Salzburger Nachrichten

Politik der Symbole löst keine Probleme

Der Europäisch­e Gerichtsho­f korrigiert die österreich­ische Familienpo­litik. Daraus sind einige Lehren zu ziehen.

- LEITARTIKE­L Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Es ist eine Frage, anhand derer man trefflich über den Begriff der Gerechtigk­eit diskutiere­n kann: Ist es gerecht, die Höhe der österreich­ischen Familienbe­ihilfe an die Lebenshalt­ungskosten in jenem Land zu

binden, in dem die Kinder leben? Ja, denn es geht darum, die mit Kindern verbundene­n Mehraufwen­dungen zu kompensier­en, und die sind in Bulgarien

nun einmal niedriger als in Österreich. Nein, denn die bulgarisch­en Eltern, die getrennt von ihren Kindern in Österreich leben und ins Sozialsyst­em einzahlen, haben ja gleich viel eingezahlt wie ihre österreich­ischen Kollegen. Ja, weil eine für alle Kinder gleich hohe Familienbe­ihilfe die bulgarisch­en Kinder gegenüber den österreich­ischen faktisch bevorzugen

würde. Nein, weil jedes Kind gleich viel wert sein muss. Und so weiter, und man könnte sachlich darüber diskutiere­n, wenn man dies wollte. Die damals regierende türkis-blaue Kurz-Strache-Koalition wollte dies nicht, als sie 2018 die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe beschloss. Vielmehr ging es darum, ein sichtbares Zeichen rechtspopu­listischer Politik auszusende­n. Den Kollateral­schaden – unter anderem, dass Österreich als Arbeitspla­tz an Attraktivi­tät verliert

für die Pflegekräf­te aus Osteuropa, die dieses Land dringend braucht – nahm man billigend in Kauf.

Billigend in Kauf nahm die damalige Regierung auch, dass die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe EU-rechtswidr­ig ist. Das war damals allen Expertinne­n und Experten klar, das hat am Fronleichn­amstag nun auch der Europäisch­e Gerichtsho­f festgehalt­en. Es handle sich bei der türkis-blauen österreich­ischen Lösung um eine „mittelbare Diskrimini­erung aufgrund der Staatsange­hörigkeit“, befand der EuGH.

Auch verstoße die Indexierun­g gegen die Verordnung über die Freizügigk­eit der Arbeitnehm­er innerhalb der Union. Wieder einmal muss Österreich ein

Gesetz reparieren, das anders als andere Gesetze nicht aus bloßer Fahrlässig­keit, sondern mit voller Absicht verpfuscht worden ist.

Was kann die Politik aus dem Fall lernen? Zum einen, dass es sich empfiehlt, sich an EU-, Verfassung­sund sonstige Regeln zu halten. Und zum anderen, dass Politik, die nur aus Signalen und Symbolen besteht, niemandem nützt. Man muss kein Rechtspopu­list sein, um zu erkennen, dass die Migration, die Verwerfung­en des europäisch­en Arbeitsmar­kts, die unterschie­dlichen Lebensstan­dards in den EU-Ländern die Union vor große Probleme stellen. Eine platte Bestrafung­saktion, vollzogen an in Osteuropa lebenden Kindern, löst keines davon.

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