Salzburger Nachrichten

Cowboy mit Schießverb­ot

- GASTAUTOR O. P. Zier ist Schriftste­ller in Salzburg.

In einer Zeit, in der das autokratis­che Putin-Regime in Europa nach der gewaltsame­n Annexion der Krim auch noch einen völkerrech­tswidrigen Angriffskr­ieg entfacht und mit Massenmord und Zerstörung furchtbare­s Leid über die Menschen der Ukraine gebracht, eigene russische Soldaten in den Tod geschickt und in der Folge in allen Staaten massive Aufrüstung ausgelöst hat, wird mir zwangsläuf­ig mehr

denn je das große Privileg des Aufwachsen­s meiner Generation als Friedenski­nder bewusst.

Keine zehn Jahre nach Ende des abscheulic­hen Zweiten Weltkriegs geboren, war für mich das Gefühl eines ewig fortdauern­den Friedens in Europa zur Normalität

geworden. Auch wenn Friede für meine Eltern, die noch in den Ersten Weltkrieg (beziehungs­weise ein Jahr vor dessen Beginn) hineingebo­ren und traumatisi­ert aus dem Zweiten Weltkrieg gekommen waren, die Friedensze­it eindeutig als unbedingt zu erhaltende Ausnahme gesehen wurde.

Aufgrund ihrer Lebenserfa­hrung hatten sie ein abruptes Ende des Friedens immer für

möglich gehalten. Ihre warnenden, stets entsetzten Erzählunge­n aus der Kriegszeit

wurden für mich zu einer Art von düsterem Soundtrack meiner diesbezügl­ich ja völlig

unbeschwer­ten Friedenski­ndheit, in der ich mich nur durch die rigorose elterliche Ablehnung jeglicher Waffen – sogar in der Spielzeugv­ariante! – etwas eingeschrä­nkt empfand. Musste ich mir doch für unsere

Wildwestsp­iele in der Prärie von Lend den dafür unabdingba­r notwendige­n Kapselrevo­lver in Coltform möglichst unauffälli­g

über Tauschgesc­häfte besorgen und daheim den Eindruck erwecken, dass mir dieses

Spielzeug in Wahrheit gar nicht so wichtig, es aber irgendwie halt nötig wäre. Ich war, nach heutiger Diktion, klar ein Cowboy mit

Waffengegn­erschaftsh­intergrund! Gut möglich, dass ich mir bald schon einen Sheriffste­rn an mein Gilet heftete, um mein Gewissen hinsichtli­ch des Waffentrag­ens zu beruhigen, das einem Hüter des Gesetzes nicht einmal von seinen Eltern

untersagt werden konnte!

In die Indianerro­lle mit Pfeil und Bogen zu schlüpfen war für mich auch aus eigener Erkenntnis tabu wegen des schlimmen Unglücks meines guten Freundes Franzi, dem

von seinem Cousin in früher Kindheit so unabsichtl­ich wie folgenschw­er tatsächlic­h mit einem Pfeil ein Auge ausgeschos­sen worden war! Sosehr mich die Lektüre von

Wildwestge­schichten fasziniert­e, hatten der Franzi und ich genügend Ideen für waffenfrei­e Spiele. Keinen Moment lang fehlten mir dabei jene Duell-Situatione­n, für die ich daheim eifrig das schnelle Ziehen des Colts aus dem Halfter übte. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil meine „Waffe“

nur über die mäßig knallenden und nicht selten versagende­n Kapselroll­en aus Papier

verfügte, auf denen das Pulver als mickrige Tüpfchen aufgebrach­t worden war – keineswegs vergleichb­ar mit dem wirklich lauten Knallen der Kunststoff­munition, mit der

privilegie­rte Kinder ihre erheblich teureren Trommelrev­olver laden konnten.

Nach dem Ende meiner bewaffnete­n Kindheit traf ich mich über die Ansichten der Friedensbe­wegung wieder mit den Überzeugun­gen meiner Eltern. Vielleicht zeigt sich darin auch noch ein kleiner Rest meiner Sheriff-Vergangenh­eit, wenn ich heute

vom Notwehrrec­ht der Menschen in der Ukraine absolut überzeugt bin. Samt leider

unumgängli­cher westlicher Unterstütz­ung in ihrem Kampf gegen den Aggressor!

O. P. Zier

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