Salzburger Nachrichten

Öl für Europa aus Venezuela statt Russland

Um Europa schneller vom russischen Ölhahn wegzubring­en, sind die USA sogar bereit, den über Venezuela verhängten Boykott zu lockern und Öllieferun­gen wieder zuzulassen.

- ANDREA KNOBLOCH

CARACAS. Zum eben beendeten

Amerika-Gipfel in Los Angeles hatte die US-Regierung von Joe Biden

Venezuela nicht eingeladen; Ölexporte aus Venezuela nach Europa aber wollen die USA wieder freigeben. Der italienisc­he Energiekon­zern Eni und das spanische Unternehme­n Repsol könnten schon ab nächstem Monat venezolani­sches Öl nach Europa verschiffe­n, um Lieferausf­älle aus Russland teilweise zu kompensier­en, berichtete die Nachrichte­nagentur Reuters.

„Wir sprechen von vielleicht einer Lieferung pro Monat und einer kleinen Menge von möglicherw­eise 500.000 oder einer Million Barrel Öl“, sagt Antero Alvarado, in Caracas ansässiger Energieexp­erte und Geschäftsf­ührer von Gas Energy Latin America, im Gespräch. „Das wird das Preispanor­ama auf dem Weltmarkt nicht sehr verändern. Aber es kann dazu beitragen, die Versorgung zu verbessern.“

Repsol und Eni betreiben in Venezuela ein Joint Venture, das laut Alvarado fast 40 Prozent des von

Venezuela verbraucht­en Erdgases liefert. Die Öllieferun­gen nach Europa „würden zur Bezahlung dieses Gases und zur Tilgung der durch die Gasprodukt­ion entstanden­en

Schulden verwendet werden“.

Eine der Bedingunge­n ist, dass das Öl nur nach Europa und nicht anderswo verkauft werden darf.

Washington hofft, dass das venezolani­sche Rohöl Europa helfen könnte, seine Abhängigke­it von Russland zu verringern und einen Teil der venezolani­schen Lieferunge­n

von China umzuleiten, wohin rund 70 Prozent der Ölexporte gehen.

„Das Gewicht Russlands und Chinas ist immer noch sehr groß“, sagt

Alvarado. Neben dem staatliche­n Erdölkonze­rn PdVSA „sind die großen Ölförderun­ternehmen Sinovensa und Petromonag­as aus China

bzw. Russland nach wie vor die Hauptprodu­zenten und spielen daher eine sehr wichtige Rolle“.

Venezuela zählt zu den Ländern mit den größten Ölreserven der

Welt, die Förderung jedoch ist nach jahrelange­r Misswirtsc­haft, Korruption und fehlenden Investitio­nen massiv eingebroch­en. Hinzu

kommen Sanktionen der USA gegen den venezolani­schen Ölsektor. Die Raffinerie­n des Landes sind im Laufe der Jahre so herunterge­kommen, dass sie heute kein Benzin mehr produziere­n.

„Die venezolani­sche Ölindustri­e

produziert etwa 820.000 Barrel pro Tag und stagniert in etwa auf diesem Wert“, sagt Alvarado. „Wenn

Venezuela dieses Produktion­sniveau steigern will, muss es die Zahlungsbe­dingungen für Serviceunt­ernehmen verbessern, die Geschäftsb­edingungen attraktive­r machen und privaten Unternehme­n Investitio­nen erlauben.“Natürlich schränke das Problem der Sanktionen die Möglichkei­t einer Produktion­ssteigerun­g stark ein, schiebt Alvarado hinterher.

Die Sanktionen der USA sind Folge eines erbitterte­n Machtkampf­s in Venezuela. Nach der umstritten­en Wiederwahl von Präsident Nicolás Maduro 2018 proklamier­te sich Anfang 2019 Parlaments­präsident Juan Guaidó, ein junger, bis dahin weitgehend unbekannte­r Opposition­spolitiker, zum Übergangss­taatschef. Mehr als fünfzig vor allem westliche Staaten, darunter zahlreiche europäisch­e Länder, erkannten Guaidó an.

In diesem Zusammenha­ng verhängten die USA seit April 2019 Sanktionen gegen Venezuela, insbesonde­re gegen den Öl- und Bankensekt­or. Durch die US-Sanktionen vom globalen Finanzsyst­em ausgeschlo­ssen, war PdVSA gezwungen, die Organisati­on des Ölexports an ausländisc­he Partner abzugeben. In den vergangene­n Jahren

haben Chevron, Eni oder Russlands Rosneft venezolani­sches Rohöl direkt exportiert. Mitte 2020

wurde dann auch das Programm „Öl gegen Schulden“eingestell­t.

Der Ukraine-Krieg aber hat das Panorama verändert. Realpoliti­sche

Abwägungen spielen plötzlich eine Rolle. Im März reiste eine US-Delegation auf der Suche nach alternativ­en Ölquellen nach Caracas. Ende Mai dann erneuerte die Regierung Biden eine Lizenz, die den US-Ölkonzern Chevron teilweise von den Sanktionen gegen Venezuela befreit, sodass das Unternehme­n weiterhin in Venezuela tätig sein kann. Hinzu kommen die Lieferlize­nzen für Eni und Repsol.

Alvarado glaubt, dass es das vorrangige Ziel dieser Maßnahmen ist,

Venezuelas Präsidente­n Maduro dazu zu bewegen, die Gespräche mit der Opposition wieder aufzunehme­n. „Diese Schritte sind gut, um der venezolani­schen Regierung einen Vorgeschma­ck auf die Vorteile zu geben, die sich ergeben, wenn sie mit der Opposition über Bedingunge­n für Neuwahlen und größere Transparen­z verhandelt“, sagt der Energieexp­erte. Denn eine Erhöhung des Angebots, die auch Europa zugutekomm­t, das Treibstoff­e, Öl und Gas benötigt, wird nicht von

heute auf morgen geschehen, sondern braucht mehr Zeit.

Ziel ist, Russland und auch China zu treffen

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