Vieles fehlt im eigenen Land
Österreichs Landwirtschaft ist in der Produktion viel stärker auf Importe angewiesen, als ihr lieb sein kann. Zum Jubel über den hohen Grad der Selbstversorgung passt das kaum.
WIEN. „Die Lebensmittelversorgung ist weiterhin gesichert“, sagte dieser Tage Neo-Agrarminister Norbert Totschnig nach einer Sitzung des Krisenstabs zur Versorgungslage. Agrarvertreter und Bauern sind stolz drauf. Versorgungssicherheit, österreichische Herkunft und Regionalität in der Produktion heben sie immer wieder als große Stärken und als Beweis für ihre Bedeutung und Leistungsfähigkeit hervor.
Der hohe Selbstversorgungsgrad bei vielen Produkten ist durchaus beeindruckend und mag beruhigend wirken. Er darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Österreichs Landwirtschaft in der Erzeugung stark vom Ausland abhängig ist. Denn auch wenn im Land genügend Lebensmittel erzeugt werden, um die Versorgung zu sichern, ist die Landwirtschaft in weiten Teilen der Wertschöpfungskette alles andere als autark, sondern auf Importe angewiesen. Nicht einmal Bratund andere Würste gäbe es, weil die dafür nötigen Tierdärme aus China,
Australien, Neuseeland und der Türkei importiert werden müssen.
Bekanntestes Beispiel sind Sojaimporte aus Übersee, ohne die die inländische Erzeugung von Schweineund Geflügelfleisch kaum denk
bar wäre. Die große Importabhängigkeit bei Saatgut und in der Tiergenetik kommt in der öffentlichen Debatte dagegen kaum vor.
Dabei ist man bei Saatgut nur in begrenzten Bereichen wie bei Qualitätsweizen und Triticale (Kreuzung von Weizen und Roggen), bei Soja und Silomais sowie Kürbis
halbwegs gut aufgestellt. Damit hat es sich aber. Bei wichtigen Feldfrüchten wie Mahlweizen und Gerste, aber auch Hafer, Roggen und Raps kommen rund 75 Prozent des Saatguts aus dem Ausland, weil heimische Züchtungen mit Leistungen der Importware nicht mithalten
können. Zu fast 100 Prozent importiert
Bei Saatgut geht es nur mit hohen Importen
wird genetisches Grundmaterial bei Körnermais. In besonderen
Verfahren wird es im Auftrag von Unternehmen wie der Saatbau Linz zu Saatgut von Spezialisten unter den Bauern vermehrt, ehe es als
Saatgut verwendet werden kann – sofern nicht gleich fertiges Saatgut importiert wird.
Besonders schlecht schaut es bei Saatgut für Gräser aus. Genetik und Zuchtmaterial dafür und das fertige Saatgut kommen praktisch zur
Gänze aus Dänemark und Neuseeland. Nicht viel anders ist es bei Gemüse. Da bemühen sich zwar kleine Unternehmen und Gruppen wie etwa die „Arche Noah“um heimisches Saatgut, in großem Stil gibt es aber bei Gemüse weder Züchtung noch Saatgutvermehrung in Österreich. Selbst bei Biogemüse kommen alle Sorten in den großen Produktionsbereichen aus dem Ausland. Und das mitunter gar von Unternehmen, die man nie mit Bio in
Verbindung bringen würde. Ausgerechnet von Monsanto und Syngenta kommen dem Vernehmen nach die besten Biotomatensorten.
Die Abhängigkeit von Genetik und Zuchtmaterial aus dem Ausland ist auch in der tierischen Produktion ein großes Thema. Während Österreichs Bauern bei Rindern und Schweinen auf eine gute eigene Genetik zugreifen können, müssen bei Mast- und Legehühnern
und bei Puten, wo sich Hybridzüchtungen durchgesetzt haben, 100 Prozent der Genetik aus dem Ausland importiert werden. Eine eigene Züchtung gibt es in keinem der Produktionsbereiche, nur Vermehrungen über Elterntiere.
Aber nicht allein bei der Genetik und beim Zuchtmaterial, das Voraussetzung für die Produktion ist, ist die Auslandsabhängigkeit groß.
Auch bei den Mengen, die auf den heimischen Äckern erzeugt werden, gibt es mitunter Aufholbedarf. Neben Soja und anderen Eiweißfrüchten müssen vor allem Mais
und Gerste aus Osteuropa importiert werden, um die Nachfrage der heimischen Tierhalter erfüllen zu können. Während es in diesen Bereichen immerhin eine heimische Grundversorgung gibt, ist man bei
Aminosäuren, die für die Eiweißversorgung eine zentrale Rolle spielen, zur Gänze von Importen abhängig.
Zu den Schwachstellen der heimischen Agrarproduktion zählen zudem die hohe Abhängigkeit bei Pflanzenschutzmitteln sowie Dünger. In Österreich gibt es nur mehr zwei Unternehmen, die Pflanzenschutzmittel herstellen, überwiegend Generika, also Mittel, deren Patentschutz abgelaufen ist. Eigene Entwicklungen von Pflanzenschutzmitteln oder gar Wirkstoffen
gibt es schon seit Langem nicht mehr. Und bei Düngemitteln sitzt
mit der Borealis in Linz zwar ein Düngerproduzent von internationalem Rang in Österreich, die Sparte wird aber von der OMV-Tochter
just in diesen Wochen an den Konzern des ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš verkauft, nachdem im Februar der
Verkauf an einen russischen Konzern im letzten Moment gestoppt
worden war. Borealis ist nicht nur auf Kali und Phosphor von internationalen Märkten angewiesen, die sie für die Produktion von Volldünger braucht. Vor allem ist sie auch auf Gas aus Russland für die Erzeugung von Stickstoffdünger angewiesen, ohne den die Landwirtschaft nur einen Bruchteil der Ernten erzeugen könnte. Und ohne Gas
läuft in der Düngerproduktion gar nichts. So wie in vielen anderen Bereichen entlang der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette auch.
Nicht nur, dass die Bauern Hühnerund Schweineställe klimatisieren müssen und für die meisten Betreiber von Glashäusern Gas existenziell ist, sondern es stünden auch Molkereien, Käsereien, Schlachthöfe, Fleischverarbeiter, Bäcker und Gemüseverarbeiter und
viele andere Unternehmen in der Lebensmittelproduktion sehr schnell still, sollte der Gashahn tatsächlich zugedreht werden.