Documenta 15: Löst Aktivismus die Kunst ab?
Am Samstag wird in Kassel die Weltkunstschau documenta fifteen eröffnet. Was ist zu sehen?
Eine Weltkunstschau in Kassel ohne Unkenrufe und negative Vorberichterstattung? Ein Ding der Unmöglichkeit. So passen die seit geraumer Zeit erhobenen (und energisch dementierten) Antisemitismusvorwürfe sowie der Einbruch in ein Ausstellungsgebäude der documenta fifteen in die Tradition;
was diesmal noch dazukommt, sind Mutmaßungen, wonach die Kunst radikal durch (politischen) Aktivismus ersetzt sein könnte. Denn: Erstmals kuratiert nicht eine Einzelperson, sondern ein Kollektiv, die aus
Indonesien stammende Ruangrupa, die Ausstellung, die als eine Art Netzwerktreffen – eine Wissensplattform mit Workshopcharakter – konzipiert ist.
Die Gruppe Ruangrupa, die 2021 auch in der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg aktiv war, hat der documenta fifteen die Werte und Ideen
von lumbung (der indonesische Begriff für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune) zugrunde gelegt. Grundsätze wie Kollektivität, Ressourcenaufbau und gerechte
Verteilung stehen im Mittelpunkt der kuratorischen Arbeit und prägen den gesamten Prozess der documenta fifteen, die am kommenden Samstag in Kassel eröffnet
wird. „Wir wollen eine global ausgerichtete, kooperative und interdisziplinäre Kunst- und Kulturplattform schaffen, die über die 100 Tage der documenta fifteen hinaus wirksam
bleibt“, hat Ruangrupa verlautbart. Was heißt das für die Besucherinnen und Besucher? Was können sie an insgesamt 32 Ausstellungs- und
Veranstaltungsorten – unter ihnen auch der „Bootsverleih Ahoi“sowie ein Komposthaufen – sehen?
Wo „gemeinsam lumbung praktiziert wird“, ist freilich kein Platz für
gehypte Kunststars oder aufsehenerregende Objekte aus dem vom
Westen dominierten Betriebssystem Kunst. So finden sich in der documenta-Künstlerliste folgerichtig zahlreiche Kollektive aus unterschiedlichsten Kontinenten und
nur wenige Einzelkünstler, die Namen waren von Ruangrupa im
Vorjahr übrigens in der deutschen Straßenzeitung „Asphalt“veröffentlicht worden – auch ein eindeutiges Statement.
Zu den wenigen im Kunstbetrieb bekannten Namen zählen da der im
Vorjahr verstorbene US-Künstler und -Aktivist Jimmie Durham oder der rumänische Künstler Dan Perjovschi, der unter anderem das Fridericianum in Kassel mit drei „AntiKriegs-Zeichnungen“akzentuiert.
Unter den Teilnehmern finden sich etwa eine dänische Organisation, die Geflüchtete mit Rechtsberatung
und Sprachkursen unterstützt, ein Kollektiv aus Bangladesch, das großen Wert auf Müllvermeidung legt, das um Gleichberechtigung
von Frauen kämpfende „Archives des luttes des femmes en Algérie“oder Bienenzüchter aus Kassel.
Die schwelenden Antisemitismusvorwürfe gegen das Kuratorenteam hatten ihren Ausgang genommen, weil sich Ruangrupa für
viele nicht ausreichend von der Initiative „Boycott, Divestment and Sanctions“(BDS) distanziert habe.
Die 15 Indonesier hatten das aus Palästina stammende Kollektiv „The Question of Funding“eingeladen, das Sympathien für BDS hegen soll. Was die Akteure bestreiten. Dort, wo „The Question of
Funding“ausstellen wird, wurde im Mai eingebrochen. Die Wogen gehen hoch, noch ist kein Dialog in Sicht.
Ausstellung: