Der ORF bekommt eine neue Schaltzentrale
Diese Woche wird der ORF-Newsroom eingeweiht: Während die ORF-Chefs schwärmen, gibt es auch Kritik für das Millionenprojekt.
WIEN. Der erste Blick fällt zwangsweise auf die vier Bäume: vier riesige Erlen, die mitten im Büro stehen. In seinem neuen multimedialen Newsroom hat sich der ORF ein
Atrium gegönnt. Darüber ein offenes Dach, darum herum „die größten jemals in Österreich verbauten Glasscheiben“, wie Pius Strobl beschreibt, der Koordinator des „mehrere zehn Millionen Euro“teuren Bauprojekts im ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg.
Am Donnerstag soll die neue redaktionelle Schaltzentrale des ORF
besiedelt werden. Bei einer Führung für den Verein der Medienjournalisten Österreichs präsentierte die ORF-Spitze um Generaldirektor Roland Weißmann vorab die neuen Räumlichkeiten. Und das sichtlich stolz: Das Projekt sei logistisch eine Sensation, total gelungen
– und zeitlich, kostenseitig sowie qualitativ voll im Plan. Die neue Büroordnung in Wabenform ohne
fix zugeteilte Schreibtische bringe Flexibilität. Und vor allem der multimediale
Ansatz wurde immer wieder betont: Durch das Zusammenführen von 356 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern aus den Bereichen TV, Radio und Online, die bisher verteilt gearbeitet hatten, sollen Prozesse vereinfacht und Synergien geschaffen werden.
Doch so reibungslos, wie es die ORF-Führungsriege gerne wirken
lassen würde, verlief das Bauprojekt nicht: Bereits 2014 hatte der Stiftungsrat, das ranghöchste Aufsichtsgremium des ORF, beschlossen, dass ein derartiges Vorhaben umgesetzt werden soll. Nach Problemen mit Umwidmungen musste das Konzept aber neu aufgesetzt
werden. Der Spatenstich erfolgte schließlich erst im August 2019.
Aber stärker als die Anlaufschwierigkeiten beschäftigt den ORF die Kritik aus den eigenen Reihen: Bei der Journalistenführung erwähnte Pius Strobl gleich drei Mal jene (anonymen) Unmutsäußerungen, von denen im „Standard“zu lesen war. Radiomitarbeiter, die vom Funkhaus in der Argentinierstraße
in den Newsroom umziehen müssen, sprachen von Content-, also Inhalts-„Legebatterien“. Auch den SN berichteten ORF-Mitarbeiter
von wenig Vorfreude. Neben pragmatischen Gründen wie längeren
Arbeitswegen oder der Angst vor einer überbordenden Geräuschkulisse – Akustikplatten an der Decke sollen helfen – wird vor allem befürchtet, dass die Unabhängigkeit der einzelnen Redaktionen verloren geht. In der Tat sollen im neuen Newsroom TV, Radio und Online
bewusst enger zusammenarbeiten.
Und auch die Führungsriege wird
verknappt: Neben drei Chefredakteuren soll es künftig fünf Fachressorts geben, geführt von jeweils einem Ressortleiter. Es wird also
keine eigenen Ressortleiter für TV oder Radio mehr geben.
Jan Krone teilt die Kritik so manchen ORF-Redakteurs. Der Medienökonom an der Fachhochschule St. Pölten beschäftigt sich seit jeher mit Newsrooms und deren Auswirkungen auf Medienhäuser. „Ein zentraler Newsroom ist genau das Gegenteil dessen, was wir von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Sachen Binnenpluralität erwarten.“Der ORF sollte die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Und das sei wesentlich besser umsetzbar,
wenn die Zuständigkeiten stärker geteilt und die Sendeformate strikter getrennt seien. Krone gesteht zwar ein, dass eine derartige Trennung „möglicherweise betriebswirtschaftlich ein Wahnsinn ist“.
Aber für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollte Vielfalt vor der Ökonomie stehen. Auch deshalb wird Krone in seiner Kritik
noch deutlicher: „Ein zentrales Newsroom-Konzept ist Gift für den ORF. Ich möchte kein ORF-Programm rezipieren, das von zwei oder drei Leuten gesteuert wird.“Um seine These zu untermauern, trifft Krone einen privatwirtschaftlichen
Vergleich: „Man stelle sich vor, alle Bundesländerzeitungen würden ihre Redaktionen zusammenziehen. Freilich geht da echte Vielfalt verloren.“Für Krone sind Newsrooms „was für militärische Kommandozentralen oder die PR-Abteilung von Konsumgüterkonzernen“.
Die ORF-Führungsriege ist da freilich völlig anderer Ansicht: Der Newsroom sei kein Sparprojekt, betonte Generaldirektor Weißmann. Die Redaktion habe auch dieselben Ressourcen wie bisher. Die OnlineMannschaft werde gar um vier Posten aufgestockt. Dazu erinnerte der ORF-Chef an die Weisungsfreiheit der ORF-Journalistinnen und -Journalisten. Und er betonte, dass diese durch ein neues Redaktionsstatut
noch gestärkt werden solle: Geplant ist, dass drei Mitarbeiterbeschwerden reichen, um Führungskräften das Misstrauen auszusprechen –
und sich der ORF-Ethikrat einschalten muss. TV-Chefredakteur Matthias Schrom schlägt in eine ähnliche Kerbe: Die Bedingungen im neuen Newsroom ließen gute Nachrichten und guten Journalismus zu. Freilich würden sich die einzelnen Redaktionen beeinflussen – aber das sei jetzt schon der Fall. „Wir
hoffen, dass das Bedürfnis nach Massensitzungen sogar sinkt.“
Auch die pragmatischen Sorgen und Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden respektiert
– man sei für Verbesserungsvorschläge offen, ergänzte Roland Weißmann. Dass es für zehn Mitarbeiter nur rund sechs Arbeitsplätze gebe, sei ebenso wenig ein Problem. Durch Homeoffice, Außeneinsätze,
Urlaube etc. gehe sich das gut aus. Matthias Schrom ergänzte: Die „Zeit im Bild“-Redaktion arbeite
jetzt schon problemlos von einem Großraumbüro aus. „Dass sich jemand im Einzelfall eine Induktionskochplatte aufstellen will, eine Blume, eine Pflanze oder einen Hund mitnehmen will, kann schon sein.
Aber ich finde, das fällt ein bisschen unter Luxusleiden.“Man sollte sich „nicht so viele Gedanken machen,
wo man sitzt, sondern wie Geschichten entstehen“.
Die aktuelle Baustelle ist jedenfalls nicht die letzte, die der ORF in den kommenden Monaten zu schließen hat – im wörtlichen wie
im übertragenen Sinn. Für den Newsroom wird noch ein Newsdesk-Verantwortlicher oder eine
„Wir sind für Vorschläge offen.“
Roland Weißmann, ORF-Generaldirektor
-Verantwortliche gesucht – quasi der Chef oder die Chefin der Steuerungszentrale. Ein solcher, eine solche soll bis Mitte Juli gefunden sein;
bisher gibt es drei Bewerbungen. Im Hochsommer und im Herbst stehen schließlich die nächsten Umzüge an: Im August wandert Ö1 in einen neu geschaffenen Trakt am Küniglberg, im September folgt Ö3. Damit soll dann das in Summe rund
300 Millionen Euro schwere ORFStandortprojekt abgeschlossen sein.