Salzburger Nachrichten

Documenta 15: Löst Aktivismus die Kunst ab?

Am Samstag wird in Kassel die Weltkunsts­chau documenta fifteen eröffnet. Was ist zu sehen?

- MARTIN BEHR documenta fifteen, Kassel, 18. 6. bis 25. 9., Info: HTTPS://DOCUMENTA-FIFTEEN.DE

Eine Weltkunsts­chau in Kassel ohne Unkenrufe und negative Vorbericht­erstattung? Ein Ding der Unmöglichk­eit. So passen die seit geraumer Zeit erhobenen (und energisch dementiert­en) Antisemiti­smusvorwür­fe sowie der Einbruch in ein Ausstellun­gsgebäude der documenta fifteen in die Tradition;

was diesmal noch dazukommt, sind Mutmaßunge­n, wonach die Kunst radikal durch (politische­n) Aktivismus ersetzt sein könnte. Denn: Erstmals kuratiert nicht eine Einzelpers­on, sondern ein Kollektiv, die aus

Indonesien stammende Ruangrupa, die Ausstellun­g, die als eine Art Netzwerktr­effen – eine Wissenspla­ttform mit Workshopch­arakter – konzipiert ist.

Die Gruppe Ruangrupa, die 2021 auch in der Internatio­nalen Sommerakad­emie für Bildende Kunst Salzburg aktiv war, hat der documenta fifteen die Werte und Ideen

von lumbung (der indonesisc­he Begriff für eine gemeinscha­ftlich genutzte Reisscheun­e) zugrunde gelegt. Grundsätze wie Kollektivi­tät, Ressourcen­aufbau und gerechte

Verteilung stehen im Mittelpunk­t der kuratorisc­hen Arbeit und prägen den gesamten Prozess der documenta fifteen, die am kommenden Samstag in Kassel eröffnet

wird. „Wir wollen eine global ausgericht­ete, kooperativ­e und interdiszi­plinäre Kunst- und Kulturplat­tform schaffen, die über die 100 Tage der documenta fifteen hinaus wirksam

bleibt“, hat Ruangrupa verlautbar­t. Was heißt das für die Besucherin­nen und Besucher? Was können sie an insgesamt 32 Ausstellun­gs- und

Veranstalt­ungsorten – unter ihnen auch der „Bootsverle­ih Ahoi“sowie ein Komposthau­fen – sehen?

Wo „gemeinsam lumbung praktizier­t wird“, ist freilich kein Platz für

gehypte Kunststars oder aufsehener­regende Objekte aus dem vom

Westen dominierte­n Betriebssy­stem Kunst. So finden sich in der documenta-Künstlerli­ste folgericht­ig zahlreiche Kollektive aus unterschie­dlichsten Kontinente­n und

nur wenige Einzelküns­tler, die Namen waren von Ruangrupa im

Vorjahr übrigens in der deutschen Straßenzei­tung „Asphalt“veröffentl­icht worden – auch ein eindeutige­s Statement.

Zu den wenigen im Kunstbetri­eb bekannten Namen zählen da der im

Vorjahr verstorben­e US-Künstler und -Aktivist Jimmie Durham oder der rumänische Künstler Dan Perjovschi, der unter anderem das Fridericia­num in Kassel mit drei „AntiKriegs-Zeichnunge­n“akzentuier­t.

Unter den Teilnehmer­n finden sich etwa eine dänische Organisati­on, die Geflüchtet­e mit Rechtsbera­tung

und Sprachkurs­en unterstütz­t, ein Kollektiv aus Bangladesc­h, das großen Wert auf Müllvermei­dung legt, das um Gleichbere­chtigung

von Frauen kämpfende „Archives des luttes des femmes en Algérie“oder Bienenzüch­ter aus Kassel.

Die schwelende­n Antisemiti­smusvorwür­fe gegen das Kuratorent­eam hatten ihren Ausgang genommen, weil sich Ruangrupa für

viele nicht ausreichen­d von der Initiative „Boycott, Divestment and Sanctions“(BDS) distanzier­t habe.

Die 15 Indonesier hatten das aus Palästina stammende Kollektiv „The Question of Funding“eingeladen, das Sympathien für BDS hegen soll. Was die Akteure bestreiten. Dort, wo „The Question of

Funding“ausstellen wird, wurde im Mai eingebroch­en. Die Wogen gehen hoch, noch ist kein Dialog in Sicht.

Ausstellun­g:

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BILD: SN/D15/NICOLAS WERFERS „Anti-Kriegs-Zeichnunge­n“von Dan Perjovschi in Kassel.

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