Abendlicht weckt Sehnsucht
Der Sohn eines Wiener Weißschneiders war vom Licht im Süden so fasziniert, dass seine Gemälde in Stockholm, Moskau, London und Dresden begehrt waren. Jetzt sind sie in Wien zu sehen.
WIEN. Wem die Berichte von überfüllten Zügen, verstopften Autobahnen und stornierten Flügen die Lust aufs Reisen mindern, der kann
jetzt im Unteren Belvedere in Wien eine Feinsinn erfordernde Erkundungstour ins warme Sonnenlicht an norditalienischen Seen und um Neapel unternehmen. Die meisten in der Orangerie ausgestellten Gemälde stammen aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, also aus der frühen Vorzeit des erst mit
dem Ausbau der Eisenbahn in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts einsetzenden Tourismus.
Diese Italien-Bilder von Joseph Rebell, der viele Nachahmer finden
und junge Kollegen ausbilden sollte, entstanden aus der Sehnsucht
nach Reisen oder nach Erinnerung an Gesehenes. Noch mehr: Sie trugen bei, außerhalb Italiens jene Sehnsucht nach Licht und Landschaft des Südens zu schüren, die
heute noch das Fernweh reizt. Zeichnungen und Gemälde Joseph Rebells, den das Belvedere monografisch vorstellt, erwarben Sammler in Stockholm, Chantilly, Hamburg, London, Dresden, Moskau und St. Petersburg. Von da überall sind nun Leihgaben gekommen, die die 23 Gemälde des Belvedere auf rund 100 Exponate erweitern.
Aus Wien stammte der Sohn eines Weißschneiders, der am Kohlmarkt im selben Haus wohnte wie Domenico Artaria. Der Verleger, unter anderem Herausgeber von Werken Franz Schuberts und Ludwig
van Beethovens, habe den jungen Zeichner und Maler nach Mailand
geschickt, damit er an den Seen in der Lombardei attraktive Landschaften zeichne – für „Voyage
pittoresque“genannte, damals beliebte Mappen mit Drucken von italienischen Ansichten, berichtet die Kuratorin Sabine Grabner im Katalog. „Dieser Auftrag leitete Rebells Italienerlebnis ein.“
Dieser Auftrag war winzig im Vergleich zu dem, was ihm folgte: Im
Herbst 1813 übersiedelte der 26-Jährige nach Neapel und wurde von der Königin, der Schwester von Napoleon Bonaparte, beauftragt, die königlichen Paläste und Villen in Neapel, Portici und Resina zu malen.
Mit unserer heutigen Reisesehnsucht, auch mit unserer heutigen
Südensehnsucht, hat das insofern etwas zu tun, als Joseph Rebell ab dann eine Vielzahl von Ansichten am Golf von Neapel malerisch erfasste – sei es von den Inseln, von
Amalfi, Sorrent oder vom Hinterland in Kampanien. Er tat dies nicht
borniert naturalistisch, sondern zum einen mit stupender malerischen Technik für Licht. Zum anderen hätten ihn „die Sonne, das Meer und die reiche Vegetation“immer
wieder verleitet, „zwischen Arkadien und Realität zu changieren“, erläutert
Sabine Grabner. Er hat also mithilfe der realen Landschaft die Sehnsucht nach dem unerreichbaren Ort und dem verlorenen Garten miterzeugt. Sabine Grabner nennt es ein „immer wiederkehrendes Ineinandergreifen von Ideal und Naturporträt“. Diese in den Gemälden
verheißene arkadische Idylle nährte jenes Sehnen, das sich heute noch eine milliardenschwere Tourismusindustrie zunutze macht.
„Im Licht des Südens“heißt der Titel, denn unter anderem ist zu sehen, wie intensiv und innovativ Joseph Rebell das Licht zeichnerisch
und malerisch erfasst hat. Noch in Oberitalien habe er versucht, „den
Sonnenschein mittels großer Flächen von Gelb zu verdeutlichen“,
berichtet Sabine Grabner. Spätestens ab 1812 habe er erkannt, „dass die eigentliche Kunst des Zeichnens das Weglassen ist“. So habe er in mit Tusche lavierten Bleistiftzeichnungen Flächen des Papiers unbearbeitet gelassen, „wodurch alles ungemein
lebendig und voll des südlichen Lichtes ist“.
Erstmals vereint werden in der Ausstellung Ölgemälde – etwa aus der Bayerischen Staatsgemäldesammlung – mit Ölstudien aus einer Mappe der Österreichischen Nationalbibliothek. Zum Beispiel der Blick von Capri nach Ischia: Die Skizze hat Joseph Rebell in der Natur gemalt. Sie ist
farbenfroh, aber nüchtern, fast so real wie ein Foto. Im Gemälde
pinselt er nicht bloß die Sonne dazu. Er tränkt mit ihrem Licht den Abend in wärmendes Gold,
lässt Fischer am Ufer werken, sodass Meer und Land, Natur und Mensch, Tag und Abend, Arbeit
und Schönheit eine so fantastische Symbiose ergeben, dass
man gern auf einem Felsvorsprung danebensäße.
Changieren zwischen Realität und Arkadien
Ausstellung: „Joseph Rebell. Im Licht des Südens“, Unteres Belvedere, Wien, bis 13. November.