Politik der Symbole löst keine Probleme
Der Europäische Gerichtshof korrigiert die österreichische Familienpolitik. Daraus sind einige Lehren zu ziehen.
Es ist eine Frage, anhand derer man trefflich über den Begriff der Gerechtigkeit diskutieren kann: Ist es gerecht, die Höhe der österreichischen Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten in jenem Land zu
binden, in dem die Kinder leben? Ja, denn es geht darum, die mit Kindern verbundenen Mehraufwendungen zu kompensieren, und die sind in Bulgarien
nun einmal niedriger als in Österreich. Nein, denn die bulgarischen Eltern, die getrennt von ihren Kindern in Österreich leben und ins Sozialsystem einzahlen, haben ja gleich viel eingezahlt wie ihre österreichischen Kollegen. Ja, weil eine für alle Kinder gleich hohe Familienbeihilfe die bulgarischen Kinder gegenüber den österreichischen faktisch bevorzugen
würde. Nein, weil jedes Kind gleich viel wert sein muss. Und so weiter, und man könnte sachlich darüber diskutieren, wenn man dies wollte. Die damals regierende türkis-blaue Kurz-Strache-Koalition wollte dies nicht, als sie 2018 die Indexierung der Familienbeihilfe beschloss. Vielmehr ging es darum, ein sichtbares Zeichen rechtspopulistischer Politik auszusenden. Den Kollateralschaden – unter anderem, dass Österreich als Arbeitsplatz an Attraktivität verliert
für die Pflegekräfte aus Osteuropa, die dieses Land dringend braucht – nahm man billigend in Kauf.
Billigend in Kauf nahm die damalige Regierung auch, dass die Indexierung der Familienbeihilfe EU-rechtswidrig ist. Das war damals allen Expertinnen und Experten klar, das hat am Fronleichnamstag nun auch der Europäische Gerichtshof festgehalten. Es handle sich bei der türkis-blauen österreichischen Lösung um eine „mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit“, befand der EuGH.
Auch verstoße die Indexierung gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. Wieder einmal muss Österreich ein
Gesetz reparieren, das anders als andere Gesetze nicht aus bloßer Fahrlässigkeit, sondern mit voller Absicht verpfuscht worden ist.
Was kann die Politik aus dem Fall lernen? Zum einen, dass es sich empfiehlt, sich an EU-, Verfassungsund sonstige Regeln zu halten. Und zum anderen, dass Politik, die nur aus Signalen und Symbolen besteht, niemandem nützt. Man muss kein Rechtspopulist sein, um zu erkennen, dass die Migration, die Verwerfungen des europäischen Arbeitsmarkts, die unterschiedlichen Lebensstandards in den EU-Ländern die Union vor große Probleme stellen. Eine platte Bestrafungsaktion, vollzogen an in Osteuropa lebenden Kindern, löst keines davon.