Öl für Europa aus Venezuela statt Russland
Um Europa schneller vom russischen Ölhahn wegzubringen, sind die USA sogar bereit, den über Venezuela verhängten Boykott zu lockern und Öllieferungen wieder zuzulassen.
CARACAS. Zum eben beendeten
Amerika-Gipfel in Los Angeles hatte die US-Regierung von Joe Biden
Venezuela nicht eingeladen; Ölexporte aus Venezuela nach Europa aber wollen die USA wieder freigeben. Der italienische Energiekonzern Eni und das spanische Unternehmen Repsol könnten schon ab nächstem Monat venezolanisches Öl nach Europa verschiffen, um Lieferausfälle aus Russland teilweise zu kompensieren, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.
„Wir sprechen von vielleicht einer Lieferung pro Monat und einer kleinen Menge von möglicherweise 500.000 oder einer Million Barrel Öl“, sagt Antero Alvarado, in Caracas ansässiger Energieexperte und Geschäftsführer von Gas Energy Latin America, im Gespräch. „Das wird das Preispanorama auf dem Weltmarkt nicht sehr verändern. Aber es kann dazu beitragen, die Versorgung zu verbessern.“
Repsol und Eni betreiben in Venezuela ein Joint Venture, das laut Alvarado fast 40 Prozent des von
Venezuela verbrauchten Erdgases liefert. Die Öllieferungen nach Europa „würden zur Bezahlung dieses Gases und zur Tilgung der durch die Gasproduktion entstandenen
Schulden verwendet werden“.
Eine der Bedingungen ist, dass das Öl nur nach Europa und nicht anderswo verkauft werden darf.
Washington hofft, dass das venezolanische Rohöl Europa helfen könnte, seine Abhängigkeit von Russland zu verringern und einen Teil der venezolanischen Lieferungen
von China umzuleiten, wohin rund 70 Prozent der Ölexporte gehen.
„Das Gewicht Russlands und Chinas ist immer noch sehr groß“, sagt
Alvarado. Neben dem staatlichen Erdölkonzern PdVSA „sind die großen Ölförderunternehmen Sinovensa und Petromonagas aus China
bzw. Russland nach wie vor die Hauptproduzenten und spielen daher eine sehr wichtige Rolle“.
Venezuela zählt zu den Ländern mit den größten Ölreserven der
Welt, die Förderung jedoch ist nach jahrelanger Misswirtschaft, Korruption und fehlenden Investitionen massiv eingebrochen. Hinzu
kommen Sanktionen der USA gegen den venezolanischen Ölsektor. Die Raffinerien des Landes sind im Laufe der Jahre so heruntergekommen, dass sie heute kein Benzin mehr produzieren.
„Die venezolanische Ölindustrie
produziert etwa 820.000 Barrel pro Tag und stagniert in etwa auf diesem Wert“, sagt Alvarado. „Wenn
Venezuela dieses Produktionsniveau steigern will, muss es die Zahlungsbedingungen für Serviceunternehmen verbessern, die Geschäftsbedingungen attraktiver machen und privaten Unternehmen Investitionen erlauben.“Natürlich schränke das Problem der Sanktionen die Möglichkeit einer Produktionssteigerung stark ein, schiebt Alvarado hinterher.
Die Sanktionen der USA sind Folge eines erbitterten Machtkampfs in Venezuela. Nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Nicolás Maduro 2018 proklamierte sich Anfang 2019 Parlamentspräsident Juan Guaidó, ein junger, bis dahin weitgehend unbekannter Oppositionspolitiker, zum Übergangsstaatschef. Mehr als fünfzig vor allem westliche Staaten, darunter zahlreiche europäische Länder, erkannten Guaidó an.
In diesem Zusammenhang verhängten die USA seit April 2019 Sanktionen gegen Venezuela, insbesondere gegen den Öl- und Bankensektor. Durch die US-Sanktionen vom globalen Finanzsystem ausgeschlossen, war PdVSA gezwungen, die Organisation des Ölexports an ausländische Partner abzugeben. In den vergangenen Jahren
haben Chevron, Eni oder Russlands Rosneft venezolanisches Rohöl direkt exportiert. Mitte 2020
wurde dann auch das Programm „Öl gegen Schulden“eingestellt.
Der Ukraine-Krieg aber hat das Panorama verändert. Realpolitische
Abwägungen spielen plötzlich eine Rolle. Im März reiste eine US-Delegation auf der Suche nach alternativen Ölquellen nach Caracas. Ende Mai dann erneuerte die Regierung Biden eine Lizenz, die den US-Ölkonzern Chevron teilweise von den Sanktionen gegen Venezuela befreit, sodass das Unternehmen weiterhin in Venezuela tätig sein kann. Hinzu kommen die Lieferlizenzen für Eni und Repsol.
Alvarado glaubt, dass es das vorrangige Ziel dieser Maßnahmen ist,
Venezuelas Präsidenten Maduro dazu zu bewegen, die Gespräche mit der Opposition wieder aufzunehmen. „Diese Schritte sind gut, um der venezolanischen Regierung einen Vorgeschmack auf die Vorteile zu geben, die sich ergeben, wenn sie mit der Opposition über Bedingungen für Neuwahlen und größere Transparenz verhandelt“, sagt der Energieexperte. Denn eine Erhöhung des Angebots, die auch Europa zugutekommt, das Treibstoffe, Öl und Gas benötigt, wird nicht von
heute auf morgen geschehen, sondern braucht mehr Zeit.
Ziel ist, Russland und auch China zu treffen