Villen in Baden erzählen vom Sommer wie vom Hass
Baden bei Wien ist eine der ersten Adressen für jene gewesen, die sich bei Hitze nach frischer Luft sehnten.
BADEN. Eines der prächtigsten Häuser in Baden bei Wien erzählt von Krieg, Hass, Verfolgung und Enteignung ebenso wie von der Höchstform einer arkadischen Lebensweise, der Sommerfrische. Die grauenhafte Seite der Historie dieser Villa in der Helenenstraße 72 hat mit dem Nationalsozialismus zu tun:
Weil die Eigentümer als das galten, was das NS-Regime verfemte, wurde die Familie Gutmann enteignet.
Eine Anfrage, ein Buch über arisierte Villen zu schreiben, habe sie zunächst abgelehnt, erzählt MarieTheres Arnbom. „Ich schreibe über
Villen.“Denn was hat Architektur mit NS-ideologischer Anfeindung zu tun? In Pötzleinsdorf etwa gebe es viele Villen von „als ,jüdisch‘ geltenden Familien“, die katholisch
waren und längst Gräber auf Pfarrfriedhöfen gehabt hätten. Als sie allerdings über Ausseer Villen recherchiert habe, sei ihr klar geworden:
Anders als Familien der Aristokratie seien jene, die in der NS-Zeit als „jüdisch“geächtet worden seien, vertrieben und folglich oft vergessen.
Von deren Villen zu erzählen bedeute also, „den Familien Geschichte zurückzugeben“.
Nach Bad Ischl, Attersee, Traunsee, Pötzleinsdorf und Aussee hat
Marie-Theres Arnbom, die übrigens seit Anfang 2022 das Theatermuseum in Wien leitet, die Villen in Baden erkundet. Neben einem Buch, das im Herbst erscheint, gibt es dazu eine von ihr kuratierte Ausstellung mit dem – angesichts des
eingangs angeführten Arguments –
unglücklichen Namen „Jüdische Häuser“. Dieser Fokus hat noch einen Grund: Mit 500 Villen aus 19.
und frühem 20. Jahrhundert ist Baden viel zu reich an dieser Architektur der frühen Sommerfrische, um dies in einer einzigen Ausstellung zu erfassen. Folglich ist diese auf zehn Villen fokussiert, darunter
jene der Familie Gutmann aus 1882, die als spektakulärer Bau des Späthistorismus gilt. Der Großvater des 1942 enteigneten Rudolf Gutmann
hatte Wärme in die Wiener Winter gebracht: Er betrieb einen Kohlenhandel mit vielen kleinen Filialen, über die Haushalte in allen Rayons mit Kohle versorgt wurden. Neben einem Palais im 1. Bezirk besaß die Familie ein Jagdgut bei Gföhl bei Krems und diese Villa in Baden. Von
Adligen, die neben einem Stadtpalais
selbstverständlich mindestens ein Schloss am Land benutzt hätten, habe das Großbürgertum diese Lebensweise abgeschaut: Im Winter in der Stadt, im Sommer irgendwo draußen, schildert Marie-Theres Arnbom. „Wien war wie alle Großstädte im Sommer heiß und
hat gestunken, die Kanäle waren nicht abgedeckt.“Wer es sich habe
leisten können, zog sommers hinaus nach Dornbach, Pötzleinsdorf oder weiter weg. Viele Familien sei
en von Mai bis Anfang Oktober samt Klavier aufs Land übersiedelt, „die Herren haben gependelt“. Eine der ersten Adressen für Sommervillen wurde Baden bei Wien, als der damalige Kaiser Franz I. dort in jenem „Kaiserhaus“seine Sommerresidenz begründete, in der nun die
Ausstellung „Jüdische Häuser erzählen Geschichte(n)“zu sehen ist.
Die Villenkultur des Bürgertums begann Marie-Theres Arnbom zufolge im Biedermeier und hatte ihre Hochblüte bis zum Ersten Weltkrieg. In der Zwischenkriegszeit flaute sie ab und verebbte ab 1945. „Ein halbes Jahr am Land und ein
halbes Jahr in der Stadt zu verbringen hat nicht mehr zu den Lebensumständen gepasst.“Das hat sich geändert: Mit Autos, öffentlichem
Verkehr und in jüngster Zeit auch neuen Möglichkeiten zur Heimarbeit sind Sommerfrische-Orte wie Baden, Pötzleinsdorf und Bad Ischl
längst Wohnorte fürs ganze Jahr.
„Wien hat im Sommer gestunken.“Marie-Theres Arnbom,
Ausstellung: „Sehnsucht nach Baden – Jüdische Häuser erzählen
Geschichte(n)“, Kaiserhaus Baden, bis 6. November.