Wie viel Macht wird er künftig haben?
Vor der Wahl warnt Frankreichs Präsident Macron vor Chaos. Für ihn könnte es am Sonntag eng werden.
PARIS. In Frankreich drohen „Anarchie und Chaos“durch ein „gefährliches Programm“– dramatisch lauteten im Vorfeld der zweiten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag die Warnungen aus dem Lager von
Präsident Emmanuel Macron vor der „Neuen ökologischen und sozialen Volksunion“, kurz Nupes.
Das Bündnis Nupes, das sich aus der Linkspartei La France insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), den Sozialisten, Grünen und Kommunisten gebildet hat, lag bei der ersten Wahlrunde am vergangenen
Sonntag nur knapp hinter der Allianz Ensemble! („Gemeinsam!“), zu der sich die Präsidentenpartei La
République en marche (LREM) mit anderen Mitte-rechts-Parteien zusammengeschlossen hat.
„Nupes will unsere Institutionen schwächen“, warnte Amélie de Montchalin, Ministerin für die ökologische Wende. Wie mehrere andere Regierungsmitglieder, darunter auch Premierministerin Élisabeth Borne, kandidiert auch de Montchalin, obwohl sie das Mandat
nicht ausüben würde. Sie hat sich in ihrem Wahlkreis für die zweite Runde qualifiziert, könnte aber scheitern – und müsste dann das Kabinett verlassen. Doch bei dieser
Wahl geht es nicht nur um die politische
Zukunft mehrerer Minister, sondern vor allem um die Handlungsfähigkeit Macrons in den kommenden fünf Jahren.
Den Demoskopen zufolge dürfte Ensemble! zwar die meisten Mandate in der Nationalversammlung erringen, doch ist fraglich, ob es für eine absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze reicht. Sollte sein Bündnis diese nun verfehlen, wäre Macron
bei jedem einzelnen Gesetz auf Stimmen nicht nur seiner Partner, sondern auch der Opposition angewiesen – insbesondere der konservativen Republikaner. Diese dominieren
auch den Senat als zweite Parlamentskammer.
Für Nupes dürfte es nicht für eine absolute Mehrheit reichen, die nötig wäre, um den Regierungschef zu stellen. Dieses Ziel verfolgt der Nupes-Anführer, Linkspopulist JeanLuc Mélenchon, der die aktuelle Premierministerin bereits siegesgewiss als „meine Vorgängerin“bezeichnete.
Sogar Macron selbst mischte sich ein und rief die Wähler dazu auf, dem Land eine „solide Mehrheit“zu
geben. „Nichts wäre schlimmer, als der weltweiten Unordnung eine französische Unordnung hinzuzufügen“, sagte der Präsident. Seine Partei hatte sich schwergetan, eine
klare Wahlempfehlung für jene Bezirke auszugeben, in denen Kandidaten
der Nupes und des rechtsextremen Rassemblement national (RN) aufeinandertreffen.
Tatsächlich kann die Partei der Rechtspopulistin Marine Le Pen deutliche Zuwächse verzeichnen.
Der RN qualifizierte sich in 208 der 577 Wahlkreise – fast doppelt so viele wie vor fünf Jahren. Demoskopen sagen ihr 20 bis 45 Sitze in der Nationalversammlung vorher. Mit mindestens 15 Abgeordneten kann der Rassemblement national eine eigene Fraktion bilden. Über eine solche verfügte die rechtsextreme Partei seit 1986 nicht mehr. Alle Voraussagen über den Ausgang werden erschwert durch eine möglicherweise hohe Wahlbeteiligung.
Diese lag am Sonntag bei knapp 48 Prozent – ein neuer Tiefstand.
Das Linksbündnis Nupes lag fast gleichauf