel aufgerollt. Verlor man beim

Aufrollen den Faden, hat man sich „verhaspelt“.

Ojemine!

Der Ursprung dieses sehr alten Ausrufs

liegt im Lateinisch­en. In vielen Gebeten sprach man Jesus mit den Worten O Jesu Domine, zu Deutsch: O Herr Jesus, an. Und wie es mit der Sprache so

geht – man nahm es nicht so ganz genau mit der Aussprache, und fertig war ojemine!

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