Salzburger Nachrichten

Russland dreht taktisch am Gashahn

Seit Mittwoch kommt dramatisch weniger Gas durch die wichtigste Pipeline nach Europa. Gazprom gibt technische Gründe an, Experten bezweifeln das. Die Folgen werden die Verbrauche­r im Winter spüren.

- MONIKA GRAF Energiemin­isterin

WIEN. So gut war es zuletzt gelaufen. Die hohen Temperatur­en ließen den Gasbedarf vor allem der Haushalte sinken ebenso wie die Großhandel­spreise für Erdgas. Und Versorger und Unternehme­n haben – gestützt durch staatliche Garantien

– fleißig Gas eingespeic­hert. Seit Wochenmitt­e herrscht wieder Alarmstimm­ung: Der russische Staatskonz­ern Gazprom hat angekündig­t, die Gaslieferu­ngen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, die wichtigste Leitung Richtung

Europa, wegen Reparatura­rbeiten drastisch zu drosseln.

Nach Deutschlan­d fließen demnach 60 Prozent weniger Gas, Italien und die Slowakei bekommen um 50 Prozent weniger. Österreich, das auch über Pipelines durch die Ukraine versorgt wird, bekommt

um ein Drittel weniger. Frankreich, das kaum ein Viertel seines Bedarfs mit russischem Gas deckt, erhält gar keines mehr über Pipelines.

Die Versorgung der Gaskunden sei nicht gefährdet, hieß es vonseiten des größten heimischen Gashändler­s OMV und der Energiereg­ulierungsb­ehörde E-Control am Freitag umgehend. Der Verbrauch sei um diese Jahreszeit ohnehin ge

ringer und in den heimischen Speichern lagerten mittlerwei­le 40 Prozent des Jahresverb­rauchs, anders als zu Beginn des Angriffskr­iegs Russlands auf die Ukraine Ende Februar. Die OMV würde gegebenenf­alls auch Gas am Spotmarkt zukaufen, der Markt sei liquide, hieß es.

Der Effekt der Lieferredu­ktion zeigt sich aber an der Preisfront. Am

österreich­ischen Handelspla­tz CEGH kostete die Megawattst­unde am Freitag 130 Euro, gut 50 Prozent

mehr als vor einigen Tagen. Bei diesem Preis sei Einspeiche­rn für Gashändler unattrakti­v und genau darauf könnte der Kreml abzielen, vermutet

Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilu­ng in der E-Control. Mit einem Lieferstop­p rechnet sie

nicht. „Wir stellen uns darauf ein, dass die Gasmenge so reduziert

wird, dass die Versorgung gesichert ist, aber nicht eingespeic­hert wird.“Die Folgen wären im Winter zu spüren in Form weiterer Preiserhöh­ungen. Nach EU-Vorgaben sollen die Speicher bis Oktober zu 80 Prozent

gefüllt sein, was mit diesen Preisen extrem teuer wird.

Experten und Politik bezweifeln, dass über Nord Stream 1 tatsächlic­h

wegen verzögerte­r Reparatura­rbeiten weniger Gas fließen kann. „Das sind die offizielle­n Informatio­nen, die wir aus Russland bekommen.

Was wir klar sehen, ist, dass durch die verringert­en Gasmengen die Preise massiv in die Höhe getrieben

und die Verunsiche­rung in ganz Europa geschürt wird“, so Klimaminis­terin Leonore Gewessler. Russland

nutze die Gaslieferu­ngen als Werkzeug in der aktuellen Auseinande­rsetzung. „Da dürfen wir uns keinen

Illusionen hingeben. Wir sind auf alle Szenarien vorbereite­t, bis hin

zu einem vollständi­gen Lieferstop­p aus Russland“, betont sie.

Der deutsche Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hatte in einer ersten Reaktion erklärt, dass die Lieferdros­selung „eine politische Entscheidu­ng ist, keine technisch begründbar­e Entscheidu­ng“. Einen Zusammenha­ng mit dem Besuch der Staats- und Regierungs­chefs von Deutschlan­d, Frankreich und Italien in Kiew sieht er nicht.

„Jetzt ist der Punkt, wo alles politisch motiviert wirkt“, sagt auch

Millgramm. Diese Woche haben Österreich und Deutschlan­d weitere gesetzlich­e Schritte gesetzt, die direkt oder indirekt Gazprom-Aktivitäte­n betreffen. Hierzuland­e tritt Ende Juni eine Klausel in Kraft, wonach ungenutzte Speicher binnen

vier Wochen verstaatli­cht werden. Das zielt auf den modernsten Erdgasspei­cher im salzburgis­chen Haidach, der von der Gazprom-Tochter GSA betreiben wird und leer steht (siehe Grafik). Er hängt derzeit am deutschen Netz, an der Anbindung in Österreich wird gearbeitet.

Die besonders gasabhängi­ge chemische Industrie hat indes die Politik aufgerufen, die „Vorbereitu­ngen für einen drohenden Gasengpass auszuweite­n“, und Ministerin Gewessler (ohne Namensnenn­ung) erneut vorgeworfe­n, keine konkreten Pläne zu haben, wie die Risiken eines Gasstopps abgemilder­t werden

könnten oder wie das Gas im Ernstfall aufgeteilt werden solle. „Das

bisher verfolgte Prinzip Hoffnung ist zu wenig“, so Fachverban­ds-Obmann Hubert Culik.

Dem Vernehmen nach wird im Hintergrun­d über einen Aufruf und Tipps für Haushalte zum – im Sommer leichter umsetzbare­n – Einsparen diskutiert, aber nicht über Einschränk­ungen für die Industrie.

„Wir sind auf alle Szenarien vorbereite­t.“Leonore Gewessler,

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