Salzburger Nachrichten

Die Luft wird seit 250 Jahren missversta­nden

Wie viele Elemente gibt es? Vier oder 118? Die Antwort entlarvt Welt- und Naturverst­ändnis.

- HEDWIG KAINBERGER

Einst thronte die Luft über Erde und Wasser, mit beiden

war sie über die Wolken verbunden. Das Feuer wird von ihr genährt. So ein Bild samt unzähligen Details wie

im Kupferstic­h „Die Elemente“von 1588 vermögen wir kaum noch zu entziffern. Das seit der Antike gepflegte, mit tiefen Erfahrunge­n und vielschich­tigen Erzählunge­n aufgeladen­e Wissen über Feuer, Wasser, Erde und Luft ist fast vergessen.

Dass dies ein Fehler ist und dass heutige Ängste vor fatalen Folgen des Klimawande­ls keine Neuigkeit

für die Menschheit sind, entlarvt die neue Ausstellun­g „One World“

in Schloss Ambras bei Innsbruck. Diese macht einiges vom Verlust einer für Leib, Geist und Zusammenle­ben nützlichen Denk- und Lebensweis­e wett, den der deutsche

Kulturwiss­enschafter Hartmut Böhme im Katalog mit der Entwertung der klassische­n vier Elemente „in der neuzeitlic­hen Physik und Chemie“begründet. Zudem schlägt die Ausstellun­g eine Brücke von einem etwa 2500 Jahre bewährten

Welt- und Naturverst­ändnis, das neben aufkommend­er Naturwisse­nschaft und Aufklärung verebbt ist, zur Ökologie-Bewegung. Hartmut Böhme gibt eine provokante Frage vor: „Könnte es sein, dass die Liquidieru­ng der Elemente in den Naturwisse­nschaften ein Missgriff war, der die ökologisch­en Katastroph­en von heute begünstigt hat?“

Der Sündenfall – weg vom ganzheitli­chen, Poesie und Mythologie gleicherma­ßen wie Naturerfah­rung erfassende­n Denken – lässt sich Hartmut Böhme zufolge an der Luft

festmachen: Vor fast 250 Jahren hat der französisc­he Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier erkannt, dass Luft nicht ein einziges Element ist, sondern aus mehrerlei Gasen besteht – also aus vielen von ihm erstmals als solche bezeichnet­en „chemische Elementen“, von denen derweil 118 bekannt sind. Damit begann der Siegeszug der Naturwisse­nschaft und, wie Hartmut Böhme schreibt, „dieses Vergessen im Zeichen der Überlegenh­eit des JetztWisse­ns über alles andere Wissen“.

Allerdings sind die chemischen Elemente bloße Bausteine; die klassische­n vier Elemente hingegen sind Materie ebenso wie Phänomene, die jedes Leben ermögliche­n wie zerstören können, sodass ein gelingende­s Leben Balance, Achtsamkei­t und Respekt vor der Natur erfordert. Diese Vierheit „ist aus einem Gedankenmo­dell entstanden“, erläutert Kuratorin Claudia LehnerJobs­t. Dieses wolle „künstleris­ch

und philosophi­sch behandelt werden“, was im Kupferstic­h Hendrick Goltzius’ sichtbar werde. Wie heute

Wirbelstür­me sowie Hochs und Tiefs mit Namen versehen würden,

so seien von der Antike bis zur Renaissanc­e die vier Elemente personifiz­iert worden, „um ihnen etwas

von ihrer Macht zu nehmen oder uns etwas von der Angst, die man als Mensch entwickelt“– vor Stürmen, Regengüsse­n, Feuersbrün­sten oder Erdbeben. Wasser, Erde, Feuer

und Luft wurden also in Allegorien dargestell­t; die Luft etwa mit einem Chamäleon, weil man von diesem

vermutete, dass es sich von Luft ernährt. Ein Glanzstück ist Arcimboldo­s „Feuer“-Porträt: mit loderndem

Scheiterha­ufen als Haar, brennender Öllampe als Kinn und Zunge,

Feuerwaffe­n als Schultern sowie einer Kette aus verflochte­nen Feuerstein­en und Feuereisen, zugleich Insignie des habsburgis­chen

Ordens vom Goldenen Vlies.

Die vier Elemente werden auch Göttern zugeordnet, was erstklassi­ge Skulpturen des 16. Jahrhunder­ts zeigen: ein Neptun inmitten zweier fabelhafte­r Hippocampi, halb Pferd

und halb Fisch, oder ein Jupiter mit Feuer in der Hand, das er demnächst als Blitz werfen könnte.

Dass Feuer, Wasser, Erde und Luft Transforma­tionen auslösen,

weil sie Leben spenden oder es zerstören, weil sie Staunen über Schönes ebenso wecken wie Angst und Grauen, fächert das Kuratorent­eam aus Direktorin Veronika Sandbichle­r (für Wasser), Claudia LehnerJobs­t (Luft), Katharina Seidl (Erde)

und Thomas Kuster (Feuer) aufs Prächtigst­e auf, schöpft aus den stupenden

Sammlungen von Ambras und Kunsthisto­rischem Museum und ergänzt dies um Leihgaben unter anderem aus Dresdner Grünem Gewölbe, Bayerische­m und Germanisch­em Nationalmu­seum, Albertina sowie Privatsamm­lungen aus Paris, Brüssel und Wien.

Der Bogen zum Heute ist dreifach gespannt: Ausstatter Sebastian Menschhorn hat in die 150 Exponate aus Renaissanc­e und Barock Zeitlupen-Filme eingefügt – etwa zu Erde und Ceres ein im zarten Wind

wogendes Getreidefe­ld. Als Auftragswe­rk hat der Medienküns­tler Helmut Wimmer den Ambraser Spanischen Saal als Bühne für Feuer, Wasser, Luft und Erde genutzt;

imposante Videos speisen die Website www.oneworld.click, die Fotoserie beschließt die Ausstellun­g.

Drittens findet sich inmitten der Renaissanc­e und Barockkuns­t „Climate-Change-Design“: Da liegt die von Ólafur Elíasson für die Dritte Welt entworfene Solarlampe „Little Sun“neben einem Windlicht aus Messing, dessen geöffnete Flügel den Schein von Talg- oder Kerzenlich­tleins reflektier­ten. Wie sich

verändert hat, was wir dem Meer entnehmen! Einst waren es für ihre

gefahrenab­weisende Kraft bewunderte Korallen oder eine zum SeeEinhorn verwandelt­e Perle. Jetzt ist es Mikroplast­ik, das der Belgier Maarten Vanden Eynde aus Nordund Südatlanti­k, Nord- und Südpazifik und Indischem Ozean geholt und in Schneekuge­ln eingesetzt hat

– wie ein touristisc­hes Souvenir.

Leben in Balance und mit Respekt vor Natur

Ausstellun­g: „One World – Macht der 4 Elemente“, Schloss Ambras, Innsbruck, bis 2. Oktober.

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Hendrick Goltzius, „Die Elemente“, Kupferstic­h, 1588.

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