„Stand-up ist wie Schlagzeug spielen“
Kann jede und jeder auf einer Bühne lustig sein? Amazon Prime wagt ab Juli den Versuch und spannt für die Show „One Mic Stand“Comedians mit Promis zusammen: Was eine Katze, ein Farbband und die Welthungerkrise verbindet.
SALZBURG. Das Format stammt aus Indien: In der Amazon-OriginalShow „One Mic Stand“(ab 15. Juli)
treffen fünf deutsche Comedians auf prominente Persönlichkeiten ohne Stand-up-Erfahrung und laden sie in ihre Welt ein – auf die Bühne vor großes Publikum für ihren ersten Comedy-Auftritt. Einer
von ihnen ist Torsten Sträter (55), der das Model Lorena Rae (27) bühnenfit machen will.
SN: Herr Sträter, kann man Stand-up-Comedy lernen? Kann jeder auf einer Bühne lustig sein?
Torsten Sträter: Ich glaube ja. Vielleicht reicht es nicht immer für ein dreieinhalbstündiges Programm
mit Pausen und Getränkeausschank, aber ich glaube, dass man so ziemlich jedem Menschen beibringen kann – selbst wenn er oder sie kein gutes Timing hat –, fünf Minuten prima Material zu machen.
Aus seinem eigenen Leben. Eigentlich kann jeder irgendwas Lustiges
berichten – inklusive Ihnen.
SN: Da habe ich Zweifel. Auf der Bühne zu stehen ist nichts für mich …
Ich schwöre Ihnen, das sehen Sie in zwei Wochen anders. Wenn Sie einmal draußen waren und die Leute sagen: „Auf den habe ich gewartet“, dann gehen Sie raus und trotz Lampenfiebers stellen Sie nach fünf Minuten fest: Eine größere Menge
ist interessiert an dem, was ich erzähle. Das hat Suchtpotenzial. Beim dritten, vierten Auftritt kommt
Routine hinzu und Sie freuen sich schon auf den nächsten Auftritt.
Das ist reine Gewöhnungssache.
SN: Was sollte ein guter Standup-Comedian mitbringen?
Gute Frage. Erstens zweifle ich daran, dass ich ein guter Stand-upper
bin. Aber mitbringen sollte man wohl eine gewisse Unmittelbarkeit, es sollte spontan wirken, das mag
ich, und zwar ohne die ganz großen Gesten, ohne „Potzblitz-das-fälltmir-gerade-erst-ein“. Ich mag es,
wenn Themen ineinander überfließen und ich mag’s, wenn’s auch mal albern ist. Wenn sich die Leute
lockern können und es ein bisschen
affig, bescheuert ist. Das ist wie ein Gewürz. Richtig Affiges wertet gute,
ernsthafte Gags auf. Dieses Wechselspiel schätze ich.
Wie war die Arbeit mit Ihrer Schülerin Lorena Rae?
SN:
Lorena war ganz, ganz toll. Man sagt das in Pressegesprächen natürlich immer, aber Lorena war wirklich
toll! Ich habe mir eine Stunde nur angesehen, in welchem Rhythmus sie spricht. Wenn sie will, wie ein
Wasserfall und ansonsten Oneliner: einzelne Sätze. Sie hat sowohl das
Verknappte, Kommandohafte, was man auf Modenschauen braucht, ja, nein, danke, tschüss, als auch die Informationsflut.
SN: Wie haben Sie dann mit ihr weitergemacht?
Ich habe Material erarbeitet, um zu schauen, ob wir gemeinsam einen
Sprechrhythmus finden. Das ging superschnell, weil sie eine sehr kluge Frau ist. Und dann haben wir lange darüber gesprochen, wovon ihr Stand-up handeln soll. Wichtig ist, dass die Menschen etwas über Lorena erfahren. Man hat ja das Bedürfnis, von sich zu erzählen. Das ist die leichte Tragik des Journalismus, wenn es nicht so schillernde Lügenbarone wie der Claas Relotius sind, interessiert man sich nicht für den Journalisten. Obwohl der vermutlich auch puppenlustige Geschichten zu erzählen hätte.
In den „Salzburger Nachrichten“gibt es jedes Wochenende eine „Ich-Kolumne“, darin erzählen Journalistinnen und Journalisten Humorvolles aus ihrem Privatleben …
SN:
Das ist schlau, so etwas habe ich gern. Man reiche mir den Menschen
hinter dem Artikel – das ist eine sehr brillante Idee, die eigentlich
jede Zeitung nachmachen sollte, damit du weißt, wer die Leute sind.
Die Gefahr ist freilich, dass man dann glaubt, jemanden zu kennen,
was ja nicht stimmt. Aber der Mensch ist das Interessante. Und das Leben von Lorena ist so absurd interessant. Paris, Monaco, New
York, Diepholz, schon diese Aufzählung der Orte – Mensch! Der Modelpart im Programm ist klein, weil wir alle wissen, wie Models arbeiten, jedes Klischee kennen.
SN: Haben Sie in Lorena Raes Text auch eingegriffen?
Ich habe massiv in den Text eingegriffen. Es ist ihr Leben und es sind ihre Ansichten, aber der Fluss und der Text sind von mir, die Beobachtungen und die Ideen sind aber von ihr. Ein Beispiel: Sie heißt ja nicht Lorena Rae, sondern Lorena Rape,
mit diesem Nachnamen kommst du auf dem US-Markt nicht weit –
nicht ohne hämische Witze zumindest. Daher ist das der erste Gag, der sterben muss. Es wäre zu naheliegend. Dann erzählt man die interessanten Geschichten. Ich bin ein Anhänger der Philosophie, dass – auch
wenn man anmoderiert wird – man noch einmal sagt, wie man heißt. Und dann erst von sich erzählt. Das
hat sie ganz fantastisch gemacht.
SN: Österreich hat viele Kabarettisten, aber wenige Standup-Comedians. Warum?
Ihr habt eine Schwemme an Kabarettisten, was wirklich erschütternd ist. Wien ist zusammen mit München die Wiege des Kabaretts überhaupt. Wenn Sie Josef Hader nehmen und sagen, Josef, stell den Hocker nach links, stell darauf ein Glas
– das ist schon mal das Stand-upSetup –, stell dich dazu und ballere
los. Dann macht Josef Hader automatisch Stand-up. Dass Stand-up aus Material besteht, das einem eben erst einfällt, ist ein Mythos.
Das existiert nicht. Vielleicht bei Robin Williams einmal. Aber an sich ist alles vorbereitet und ein Josef Hader kann das alles. Was er ja
gar nicht braucht, weil er ja Kabarett macht.
Kabarett und Stand-up – was sind die Unterschiede?
SN:
Der wichtigste Unterschied ist die Relevanz der Themen: Bei Stand-up
wird sehr viel gesprungen. Wir reden etwa, was meine Katze isst, um
im nächsten Moment darüber zu sprechen, wo ich ein Farbband für meine Schreibmaschine herbekomme, um über die Welthungerkrise zurück zu Waschpulver zu kommen. Es gibt kein Bedürfnis nach direkten Übergängen, sondern einfach nur lustige Themen, kompakt erzählt – ein Hit nach dem anderen.
Das Kabarett hat immer einen höheren Überbau. Wir sehen, dass es einen roten Faden, eine Metaebene gibt, die uns sagt, worum es geht. „Hader on Ice“– da hat man das Gefühl, einer vollständigen Erzählung
beigewohnt zu haben. Bei Stand-up ist es das Bamm-bamm-bammbamm, was ich genauso schön finde. Wie Schlagzeug spielen. Kabarett ist wie eine Klaviersonate.
SN: Gibt es Unterschiede im Humor der österreichischen und deutschen Kabarettisten?
Klar, Josef Hader und etwa Gerhard Polt, das sind zwei von Lebensart
und Lebensansichten gefärbte Welten. Polt gibt dir das Wesen des Urbayrischen an die Hand: Stoizismus und diese „Ich irre mich zwar, aber ich ziehe das jetzt durch“-Haltung. Bis zum Exzess, bis alle bluten. Josef Hader hingegen zeigt die gesamten
Untiefen der österreichischen Existenz. Und dieses „Am Ende sterben wir alle, aber bis dahin ist es ganz witzig“-Gefühl. Das sind zwei verschiedene Herangehensweisen.
Waren Sie bei den Aufnahmen zu „One Mic Stand“nervös?
SN:
Sehr. Das war die größte Herausforderung für mich, weil ich auf keinen Fall wollte, dass Lorena scheitert. Ist sie auch nicht. Ich war sehr zufrieden mit ihrem Auftritt – der war
viel toller, als ich dachte. Das war fantastisch und das habe ich ihr auch gesagt. Meiner Auffassung
nach sollte sie da weitermachen. Ich will das so wenig sexistisch wie
möglich ausdrücken: Überragend attraktive Menschen, die auch noch
sprechen können und einen Text aufnehmen, gehören zwingend zumindest ins Moderationsgewerbe. Ich glaube auch, dass es nicht beim Modeln bleiben wird. Ich denke, dass man ihr bald die Tür einrennen
wird mit weiterführenden Jobs. Das kann spannend werden.