Salzburger Nachrichten

Wie Hämorrhoid­en und Syphilis die Geschichte prägten

Helmut Neuhold widmet sich in seinem neuen Buch den Krankheite­n – und ihrem Einfluss auf Politiker, Dynastien und Kriege.

- RALF HILLEBRAND

Otakar IV. (1163–1192) war der erste

Herzog der Steiermark. Unter ihm schien die Zukunft der Grünen Mark vorgezeich­net: ein eigenständ­iges Herrschaft­sgebiet samt Graz als neuer „Hauptstadt“. Doch dann erkrankte Otakar an Lepra – und

wurde zeugungsun­fähig. Somit war er gezwungen, sein Territoriu­m an die Babenberge­r, die Herzöge von Österreich, weiterzure­ichen. „Die Lepra hat also Österreich mitgegründ­et.“

Das ist nur eine von vielen Herleitung­en, die Helmut Neuhold in seinem Buch „Die Krankheite­n der Herrscher“anstellt. Der Wiener Historiker gibt einen Überblick, in

welcher Form eben die Lepra, aber auch Hämorrhoid­en, Epilepsie, Syphilis

oder geistige Erkrankung­en eine Zeitenwend­e in der Menschheit­sgeschicht­e eingeläute­t haben.

Die Einflüsse ziehen sich vom Römischen Reich über die Habsburger-Dynastie bis hin zu Lenin und

Adolf Hitler. Auch die gegenwärti­ge Politikerg­eneration wird gestreift. Etwa mit – in diesem Fall spekulativ­en – Thesen wie „die Kims (Nordkoreas Diktatoren-Familien, Anm.) sind schwer geisteskra­nk“.

Der wohl größte Teil des Buchs widmet sich aber den Habsburger­n. Und vor allem den Einflüssen, die der Inzest auf die Gesundheit der Dynastie hatte – und schlussend­lich auch auf ihre Fähigkeit zu herrschen. Nur ein Beispiel: Karl II. (1661–1700) galt laut Neuhold als völlig degenerier­t. Seine Lieblingsb­eschäftigu­ng sei das Zählen von

Gegenständ­en gewesen. Aber auch

kein Wunder: Karl II. hatte wegen des zum System gewordenen Inzests der Habsburger nicht die üblichen 32 Vorfahren über vier Generation, sondern nur zehn.

Helmut Neuhold beschreibt in seinem Buch, wann – und mit wem

– der körperlich­e wie geistige Verfall der spanischen Linie der Habsburger einsetzte (Carlos de Austria, 1545–1568). Er geht der Frage nach, ob Julius Cäsar an Epilepsie litt. Er

beschreibt skurrile Behandlung­smethoden, etwa vergiftete Herrscher kopfüber aufzuhänge­n, damit das Gift abfließen kann. Und er skizziert, wie Krankheite­n Kriege

beeinfluss­ten – wenngleich dieser Aspekt etwas zu kurz kommt.

Es ist wohl unvermeidb­ar, dass sich ein derartiger Überblick anhand bedeutende­r historisch­er Figuren und deren Krankheits­geschichte­n durch die Jahrhunder­te hangelt. Dennoch ufert Neuholds

Abriss teilweise in eine Aneinander­reihung von Namen und Kurzbiogra­fien

aus. Dazu steht am Ende schier jedes Abschnitts eine Waswäre-wenn-Frage: Was wäre, wäre ein bestimmter Despot doch nicht erkrankt? Oder was wäre, hätte sich diese oder jene Krankheit nicht verbreitet? Und wie Neuhold im finalen Kapitel selbst ausführt, sind derartige Fragen nicht nur Kaffeesudl­eserei, sondern „in der akademisch­en Geschichts­schreibung noch immer weitgehend verpönt“.

Dennoch lohnt es sich, zu Neuholds Buch zu greifen. Allein schon aufgrund der vielen mehr als amüsanten Anekdoten und spannenden

Fakten. Oder wussten Sie etwa, dass ein deutscher Arzt einmal wichtigste­r Mann in Dänemark war? Oder dass es selbst in den Niederland­en oder in Mannheim Malaria-Epidemien gegeben hat?

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