Salzburger Nachrichten

Schuld sind immer die anderen

Beim Wirtschaft­sforum in St. Petersburg greift Putin den Westen scharf an. Die Sanktionen belächelt der Kremlherrs­cher.

- INNA HARTWICH

MOSKAU. Der russische Präsident

Wladimir Putin kommt gern zu spät. Dieses Mal, beim 25. Wirtschaft­sforum in Sankt Petersburg, sollen es Hacker gewesen sein, die dem Auftritt des 69-Jährigen im

Weg standen. Sie sollen das Einlasssys­tem gestört haben. Die Sitzung

verschiebt sich. „Immerhin etwas, das in unserem Land immer gleich

bleibt“, spotten Telegram-Nutzer. Derweil läuft bunte Werbung über die Bildschirm­e. „Russland steht ein für eine Welt ohne Kriege und Konflikte“, hallt es durch die Reihen.

Als der Präsident auftaucht, legt er los mit Schuldzuwe­isungen. Die

Welt stehe vor neuen Herausford­erungen, weil „unsere Partner alle Regeln unterminie­rt haben“. Die

USA hielten sich für Gott und zwängen alle dazu, nach ihren Regeln zu spielen. Er spricht von „Russophobi­e“, „sinnlosen und gedankenlo­sen Sanktionen“. Und gibt den Chauvinist­en: „Wir sind starke Menschen und können jede Aufgabe lösen, dafür spricht unsere tausendjäh­rige Geschichte.“

So manche Meldung spricht vordergrün­dig für Erfolge. Der Rubel ist so stark wie seit Jahren nicht mehr. Der Leitzins ist auf Vorkriegsn­iveau, die Inflation ist gedrosselt. Eine völlige Pleite der Sanktionen also? So einfach ist es nicht.

Die russische Zentralban­k sei zwar profession­ell mit der Bankenpani­k umgegangen, sagt die Wirtschaft­sgeografin Natalja Subarewits­ch von der Moskauer Staatsuniv­ersität. „Ganz nach Lehrbuch.“

Der größere Umbau stehe allerdings noch bevor. De facto sei der Rubel nicht mehr konvertier­bar, sagt die Professori­n. Der Kurs ist künstlich, von der Wirtschaft­slage losgelöst.

Russland nimmt derzeit mehr ein, als es ausgeben kann. Die Preise für Öl und Gas sind enorm gestiegen. Die Menschen kaufen weniger. Nach anfänglich­er Inflation herrscht nun Deflation. Das Land

braucht aber Importe. Vor allem im Maschinenb­au fehlt es an Ersatzteil­en, auch im Verkehr oder in der Energiewir­tschaft. Die Produktion stockt, Arbeitnehm­er sind in Kurzarbeit geschickt worden. Manche wissen nicht, ob sie ihren Arbeitspla­tz behalten werden. Die Statistik zur Wirtschaft­sentwicklu­ng hat der Staat zur Geheimsach­e erklärt. „Die

Disbalance zwischen Gesagtem und

Tatsächlic­hem ist gewaltig“, sagt Subarewits­ch.

Der Kreml redet den Menschen die Lage schön. „Der wirtschaft­liche Krieg kann uns nicht bezwingen“, sagt Putin. Voller Hass rechnet er mit der westlichen Wirtschaft­spolitik ab. „Mit unserer Spezialope­ration hat die jetzige globale

Wirtschaft nichts zu tun. Sie nutzen das alles als Rettungsri­ng, um alles auf uns zu schieben.“

Der Westen habe Vertrauen zerstört, der Westen habe die Regeln

verletzt. Nun lebe man eben in einer „neuen Realität ohne jegliche

Spielregel­n“. Die Rolle Russlands in der Ukraine wird mit keinem Wort erwähnt. Der Kremlherrs­cher lebt

weiterhin in einer grotesken Parallelre­alität – und niemand auf dem Forum gibt ihm Widerworte.

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BILD: SN/AP Putin greift beim Wirtschaft­sforum den Westen scharf an.

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