Solidaritätsbesuch der Zauderer
Lange haben sie gewartet, doch am 113. Kriegstag kamen Macron, Draghi und Scholz nach Kiew. Am Ende gaben die Staatschefs ein Versprechen.
KIEW. Unter freiem Himmel vor dem
Kiewer Präsidentenpalast traten der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und die drei Staatschefs der drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten EU-Staaten vor die Presse: Italiens Ministerpräsident Mario Draghi,
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Auch mit dabei: der rumänische Präsident Klaus Johannis. Die Pressekonferenz ließ auf sich
warten. Die Staatschefs besprachen sich in geschlossener Runde länger, als vorgesehen war. „Die Ukraine ist an vorderster Front im Kampf gegen Russland, aber nicht allein“, sagte Selenskyj. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz wird etwas später in das
Mikrofon sagen: „Slava Ukraini!“– „Ruhm der Ukraine!“
Vor allem der Besuch des deutschen Kanzlers war von der Ukraine seit Wochen erwartet worden. Doch
der Sozialdemokrat ließ sich Zeit – auch wegen Irritationen zwischen den beiden Ländern, nachdem die Ukraine Bundespräsident FrankWalter Steinmeier wegen seiner früheren prorussischen Politik zur
unerwünschten Person erklärt hatte. Der Besuch Draghis, Macrons und Scholz’ ist spät gekommen, aber es ist die bislang bedeutendste Aufwartung europäischer Staatschefs in dem kriegsgebeutelten Land.
Die vier Staatschefs sicherten der Ukraine ihre vollste Solidarität zu. Diese drückt sich auch dadurch aus, dass sich Scholz, Draghi, Macron
und Johannis explizit dafür ausgesprochen haben, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen. Die EU-Beitrittsperspektive
ist ein lang gehegter Wunsch der Regierung Selenskyj. An diesem Freitag wird die EUKommission über die Frage beraten, eine Aufnahme der Ukraine zum
Beitrittskandidaten müsste von sämtlichen 27 Mitgliedsstaaten in der nächsten Woche bestätigt werden. „Die Ukraine gehört zur europäischen Familie. Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine“, sagte Scholz.
Dem Besuch der europäischen
Spitzenpolitiker gingen diplomatische Irritationen voraus. Der Umstand, dass sich Macron und Scholz öfters mit Kreml-Chef Wladimir Putin telefonisch unterhielten, wurde in ukrainischen Regierungskreisen
bisweilen mit Argwohn beobachtet. Macron und – etwas verklausulierter auch Scholz – mahnten immer wieder dazu, Putin einen gesichtswahrenden Ausweg aus dem Konflikt zu ermöglichen. Scholz erweckte zudem den Eindruck, er wolle aus Furcht vor einer Eskalation des Konflikts den russischen
Präsidenten nicht zu stark provozieren – weshalb er bei der Lieferung schwerer Waffen lange zögerte
und auch heute davor zurückschreckt, Schützenpanzer ins Kriegsgebiet zu senden.
Die Irritationen scheinen zumindest vorübergehend aus dem Weg
geräumt. Auf eine entsprechende Journalistenfrage zu den Waffenlieferungen und zur ukrainischen Kritik an der deutschen Zögerlichkeit, sagte Selenskyj: „Ich bin sehr zufrieden mit dem heutigen Treffen.“Das Signal der Unterstützung sei angekommen. „Deutschland bildet hier keine Ausnahme.“
Scholz verwies auf die versprochenen Gepard-Flugabwehrpanzer, die Panzerhaubitzen 2000 und das Luftverteidigungssystem IRIS-T. Allerdings sicherte Scholz keine zusätzlichen schweren Waffen zu, obwohl Selenskyj auch am Donnerstag die Notwendigkeit schwerer Geräte unterstrich. „Jede Lieferung schwerer Waffen bedeutet die Rettung von Menschenleben.“
Macron und Scholz wiesen auch die von ukrainischen Journalisten geäußerte Befürchtung zurück, sie
würden quasi über die Köpfe der Ukrainer mit Putin an einem Kompromissfrieden basteln. „Wir wollen nicht anstelle der Ukraine verhandeln“, betonte Macron. Er sagte aber auch: „Keiner von uns will einen Konflikt gegen das russische
Volk führen. Wir wollen keinen weltweiten Konflikt befeuern.“Scholz merkte an: „Russland muss
bedeutet werden, dass es keinen Diktatfrieden durchsetzen kann.“
Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign
Relations, äußert gegenüber den SN die Hoffnung, dass der Besuch von
Scholz in der Ukraine zu einem Umdenken in der Regierung führen
wird. Gressel drängt auf die Lieferung schwerer Waffen. „Putins Ambitionen gehen über die Ukraine hinaus. Aus eigenem Interesse muss Deutschland helfen, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden –
und zwar nicht nach russischen Bedingungen.“
„Es ist ein wichtiger Tag für die Ukraine.“