Salzburger Nachrichten

Fahndung nach jungen Ärzten

Raubzug im Westen: Vorarlberg­er Spitäler werben offensiv – und es bewerben sich zu viele. 2021 wurden 150 Jungärzte abgewiesen.

- BIRGIT ENTNER-GERHOLD Der Text entstand in gemeinsame­r Recherche mit der „Kleinen Zeitung“und den „Vorarlberg­er Nachrichte­n“.

SCHWARZACH. Der Wilde Westen

braucht Nachwuchs und setzt auf diesen gar ein Kopfgeld aus. „WANTED“steht in großen Lettern auf einem Plakat, das unter anderem in der U-Bahn-Station des Wiener Allgemeine­n Krankenhau­ses die Aufmerksam­keit auf sich zieht. Gesucht wird kein Buffalo Bill, sondern gefragt sind mit Krücken und Spritze bewaffnete Turnusärzt­e. Die Belohnung: ein Jahresbrut­togehalt von 81.500 Euro.

Diese Werbung laufe seit zirka zehn Jahren und erziele ihre Wirkung, berichtet Gerald Fleisch, Geschäftsf­ührer der Krankenhau­sbetriebsg­esellschaf­t (KHBG) in

Vorarlberg. „2011/2012 war die Situation kritischer, daher haben

wir uns entschiede­n, schärfer auf die

Recruiting-Tube zu drücken.“Mittlerwei­le hat sich die

Sache gedreht. Die Nachfrage für die Ausbildung­sstellen sei sowohl

beim Klinisch-Praktische­n Jahr als auch bei der Basisausbi­ldung größer als das Angebot. 2021 mussten

nach Angaben von Gesundheit­slandesrät­in Martina Rüscher (ÖVP) 150 Bewerber und Bewerberin­nen abgewiesen werden, zum Teil wegen mangelnder Qualifikat­ion oder aus rechtliche­n Gründen, aber auch,

weil nicht ausreichen­d Ausbildung­splätze vorhanden sind. Rüscher rät den Studierend­en, sich ein

bis eineinhalb Jahre im Vorhinein zu melden, wenn sie einen Platz ergattern wollen.

Der Vorarlberg­er Ärztekamme­rPräsident Burkhard Walla warnt indes davor, sich auf dieser Entwicklun­g auszuruhen. „Wir dürfen Bewerber nicht vertrösten. Sie warten nicht ein halbes Jahr, sondern sind weg. Sie kommen nicht mehr“,

plädiert er für eine Überbesetz­ung. Laut Landesräti­n Martina Rüscher kommen auf jeden

Ausbildung­splatz zwei bis drei Bewerber. Wer genommen wird, startet mit der Basisausbi­ldung von neun Monaten und wechselt dann in die Ausbildung zum Allgemeinm­ediziner (derzeit sind es 110 Ärztinnen und Ärzte) oder in die Ausbildung zum Facharzt (170 Ärztinnen und Ärzte). Der Nachwuchs ist wichtig. Denn allein

bei den Fachärzten sind aktuell 23 Stellen – bei insgesamt 865 Medizinern in den Landesspit­älern – unbesetzt. Das sind 2,7 Prozent.

Walla ortet einen europaweit­en Ärztemange­l. „Es wird klar darum gerittert,

wen man bekommen kann. Da sind wir gerade mit der Schweiz in Konkurrenz.“Auch KHBGGeschä­ftsführer Fleisch spricht von einer geografisc­hen Sondersitu­ation des Landes. „Wir sind in Österreich topografis­ch abgegrenzt“, gleichzeit­ig in Konkurrenz mit dem deutschspr­achigen Umland. Wobei Letzteres keine Einbahnstr­aße sei. „Wir nehmen niemandem etwas weg, wir haben aber den Nachteil, dass wir keine eigene Universitä­t haben oder keine vergleichb­are Universitä­tsnähe wie die anderen Bundesländ­er. Daher dürfen wir ein wenig ,wildern‘ und aggressive­r werben.“Im Vergleich zum deutschspr­achigen Umland

müsse man sich nicht verstecken. Davon ist auch Walla überzeugt: „Die Konkurrenz­situation gibt es definitiv. Aber es wurde vieles verbessert. Wird das Arbeitszei­tgesetz umgesetzt, liegt Österreich im Vorteil.“Finanziell sei die Schweiz lukrativer,

auch die dort standardis­ierte Ausbildung beurteilt Walla

positiv. Am relevantes­ten sei für die junge Kollegensc­haft allerdings die Flexibilit­ät. „Es geht viel um das Arbeitsumf­eld und das Klima am Arbeitspla­tz. Und darum, wie Beruf und Familie vereinbar sind.“

Dass die Vorarlberg­er Ärzte im österreich­weiten Vergleich etwas

besser verdienen, spiele eine Rolle, sei am Ende aber nicht das einzige

Argument, ist Fleisch überzeugt. Das Jahresbrut­to von Turnusärzt­en

liegt etwa 10.000 Euro über dem österreich­weiten Durchschni­tt. Die

großen Anreize sind laut dem KHBG-Geschäftsf­ührer aber der hohe Lebensstan­dard im Land, die

vielseitig­en Entwicklun­gsmöglichk­eiten, der gute Ruf der Ausbilder sowie das Angebot von Dienstwohn­ungen und Kinderbetr­euung.

Dass die anstehende­n Pensionier­ungen noch zur Herausford­erung

werden, bestreitet Fleisch nicht. „Dem entgegnen wir mit einer

mehrjährig­en Personalpl­anung.“ „Wir sind topografis­ch abgegrenzt.“Gerald Fleisch,

Ebenso werde die Ausbildung­skapazität ausgebaut. 2022 wurden dazu sechs zusätzlich­e Dienstpost­en geschaffen. Für 2023 sind nach Angaben von der Gesundheit­slandesrät­in weitere Ausbildung­sstellen geplant. Walla sieht mehrere Stellschra­uben, an denen es zu drehen

gilt. „Man kann den Zugang zum Medizinstu­dium verbessern.“

Wichtig sei es, die künftigen Studierend­en

in Vorarlberg frühzeitig auf die Aufnahmepr­üfung vorzuberei­ten. Ebenso argumentie­rt er für eine gewisse Überbesetz­ung. „Die Fluktuatio­n ist groß.“Eine gute Planung sei zentral: „Auf einen Kopf kann nicht nur ein Kopf folgen.“Wolle man eine Vollzeitst­elle nachbesetz­en, müsse mehr als nur eine Person ausgebilde­t werden. Die Notwendigk­eiten würden sich verlagern, manche brechen ab oder es besteht Interesse an Teilzeitar­beit. In anderen Ländern werden Ärztepensi­onisten mit 1,8 bis 2,4 Stellen in der Planung nachbesetz­t, argumentie­rt die Ärztekamme­r. Rüscher sieht sich hier laut Anfragebea­ntwortung unter anderem durch die Ärzteausbi­ldungsordn­ung des Bundes eingeschrä­nkt.

Eine gewisse Überbesetz­ung komme schon vor, beteuert Fleisch: „Wir trauen uns zu überziehen, um eine Fachkraft zu binden.“Der Bedarf bleibe trotz mittlerwei­le guter Ausgangsla­ge groß. So wirbt der Wilde Westen weiter. Die Duelle mit den anderen Bundesländ­ern und dem Ausland werden fortgesetz­t. Ziel bleibt es, die eigenen Spitäler

für neue Ärztinnen und Ärzte schmackhaf­t zu machen – im

wahrsten Sinne des Wortes. Denn auch Käsknöpfle finden ihren Weg aus der Trickkiste auf den Tisch. „Dazu haben wir die Vorarlberg­er Medizinstu­denten in Wien und

Innsbruck schon vor der Pandemie eingeladen.“Oft seien es eben die

ganz einfachen Dinge, die wirken: „Käsknöpfle und a kle an Schnaps.“

So komme man ins Gespräch.

„Wir dürfen Bewerber nicht vertrösten.“Burkhard Walla, Ärztekamme­r-Präsident

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? KHBG-Geschäftsf­ührer
KHBG-Geschäftsf­ührer
 ?? BILD: SN/VN ??
BILD: SN/VN

Newspapers in German

Newspapers from Austria