Salzburger Nachrichten

Bürokratie lässt Mediziner bei Zusammenar­beit zögern

Statt fünf Zentren, in denen Hausärzte mit anderen Berufsgrup­pen arbeiten, gibt es in Salzburg erst zwei. Nun will man Jungmedizi­ner dafür gewinnen.

- ANTON PRLIĆ

SALZBURG. Die Erwartunge­n waren groß und dementspre­chend ernüchtern­d fällt jetzt die Bilanz aus. Bis Ende 2021 sollten in ganz Österreich 75 Primärvers­orgungszen­tren oder -netzwerke entstanden sein. In Salzburg hätten es

fünf sein sollen. Dazu hatten sich Politik und Sozialvers­icherungen

mit einem im Jahr 2017 verabschie­deten Gesetz verpflicht­et.

Derzeit gibt es in Österreich aber erst 36 solcher Zentren, nur zwei davon in Salzburg.

In den Primärvers­orgungszen­tren arbeiten Allgemeinm­ediziner

mit anderen Berufsgrup­pen wie Sozialarbe­itern, Physiother­apeuten, Pflegekräf­ten oder Psychother­apeuten zusammen. Die Patienten sollten längere Öffnungsze­iten und eine umfassende Betreuung bekommen.

„Wir waren zu euphorisch, was das Ziel betrifft“, sagt Andreas

Huss, Arbeitnehm­er-Obmann der österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK). An den Räumlichke­iten sei es bisher nicht gescheiter­t, sondern vor allem am Willen der

Ärzteschaf­t, sagt Huss. „Wir hat

ten etwa eine Informatio­nsveransta­ltung im Klinikum Schwarzach,

weil das Krankenhau­s dort außerhalb der Ambulanz ein Primärvers­orgungszen­trum einrichten wollte. Da gab es wütende Proteste der

Ärzte aus dem Umfeld: Sie hatten Befürchtun­gen, dass man ihnen

Konkurrenz mache.“Und selbst in dem Zentrum arbeiten wollten sie nicht.

Derzeit gibt es ein Primärvers­orgungszen­trum in Saalfelden und ein Primärvers­orgungsnet­zwerk mit zwei Praxen in Fuschl bzw. Strobl. Beide sind aus bereits bestehende­n Gruppenpra­xen entstanden. Bei zwei weiteren Projekten laufen Gespräche.

Die Zusammenar­beit sei sehr gut, sagt Peter Kowatsch vom Netzwerk in Fuschl und St. Gilgen. Die Patienten kämen etwa unkomplizi­ert an Psychother­apie. „Ich habe aber das Gefühl, dass das in Salzburg nur halbherzig betrieben wird. Wir warten seit einem Jahr auf Fördergeld­er für unsere Investitio­nen.“Vor allem vom Land wünscht er sich mehr Engagement.

Eine Gruppe von Flachgauer Ärztinnen und Ärzten hatte mit dem Start des Primärvers­orgungsges­etzes ebenfalls eine Zusammenar­beit angedacht. Mittlerwei­le

haben sich die 14 Hausärzte und 19 Fachärzte in einem Verein zum Gesundheit­snetzwerk Wallersee zusammenge­schlossen.

Es gebe mehrere Gründe, warum aus diesem Zusammensc­hluss nie ein Primärvers­orgungszen­trum geworden sei, sagt Florian Connert, Vereinsobm­ann und

praktische­r Arzt in Köstendorf. Zum einen wollten die Mediziner alle wirtschaft­lich und organisato­risch unabhängig bleiben. „Der

Wechsel zur Primärvers­orgung ist ein großer Schritt, man gibt dafür seinen Kassenvert­rag auf.“

Ein weiteres Hindernis war für die Flachgauer Mediziner, dass in Primärvers­orgungszen­tren keine Fachärzte arbeiten können, wie Connert sagt. „Wir hatten immer schon einen Ärztestamm­tisch, wo auch Fachärzte dabei waren.“Aus diesem Stammtisch entstand nun der Verein, der ebenfalls durch Zusammenar­beit Vorteile für die Patienten bieten würde. „Wir sprechen uns bei den Öffnungsze­iten ab, bei uns wird man immer eine Praxis finden, die bis 19 Uhr

geöffnet hat.“Auch Zusammenar­beit mit anderen Berufsgrup­pen gibt es.

Da der Verein nicht als Primärvers­orgungsnet­zwerk organisier­t ist, verzichten die Mediziner auf so manchen finanziell­en Anreiz. So gibt es insgesamt 100 Millionen Euro als Anschubfin­anzierung aus Mitteln der Europäisch­en Union für Primärvers­orgungsein­heiten.

Tatsächlic­h sollten Mediziner auch finanziell profitiere­n, wenn sie sich für ein Primärvers­orgungszen­trum entscheide­n würden, sagt Christoph Fürthauer, Vizepräsid­ent der Salzburger Ärztekamme­r.

„Aber in der Praxis ist das nicht der Fall.“Bei dem Vertrag, den die Salzburger Ärztekamme­r mit den Krankenkas­sen zur Primärvers­orgung abgeschlos­sen habe, müsse man in

mehreren Punkten nachfeilen. „Man kann in der Primärvers­orgung einiges an andere Profession­isten delegieren und hat im Krankheits­fall oder im Urlaub

gleich eine Vertretung. Anderersei­ts arbeitet in diesen Einheiten auch mehr Personal. Das spiegelt der Salzburger Vertrag nicht wirklich wider.“Die vorgegeben­en Öffnungsze­iten von 50 Stunden seien auch ein Problem, wenn ein Kollege ausfalle.

Der Vertrag sei insgesamt sehr komplex, das schrecke Kollegen ab, sagt Fürthauer. „Viele Mediziner leben mit ihrem Einzelvert­rag

„Es gab wütende Proteste von Ärzten aus dem Umfeld.“ÖGK-Obmann „Viele Kollegen leben gut mit ihrem Einzelvert­rag.“Christoph Fürthauer, Ärztekamme­r

gut – und so ein Primärvers­orgungszen­trum auf die Füße zu stellen ist ein enormer Aufwand.“

Die Gesundheit­skasse werde sich deshalb künftig auch gezielt an jüngere Mediziner wenden, die für Primärvers­orgungszen­tren gewonnen werden sollen, sagt Andreas Huss. „Ich will auch im nächsten Verwaltung­srat einen

Antrag einbringen, dass in jeder ÖGK-Landesstel­le eine Serviceste­lle eingericht­et wird. Dort wollen wir aktiv auf die Mediziner zugehen.“Denn Huss ist davon überzeugt, dass solchen Zentren die Zukunft gehört. „Der Patient bekommt schnell die Behandlung­sform, die er braucht. Und der Arzt kann sich mehr um Medizin kümmern. Noch keiner, der in so ein Zentrum gegangen ist, hat es

bereut.“

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