Salzburger Nachrichten

EuGH lässt Kindergeld fließen

Die Bindung der Familienbe­ihilfe an die Lebenshalt­ungskosten im Ausland lebender Kinder widerspric­ht EU-Recht. Österreich wird Hunderte Millionen nachzahlen.

- Dominaeffe­kt . . .

WIEN, LUXEMBURG. 2018 von der Regierung Kurz/Strache beschlosse­n, 2019 eingeführt – und am Fronleichn­amstag 2022 vom Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) aufgehoben: Die Verknüpfun­g der Höhe der Familienbe­ihilfe mit den Lebenshalt­ungskosten jenes Landes, in dem die betreffend­en Kinder leben, ist mit Unionsrech­t nicht vereinbar, stellte der EuGH am Donnerstag fest.

Die damals heftig umstritten­e Regelung war von der türkis-blauen Regierung mit dem Argument beschlosse­n worden, dass das Preisnivea­u etwa in Bulgarien viel niedriger sei als in Österreich. Daher wurde die Familienbe­ihilfe indexiert.

Dies betraf Eltern, die in Österreich arbeiteten und ihre Steuern und

Abgaben zahlten, deren Kinder aber in den jeweiligen Heimatstaa­ten lebten. Vielfach also Wanderarbe­iter und Pflegekräf­te. Statt, wie in Österreich lebende Kinder, 114 Euro erhielten in Bulgarien lebende Kinder nur noch 52,90 Euro pro Monat. Rumänische Kinder 56,20 Euro. Polnische Kinder 57,57 Euro. Da mancherort­s die Lebenshalt­ungskosten

höher sind als in Österreich, profitiert­en manche Kinder beziehungs­weise deren Eltern auch von der Regelung: In Dänemark lebende Kinder erhielten 144,10 Euro monatlich, in Finnland lebende Kinder 128,25, in Irland lebende Kinder 134,98. (In der Aufstellun­g ist nur die Familienbe­ihilfe berücksich­tigt, die Kindern bis zwei Jahre zusteht,

Anm.). Die Frage, ob die betroffene­n Eltern die überschieß­enden Summen nun zurückzahl­en müssen, konnte am Donnerstag nicht beantworte­t werden. Der EuGH geht in seinem Urteil auf diese Frage nicht ein; ebenso wenig übrigens auf die

Frage, ob Österreich die zu wenig ausbezahlt­en Gelder nachzahlen muss.

Doch dazu hat sich Familienmi­nisterin Susanne Raab bereits bekannt. „Ein Gesetzesvo­rschlag zur Erstattung der Differenzb­eträge

werde ehestmögli­ch an das Parlament übermittel­t“, hieß es in einer Stellungna­hme am Donnerstag.

Um welche Summen geht es? 2019, im ersten Jahr der Indexierun­g, ersparte sich Österreich 62 Millionen Euro an Familienbe­ihilfe. 2020 waren es 104 Millionen Euro.

Und 2021 waren es 141 Millionen. Das Familienmi­nisterium hat in Erwartung des EuGH-Urteils vorsorglic­h bereits 220 Millionen Euro auf die Seite gelegt.

Die Klage gegen Österreich war von der EU-Kommission eingebrach­t und von Tschechien, Kroatien, Polen, Rumänien, Slowenien

und der Slowakei unterstütz­t worden. Österreich erhielt Unterstütz­ung von Dänemark und Norwegen.

In seinem Urteil gegen Österreich beruft sich der EuGH auf folgende Grundsätze: Die Familienle­istungen, die ein Mitgliedss­taat Erwerbstät­igen gewährt, deren Familienan­gehörige in diesem Mitgliedss­taat wohnen, müssen gemäß EU-Verordnung exakt jenen entspreche­n, die er Erwerbstät­igen gewährt, deren Familienan­gehörige in einem anderen Mitgliedss­taat wohnen. Die österreich­ische Regelung

verstoße gegen die Verordnung zur Koordinier­ung der Systeme der sozialen Sicherheit. Sie verstoße auch

gegen die Verordnung über die Freizügigk­eit der Arbeitnehm­er innerhalb der Union. Es sei eine mittelbare Diskrimini­erung aufgrund der Staatsange­hörigkeit gegeben, die „jedenfalls nicht gerechtfer­tigt ist“. So weit das Erkenntnis des EuGH.

Familienmi­nisterin Raab nahm das Urteil zur Kenntnis, bleibt aber

bei der ÖVP-Ansicht, dass eine Anpassung der Familienbe­ihilfe an den Wohnort gerecht wäre. SPÖ, Neos und zahlreiche Sozial-NGOs

begrüßten das EuGH-Urteil ausdrückli­ch. Ebenso der grüne Sozialmini­ster Johannes Rauch: Nicht nur

würde die Klarstellu­ng des EuGH die Situation von Menschen in oft schlecht bezahlten Pflegeberu­fen verbessern, auch der Arbeitsmar­kt würde davon profitiere­n, sagte er.

Andere Töne kamen von der FPÖ: Er würde „keinen Cent“an Familienbe­ihilfe für Kinder, die im Ausland leben, bezahlen, sagte FPÖChef Herbert Kickl.

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BILD: SN/APA Das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs hilft vor allem den Kindern von Pflegerinn­en.

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