„Respekt würde den Tourismus verbessern“
Gute Daten der Forschung sind eine Chance, trotz aller Krisen nachhaltigeres Reisen umzusetzen.
Die Wissenschaft, vor allem die Soziologie, liefert seit Jahren verlässliche Daten über Auswirkungen des
Tourismus, zu den positiven wirtschaftlichen vor allem für strukturschwache Regionen, aber auch zu den unübersehbaren negativen Folgen. Einige Stichwörter dazu: Umweltbelastung, Ressourcenverbrauch, Verkehr, Müll, Ausverkauf von Natur und historischem Erbe, Disneylandisierung.
Der Salzburger Tourismusforscher Kurt Luger mahnt mit seinem
neuen Buch „Tourismus – Über das Reisen und Urlauben in unserer Zeit“raschere Veränderungen an.
SN: Nun ist die Reiselust wieder ungebrochen mit allen Konsequenzen. Warum ändert sich so wenig?
Kurt Luger: Das liegt zuerst wohl an der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Es wurde und wird in den Tourismus ja viel investiert. Gerade für Österreich war der Tourismus nach dem Zweiten Weltkrieg die große
Zukunftshoffnung. Das hat sich auch bewahrheitet. Die Schaffung
von dezentralen Arbeitsplätzen in den Alpentälern ist eine große Errungenschaft. Die negativen Begleitumstände des Tourismus wollte man nicht sehen – und so wurden sie auch immer größer.
Pandemie und Krieg zusammen vor der Haustür zeigen die wirtschaftliche Abhängigkeit dieses Sektors. Ich spreche oft mit Vertretern der Branche und bin erstaunt,
wie schwer sich viele damit tun, den Klimawandel als das am meisten
herausfordernde Thema anzunehmen. Während der Coronakrise
wurde noch einmal kräftig investiert, da und dort wohl auch im Sinne von Nachhaltigkeit. Aber letztlich will man dort weitermachen,
wo man aufgehört hat, und möglichst rasch wieder in die Gewinnzone kommen. Das ist aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar, löst aber das grundsätzliche Problem nicht.
Nur ein Beispiel: Viele Hotels haben in energieintensive Formen investiert, wie etwa Spas, ohne an den
Ausbau von erneuerbaren Energien zu denken. Mit den hohen Energiepreisen sitzen sie jetzt in der Falle. Im Seilbahntourismus wird enorm investiert, als gäbe es keinen Klimawandel. Der ganze Wintertourismus ist sehr energieintensiv, er verändert die Landschaft und die Natur massiv. Und da reden wir noch
gar nicht vom Verkehr in die Wintersportorte.
SN:
Es sieht so aus, als würden die Krisen sich zuspitzen und das Umdenken erzwingen.
Die Branche ist schon sehr nachdenklich geworden und im Moment
gibt es viel Verzweiflung. Trotzdem müssen wir im wahrsten Sinne des
Wortes runter vom Gas. Lang haben viele gedacht, sie hätten es gut hingekriegt und es würde genügen, den Gästen nahezulegen, die Handtücher zwei Mal zu benutzen. Jetzt sehen wir ganz deutlich, dass nichts ohne gravierende Auswirkung
bleibt. Ob Umwelt, Kultur oder das Sozialleben der Einheimischen – die Branche muss rascher die negativen Veränderungen in den Griff
bekommen. Und auch langfristig für sich selbst nachhaltige Entscheidungen treffen, sonst sägt man den Ast ab, auf dem man sitzt.
Natürlich gibt es gute Ansätze: Haben die Bewohner von Dörfern ein Wort mitzureden, wehren sie sich auch gegen die weitere Zerstörung von Kulturlandschaft, Umweltverträglichkeitsprüfungen sind als Chance zu sehen und Fachleute
haben die Aufgabe, die Zusammenhänge
aufzuzeigen. Für den vernünftigen, respektvollen und eigenverantwortlichen Tourismus
braucht es auch neue Angebote, insbesondere die Mobilität betreffend, die den Großteil an Belastung ausmacht – und zwar für die Bewohner von Tourismusorten wie für die Umwelt. Es gibt einige Beispiele für nachhaltige Tourismusmobilität. Im Ötztal etwa bemüht man sich, mit Zug und Shuttle die Leute zum Verzicht des Autos zu bewegen. Und das Modellprojekt für sanfte Mobilität in Werfenweng ist seit Langem ein Vorbild.
SN: Auch die Touristen werden lernen müssen ...
Ja, natürlich. Touristen haben jahrzehntelang geglaubt, sie seien die Könige, die sich alles erlauben können. Gäste sollen gut behandelt
werden, aber sie haben auch Verantwortung. Oft würde es genügen, sich wirklich als Gast zu benehmen,
die grundlegenden Regeln des Anstands zu befolgen. Wenn man etwa
bei All-inclusive-Reisen schaut, wie Buffets, Tische und Teller nach dem
Ansturm aussehen, dann treibt das nicht nur den örtlichen Angestellten das Wasser in die Augen. Die
Angebote sollten so konzipiert sein, dass die Möglichkeiten des gravierenden
Fehlverhaltens ausgeschlossen sind. Niemand hört das gern, aber Regulierung ist erforderlich, vor allem wenn wir von größeren Touristenmengen sprechen.
Verlierer sind diejenigen, die nicht am Tourismus teilhaben und davon profitieren. Die Art von Overtourism, wenn die Belastungsgrenzen überschritten werden, muss jedenfalls vermieden werden. Wenn man während der Ferienzeit nicht mehr aus der eigenen Garage hinauskommt, weil sich eine Blechlawine durch das Dorf staut, hört der Spaß auf. Wir werden schon aus ökologischen Gründen nicht darum
herumkommen, über Angebote mit geringerem Fußabdruck und Geboten wie auch Verboten zu sprechen.
SN: Urlaub und Reisen werden mit dem Versprechen der ungehemmten Freiheit und Selbstverwirklichung assoziiert. Glauben Sie, diese Entwicklung lässt sich zurücknehmen?
Es muss gelingen, eine bessere Balance zwischen Nutzen und Schaden, Gast und Gastgeber betreffend, zu erreichen. Vorteile für möglichst
viele, Nachteile für möglichst wenige – und auch nicht für die Natur. Die Realität wird uns zu einer neuen Bescheidenheit zwingen. Was spricht dagegen, weniger oft zu verreisen, dafür ein paar Tage länger zu
bleiben, sich so der ungesunden steten Beschleunigung des Lebens entgegenzustellen? Sich am Ort
wirklich für die Sensationen der Natur, Höhepunkte der Kultur und das Leben der Einwohner zu interessieren, also Resonanz zu erfahren?
Der rasante Konsum reduziert die Qualität der Wahrnehmung und die
hastige Konsumhaltung verhindert tiefere Erlebnisse, auch der Respekt
vor der Natur kommt zu kurz. Der Urlaub ist doch das Zeitfenster für
Versuche zur Selbstverwirklichung, der Sinnfindung, der Erholung und der Horizonterweiterung. Respekt
würde auch helfen, das Müllproblem einzudämmen. Ich stelle mir einen minimalinvasiven Tourismus
vor, eigenverantwortliche Touristen, die keinen Schaden anrichten, aber viel Gutes stiften, für sich und
für die Dienstleister, die ihnen diese Erlebnisse ermöglichen.
SN: Warum tut sich die Wissenschaft so schwer, ihre Erkenntnisse an die Frau und an den Mann zu bringen?
Tourismusforschung ist eine junge
Wissenschaft und viele Einzeldisziplinen versuchen zusammen seit Jahren, einen soliden Wissensbestand zu erarbeiten. Die Soziologen schauen aber nicht auf die Kostenstellen, die Betriebswirte kümmern sich nicht um ökologische Folgekosten oder Nachhaltigkeit, die Ökologen haben keine Vorstellung
von den betriebswirtschaftlichen Zwängen der Hotels usw. Es braucht integrative Forschungskonzepte
und mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit. Da ist in Österreich noch viel nachzuholen.
Aber es fehlt auch weitgehend die Bereitschaft der Branche, sich
mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen, sich auf die kritische Analyse einzulassen.
Von den Auswirkungen des Klimawandels wissen wir seit 30 Jahren, dass sie den Tourismus massiv betreffen, die Branche aber auch einen gehörigen Fußabdruck produziert. Es hat fast so lang gebraucht,
bis diese ökologischen Bedrohungen auch in Tourismuskonzepte und Pläne Eingang gefunden haben.
Kurt Luger erforscht seit Jahrzehnten
Tourismus und transkulturelle Kommunikation und hat in Salzburg den UNESCO-Lehrstuhl Kulturelles Erbe
und Tourismus inne.
Sein Buch „Tourismus – Über das Reisen und Urlauben in unserer Zeit“ist kürzlich im Springer-Verlag erschienen.