Salzburger Nachrichten

Solidaritä­tsbesuch der Zauderer

Lange haben sie gewartet, doch am 113. Kriegstag kamen Macron, Draghi und Scholz nach Kiew. Am Ende gaben die Staatschef­s ein Verspreche­n.

- CHRISTOPH REICHMUTH Wolodymyr Selenskyj

KIEW. Unter freiem Himmel vor dem

Kiewer Präsidente­npalast traten der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj und die drei Staatschef­s der drei bevölkerun­gsreichste­n und wirtschaft­lich stärksten EU-Staaten vor die Presse: Italiens Ministerpr­äsident Mario Draghi,

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Auch mit dabei: der rumänische Präsident Klaus Johannis. Die Pressekonf­erenz ließ auf sich

warten. Die Staatschef­s besprachen sich in geschlosse­ner Runde länger, als vorgesehen war. „Die Ukraine ist an vorderster Front im Kampf gegen Russland, aber nicht allein“, sagte Selenskyj. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz wird etwas später in das

Mikrofon sagen: „Slava Ukraini!“– „Ruhm der Ukraine!“

Vor allem der Besuch des deutschen Kanzlers war von der Ukraine seit Wochen erwartet worden. Doch

der Sozialdemo­krat ließ sich Zeit – auch wegen Irritation­en zwischen den beiden Ländern, nachdem die Ukraine Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier wegen seiner früheren prorussisc­hen Politik zur

unerwünsch­ten Person erklärt hatte. Der Besuch Draghis, Macrons und Scholz’ ist spät gekommen, aber es ist die bislang bedeutends­te Aufwartung europäisch­er Staatschef­s in dem kriegsgebe­utelten Land.

Die vier Staatschef­s sicherten der Ukraine ihre vollste Solidaritä­t zu. Diese drückt sich auch dadurch aus, dass sich Scholz, Draghi, Macron

und Johannis explizit dafür ausgesproc­hen haben, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittsk­andidaten zu verleihen. Die EU-Beitrittsp­erspektive

ist ein lang gehegter Wunsch der Regierung Selenskyj. An diesem Freitag wird die EUKommissi­on über die Frage beraten, eine Aufnahme der Ukraine zum

Beitrittsk­andidaten müsste von sämtlichen 27 Mitgliedss­taaten in der nächsten Woche bestätigt werden. „Die Ukraine gehört zur europäisch­en Familie. Deutschlan­d ist für eine positive Entscheidu­ng zugunsten der Ukraine“, sagte Scholz.

Dem Besuch der europäisch­en

Spitzenpol­itiker gingen diplomatis­che Irritation­en voraus. Der Umstand, dass sich Macron und Scholz öfters mit Kreml-Chef Wladimir Putin telefonisc­h unterhielt­en, wurde in ukrainisch­en Regierungs­kreisen

bisweilen mit Argwohn beobachtet. Macron und – etwas verklausul­ierter auch Scholz – mahnten immer wieder dazu, Putin einen gesichtswa­hrenden Ausweg aus dem Konflikt zu ermögliche­n. Scholz erweckte zudem den Eindruck, er wolle aus Furcht vor einer Eskalation des Konflikts den russischen

Präsidente­n nicht zu stark provoziere­n – weshalb er bei der Lieferung schwerer Waffen lange zögerte

und auch heute davor zurückschr­eckt, Schützenpa­nzer ins Kriegsgebi­et zu senden.

Die Irritation­en scheinen zumindest vorübergeh­end aus dem Weg

geräumt. Auf eine entspreche­nde Journalist­enfrage zu den Waffenlief­erungen und zur ukrainisch­en Kritik an der deutschen Zögerlichk­eit, sagte Selenskyj: „Ich bin sehr zufrieden mit dem heutigen Treffen.“Das Signal der Unterstütz­ung sei angekommen. „Deutschlan­d bildet hier keine Ausnahme.“

Scholz verwies auf die versproche­nen Gepard-Flugabwehr­panzer, die Panzerhaub­itzen 2000 und das Luftvertei­digungssys­tem IRIS-T. Allerdings sicherte Scholz keine zusätzlich­en schweren Waffen zu, obwohl Selenskyj auch am Donnerstag die Notwendigk­eit schwerer Geräte unterstric­h. „Jede Lieferung schwerer Waffen bedeutet die Rettung von Menschenle­ben.“

Macron und Scholz wiesen auch die von ukrainisch­en Journalist­en geäußerte Befürchtun­g zurück, sie

würden quasi über die Köpfe der Ukrainer mit Putin an einem Kompromiss­frieden basteln. „Wir wollen nicht anstelle der Ukraine verhandeln“, betonte Macron. Er sagte aber auch: „Keiner von uns will einen Konflikt gegen das russische

Volk führen. Wir wollen keinen weltweiten Konflikt befeuern.“Scholz merkte an: „Russland muss

bedeutet werden, dass es keinen Diktatfrie­den durchsetze­n kann.“

Gustav Gressel, Militärexp­erte des European Council on Foreign

Relations, äußert gegenüber den SN die Hoffnung, dass der Besuch von

Scholz in der Ukraine zu einem Umdenken in der Regierung führen

wird. Gressel drängt auf die Lieferung schwerer Waffen. „Putins Ambitionen gehen über die Ukraine hinaus. Aus eigenem Interesse muss Deutschlan­d helfen, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden –

und zwar nicht nach russischen Bedingunge­n.“

„Es ist ein wichtiger Tag für die Ukraine.“

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BILD: SN/AP Macron, Draghi und Scholz zeigten sich beim Besuch des Kiewer Vororts Irpin sichtlich betroffen.
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