An kühlen Seen tanzen Licht und Schatten
In der Zwischenkriegszeit entdeckten Wiener Künstler die Sommerfrische im Salzkammergut.
ST. GILGEN. Ein Mann mit hellen Gesichtszügen trägt seinen dunklen, trübsinnigen Bruder auf den Schultern. Sind es die Schatten seiner Seele, die wie ein Rucksack auf ihm
lasten? Oder verschließt er die Augen vor dem Leid der Welt? Und welche Bedeutung hat das Segelboot auf einem See samt Gewitterstimmung in dieser verstörenden expressionistischen Darstellung?
Georg Ehrlich sei erst 1932 erstmals am Wolfgangsee gewesen, erzählt Bernhard Barta, Kurator der
Ausstellung „In hellen und finsteren Zeiten“. Die Erfahrungen, die der Wiener Maler in der Zinkenbacher Malerkolonie gemacht hat, können 1920 in das Werk „Der Blinde und der Lahme“also noch nicht eingeflossen sein. „In diesem Bild
verarbeitet Georg Ehrlich die Traumata des Ersten Weltkriegs“, klärt der Kunsthistoriker auf.
Für die Ausstellung im Museum Zinkenbacher Malerkolonie, die um die Sommerfrische Wiener Künstler im Salzkammergut kreist, sind sowohl Gemälde als auch Schöpfer
von großer Bedeutung. Denn Georg Ehrlich machte mit seiner Frau Bettina Bauer-Ehrlich in den 1930erJahren am Wolfgangsee halt. Das Künstlerpaar gehörte dem Hagenbund an, der ein Gegenstück zur berühmten Wiener Secession bildete. Mit der Gestaltung des Festzugs zum 60-Jahr-Regierungsjubiläum
von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1908 machten sich die Hagenbündler
einen Namen. Liberal und weltoffen sei die Künstlervereinigung
gewesen, Frauen seien aufgenommen worden und jüdische Künstler
willkommen gewesen, schildert Kurator Bernhard Barta: „Man kann die Bedeutung des Hagenbunds für die Entwicklung der österreichischen Kunst gar nicht hoch genug einschätzen.“
In der Zwischenkriegszeit nutzten die progressivsten Künstler der Hauptstadt, darunter Oskar Kokoschka, die freigeistige Haltung der Vereinigung. Kubismus, Frühexpressionismus oder Futurismus waren nur einige neue Strömungen, die zu sehen waren. Trotz beginnender Wirtschaftskrise dienten die rauschenden Künstlerfeste des
Hagenbunds der Wiener Boheme als Ablenkung. „Man tanzt des
Nachts umso wilder, je weniger man sich sicher sein kann, am nächsten
Morgen noch sein Mittagmahl bezahlen zu können“, berichtete die Schriftstellerin Hilde Spiel.
Hagenbündler und Secessionisten fanden nicht nur im Partymodus zueinander, sie begegneten einander auch auf Sommerfrische. Am Traunsee gründeten die Halbbrüder Erich Köchert und Erwin Lang die Gmundner Künstlerkolonie,
die wiederum mit Kreativen am Attersee in Verbindung stand. „Sie
besuchten einander von See zu See“, erzählt Bernhard Barta. Gustav Klimt hatte bereits 1900 den Attersee für sich entdeckt und hier einige seiner bedeutendsten Landschaftsbilder geschaffen. Ein Replikat eines extravaganten Badekleids der Klimt-Muse Emilie Flöge zählt zu den Hinguckern der Ausstellung.
Eine bedeutende Rolle spielt die Zinkenbacher Malerkolonie selbst, die in den 1930er-Jahren zahlreiche Künstler auf den Adambauernhof
im heutigen Abersee lockte. „Es befanden sich übermäßig viele Hagenbündler darunter“, schildert der Kurator. Von der Mischung aus Kreativurlaub, kühlem Nass und
reichlich Nahrung wollten einige der Künstler ihre Kollegen in Wien überzeugen, als sie 1932 eine Postkarte nach Wien absandten. Schließlich ließen sich Kost und Logis mit Bildern bezahlen. Am berühmten Malschiff und an Land
wurde nicht nur gefeiert, sondern auch gestritten. Sympathisanten des Nationalsozialismus
wie Ernst August von Mandelsloh und der jüdische Schriftsteller und bekennende Linke Ernst Toller, der 1934 vom deutschen NS-Regime gesucht wurde, trafen in der ausgelassenen Sommerstimmung aufeinander.
Später habe man sich gegenseitig geholfen, ergänzt Bernhard
Barta: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 sollen Künstler mit Einfluss für einen jüdischen Wiener Kunsthändler und Mäzen in die Bresche gesprungen sein. Zu diesem Zeitpunkt waren sowohl Hagenbund als auch Zinkenbacher Malerkolonie den politischen Umwälzungen zum Opfer gefallen.
„Die Künstler besuchten einander von See zu See.“Bernhard Barta, Kurator
Ausstellung: „In hellen und finsteren Zeiten“. Museum Zinkenbacher Malerkolonie, St. Gilgen, bis 9. Oktober.