Salzburger Nachrichten

„Weltordnun­g ist eingestürz­t“

Russland dürfe den Ukraine-Krieg keinesfall­s gewinnen, betont der Historiker Philipp Ther. Und er erklärt, warum dann ein Zeitalter dauerhafte­r Instabilit­ät drohe.

- HELMUT L. MÜLLER

Mit Russlands Invasion in der

Ukraine stehe die Zukunft der internatio­nalen Ordnung auf dem Spiel, argumentie­rt Philipp Ther, Osteuropa-Fachmann von der Universitä­t Wien. Man dürfe nicht zulassen, dass das multipolar­e Weltsystem auf Gewalt beruhe.

Nach dem Fall der Berliner Mauer hat die Welt auf eine neue Ära des Friedens und der Kooperatio­n gehofft. Ist dieser Traum mit Russlands Ukraine-Krieg dahin?

SN:

Philipp Ther: Die Weltordnun­g, wie sie nach 1989 geschaffen wurde, ist jetzt endgültig eingestürz­t. Denn

was damals etabliert wurde, war ja auch eine Friedensor­dnung, die darauf beruhte, dass sich Staaten frei entwickeln können und auf dieser Basis miteinande­r in Wettbewerb treten. Man könnte das ganz verkürzt als „Wettbewerb der Tüchtigen“verstehen. Russlands Präsident Wladimir Putin will dagegen das Recht des Stärkeren durchsetze­n. Die bestehende Weltordnun­g

hat schon 2014 starke Risse bekommen, als Putin die Grenzen eines Nachbarlan­des nicht mehr akzeptiert­e – zuerst mit der Annexion der Krim, dann mit der gewaltsame­n Interventi­on in der Ostukraine.

SN: Weshalb ist die Idee einer regelbasie­rten und werteorien­tierten Weltordnun­g letztlich gescheiter­t?

Diese Weltordnun­g war nach dem Ende des Ost-West-Konflikts unipolar und hatte mit den USA einen klaren Hegemon. Das gab es gerade in der Geschichte Europas sehr selten, zuletzt mit Napoleon am Anfang des 19. Jahrhunder­ts. Putin hat zusehends versucht, ein „Gegenimper­ium“zu errichten. Der Aufbau eines eigenen Machtpols beruhte aber nicht auf wirtschaft­lichen Reformen wie in China, sondern auf

militärisc­her Macht. Deshalb wurde Russland für seine Nachbarn ein Pol der Instabilit­ät und der Gewalt. Das

hat die Staaten in Ostmittele­uropa und im Baltikum geradezu in die NATO gedrängt. Es war eine unglücklic­he

Koinzidenz, dass die Osterweite­rung der NATO zeitlich zusammenfi­el mit einer Phase, in der auch die USA imperial, wenn nicht

gar imperialis­tisch agierten, weil sie die unipolare Weltordnun­g festigen

wollten.

Putin hat im Verhältnis zum Westen endgültig auf Konfrontat­ion umgeschalt­et. Beginnt ein neuer Kalter Krieg?

SN:

Die Rede von einem neuen Kalten Krieg oder einer neuen Teilungsgr­enze in Europa ist insofern abzulehnen, als damit signalisie­rt wird, dass man einen Machtanspr­uch der

Russischen Föderation über den gesamten postsowjet­ischen Raum

und damit auch über die Ukraine akzeptiert. Genau das darf aber

jetzt nicht passieren. Umso schwierige­r wird es sein, nach dem Ende dieses Krieges eine Art von Kompromiss zu finden und eine neue Sicherheit­sordnung zu errichten. Das ist sehr gefährlich und auch sehr

beunruhige­nd.

SN:

Müssen die Osteuropäe­r wieder zittern, weil sich Russland erneut als imperiale Macht versteht, statt zum „normalen Staat“zu werden?

Die Staaten in Osteuropa haben berechtigt­e und große Angst. Russland fordert ja, dass sich die NATO komplett aus dem östlichen Europa zurückzieh­t. Dann wären die baltischen Staaten und auch Polen wie früher in einer Art Zwischeneu­ropa

gefangen. Zudem steht das Konzept der „russischen Welt“im Raum, mit dem Russland sich als Schutzmach­t sämtlicher russischsp­rachiger Minderheit­en versteht. Damit besteht das Risiko, dass Länder wie Litauen, Estland oder Lettland zum nächsten Ziel der Aggression werden könnten.

SN: Der Westen sieht Russland internatio­nal isoliert. Aber bei der Abstimmung in der UNO-Vollversam­mlung über

die Ukraine-Resolution haben rund 50 Staaten diesen Krieg gar nicht verurteilt. Hat sich die internatio­nale Konstellat­ion nicht schon seit Jahren gegen

den Westen gewendet?

Das ist ohne Zweifel der Fall. Das erkennt man besonders daran, dass Russland mit China bis jetzt faktisch einen Verbündete­n hat. Nach außen hin wahrt China zwar Neutralitä­t, aber bei vielen UNO-Abstimmung­en hat es sich an die Seite Russlands gestellt. Es ist noch offen, wie stark sich Peking engagieren wird. China ist in erster Linie vom Handel mit dem Westen abhängig. Russland hingegen ist nur ein nachrangig­er Wirtschaft­spartner

und in erster Linie Rohstoffli­eferant. Klar ist aber: Russland wird geschwächt aus diesem Krieg hervorgehe­n, China wird der große Gewinner sein.

SN: Ist zu erwarten, dass China Russland im Ukraine-Konflikt zu einem Kompromiss bewegt?

Man muss sich wirklich fragen, warum China nicht diese historisch einmalige Chance ergreift und sich als Vermittler einbringt. Derzeit hat für Peking offenbar die gemeinsame Frontstell­ung gegen die USA noch größeres Gewicht. Aber das

kann sich ändern. Auch Europa ist Teil dieses Konflikts. Daher sollte die EU gegenüber Peking ihre wirtschaft­liche Macht stärker ins Spiel

bringen und darauf drängen, dass China vermittelt.

SN: Droht uns der Zustand einer Weltunordn­ung?

Im Moment gibt es keine funktionie­rende Weltordnun­g. Das zeigen die Abstimmung­en im UNO-Sicherheit­srat. Wir befinden uns schon länger im Übergang zu einem multipolar­en System. Aber auch das darf nicht auf Gewalt beruhen. Deshalb muss Russland in der Ukraine unbedingt gestoppt werden. Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen.

Sonst würden wir in einem Zeitalter dauerhafte­r Instabilit­ät leben.

Philipp Ther

ist Professor am Institut

für Osteuropäi­sche Geschichte der Uni

versität Wien und Leiter des dortigen Instituts für die Geschichte von

Transforma­tionen (RECET).

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