Warum dieser Hass? „Eine Tendenz zum Hass hat jeder“
Ein grausames Gefühl. Die Geschichte zeigt: Die Liebe ist revolutionär, aber der Hass ist reaktionär. Wofür wir uns im Zweifel entscheiden sollten, müsste eigentlich jedem klar sein. Psychiater Reinhard Haller über das „kälteste“aller Gefühle.
Hass gab es immer. Was heute anders ist als früher: Viele lassen ihren Hassgefühlen im Internet freien Lauf:
Schaut euch doch in Salzburg mal die ganzen Gesäßgesichter
an, dann weiss man warum alles so abwärts geht.
Den Grünen habens woll ins Hirn geschissen und vergessen zum Spülen.
Leg dich nieder und genieße dein Hartz 4 du Schmarotzer.
I künt Kotza bei dem schiacha Gfriss.
Ageh hoits maul, bei dir feids a so weit dass oiss zspad is.
Das sind nur einige von vielen Reaktionen auf SNArtikel, die im vergangenen Monat in der FacebookCommunity gepostet wurden.
Hassbotschaften wie diese fanden mit dem Siegeszug der sozialen Medien eine Verbreitung, die
vorher undenkbar war. „Hatespeech“ist an der Tagesordnung. Der Hass im Netz zeige „das enorme destruktive Potenzial in der Bevölkerung, das Böse, das sich in ganz normalen Menschen verbirgt“, schreibt Psychiater Reinhard Haller in seinem soeben erschienenen Buch über den „Hass“, diese „dunkle Leidenschaft“. Im großen Netz können hasserfüllte Individuen, wie Haller schreibt, „der halben Welt ihre Hassmeinung zukommen lassen, können ihrer Lust auf Kränken und Beleidigen der Mitmenschen ungehemmt nachgehen und sich durch ,Likes‘ bestätigen lassen.“Das Erniedrigen anderer sei der Versuch, „ihr schwaches Ich, ihr als jämmerlich empfundenes Ego aufzuplustern“.
Das Internet ist längst für alle möglichen Hasser zum mit Abstand beliebtesten Medium geworden,
um ihre destruktiven Gefühle zu teilen und sich in ihrem Argwohn bestätigen zu lassen. Dazu gehört etwa der Frauenhass, der in einer extrem aggressiven Variante von den sogenannten Incels verbreitet wird: Das sind Männer, die unfreiwillig keine Partnerin und keinen Sex haben und die ihren Frust und ihre Minderwertigkeitsgefühle im Netz hinausposaunen. Die Kombination aus Selbstmitleid, dem Gefühl, zu kurz zu kommen, und der Überzeugung, einen Anspruch auf Sex zu haben, hat mitunter fatale Folgen: So ermordete im Mai 2014 der 22-jährige Elliot Rodger in Isla Vista, nahe dem Campus der University of California, in einem von ihm ausgerufenen „Krieg gegen Frauen“sechs Menschen und verletzte vierzehn weitere, bevor er sich mit einem Schuss in den Kopf selbst tötete. In einem Video vor seinem Amoklauf hatte er geklagt: „Ich
bin 22 Jahre alt und ich bin immer noch Jungfrau.“Nun sei es Zeit, die Mädchen dafür zu „bestrafen“.
Dieser Amokläufer wiederum wurde zum Vorbild für einen Studenten und bekennenden Incel namens Alek Minassian, der vier Jahre später mit einem Lieferwagen in Toronto gezielt Passanten niederrammte. Elf Menschen starben, 15 wurden verletzt. Kurz zuvor hatte Minassian in einem Facebook-Posting seine Bewunderung für den Amokläufer Rodger ausgesprochen und verkündet: „Die IncelRebellion hat bereits begonnen.“
Diese dystopische Stimmung skizzierten bereits 1983 Joesi Prokopetz
und Manfred Tauchen mit ihrer
Hit-Single „Codo“, die mehr als
1,2 Millionen Mal verkauft wurde.
Da heißt es gleich zu Beginn des Songs:
Seit 2000 Jahren lebt die Erde ohne Liebe.
Es regiert der Herr des Hasses.
Wenn man bedenkt, dass es damals noch keine sogenannten sozialen Medien gab, war das schon
eine ziemlich prophetische Extraleistung der Verfasser dieses Textes. „Die so aber nicht gemeint war“, räumt Prokopetz im SN-Gespräch ein. „Eigentlich wollten wir nur eine Parodie auf die damals überaus
beliebten Weltraumlieder wie ,Fred vom Jupiter‘ oder ,Major Tom (völlig losgelöst)‘ machen.“Auch die Schlagerbranche sollte ihr Schmalz wegbekommen. Diese Aufgabe erledigte Inga Humpe bravourös mit ihrem engelsgleichen Refrain:
Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt. Und bring die Liebe mit. Von meinem Himmelsritt.
Weil die Komposition aber weder in die Schlagerschublade passte noch in das Genre der Weltraumlieder, wurde sie von der Musikkritik als New Wave im Archiv abgelegt.
„Die Liebe ist zur Überwindung des Hasses ungeeignet“, sagt Prokopetz. Diese habe nämlich gegen den Hass nicht die geringste Chance.
„Schauen Sie“, meint er, „der Hass wird
von Generation zu Generation weitergereicht. Das sieht man ja am Konflikt der Palästinenser und Israelis.“Für die Aussichtslosigkeit der Liebe stehe ja auch der Name „Codo“. Das ist die Abkürzung für „Cosmischer
Dolm“. Ein außerirdischer Dolm also, der wie ein Baum-Umarmer an die ewige Liebe glaubt. „In meinem letzten
Programm habe ich mich mit Nietzsche beschäftigt“, erzählt Prokopetz.
„Der meinte, dass Liebe nur die kurzzeitige Versöhnung zweier Feinde sei. Und dass oft schon eine Brille genüge, um von der Liebe geheilt zu werden.“Hassen, ganz hässlich hassen, ich kann’s nicht lassen: Ich bin der Hass!
Tatsächlich kennt heute jeder das Wort „Hassprediger“. Von „Liebespredigern“ist eher selten die Rede. Und wenn, dann werden sie nicht selten von Fanatikern erschossen – so wie Martin Luther King.
Trotzdem darf man nie aufhören, an die Liebe zu glauben. Johannes Perkmann, der Abt des Benediktinerklosters Michaelbeuern, weist auf zwei wichtige Botschaften der Bibel hin. Die erste ist eine Mahnung an all jene, die den Hass in die Welt tragen: „Wer nachträgt, der trägt schwer.“Und die zweite: „Die Liebe besiegt den Tod.“
Kann es sein, dass wenigstens der Tod den Hass besiegt? So wie bei dem Text, den Joesi Prokopetz für das Lied „Zentralfriedhof“von Wolfgang Ambros
verfasst hat. Da heißt es:
Die Szene wirkt makaber
Die Pforrer tanz’n mit die Hur’n
Und Juden mit Araber.
Auch das, so Prokopetz, sei eher ironisch gemeint gewesen. „Der Tod überbrückt keine Ideologien. Wenn man tot ist, dann ist man tot. Der Tag, an dem ich sterbe, ist derselbe wie der 7. März 1633. Damals war ich nicht. Und nach meinem Tod
bin ich nicht mehr.“Die englische Komikergruppe Monty Python fasste das im Film „Das Leben des Brian“so zusammen:
You are coming from nothing. You are going back to nothing. What have you lost? Nothing!
Prokopetz: „Wenn Sie jemanden,
der vor Hass zerfressen ist, mit Liebe kommen, dann ändert das meistens gar nichts.“Denn Hass und Neid sind leider ein übles, aber auch sehr effektives
Erfolgsmodell: „Ohne Hass und Neid gäbe es keine Nationen und keinen Kapitalismus.“
Wenn man dieser Logik folgt, dann landet man schnell bei Nelson Mandela. Der ehemalige südafrikanische Freiheitskämpfer und Präsident verbrachte 27 Jahre im Gefängnis. 1990 rief er die schwarze Bevölkerung zur Versöhnung mit ihren Peinigern auf. Er wusste, dass sich die im Apartheid-System misshandelten Südafrikaner nichts sehnlicher wünschten als ihre Freiheit. Also sagte er:
Wer Hass verspürt, der kann nicht frei sein.
Wenn Prokopetz anklagt, dass Hass Nationen und Kapitalismus entstehen lässt, dann fällt einem auch der Südafrikaner Steve Biko ein. Auch er war ein Freiheitsaktivist. Er wurde in Port Elizabeth von Staatsbediensteten so schwer gefoltert, dass er am 12. September 1977 seinen Kopfverletzungen erlag. Peter Gabriel sang über die Geschehnisse in seinem berührenden Song „Biko“:
Port Elizabeth, September Seventy-seven, weather fine, it was business as usual, in Police Room 6-1-9.
Die wohl schlimmste Fratze des Hasses beschrieb der Schriftsteller
Peter Weiss in seinem AuschwitzOratorium „Die Ermittlung“(1963–1965), dem er die Notizen des Journalisten Bernd Naumann über die Auschwitz-Prozesse zugrunde legte.
Beim Lesen stockt noch heute jedem der Atem. Hier wird offensichtlich,
wozu blinder Hass führen kann. Das sei jedem Hassposter ins Stammbuch geschrieben.
War das nur der Hass auf Juden? Oder doch nur fehlende Liebe? Darauf hatte der Poet, Priester und nicaraguanische Kulturminister Ernesto Cardenal im Jahr 2016 eine Antwort. Als Befreiungstheologe äußerte er folgenden Wunsch:
Wir brauchen eine erlöste, befreite Menschheit, die
für die Liebe und nicht für den Egoismus lebt; etwas, das wir noch nicht erlebt haben, außer in einigen einzelnen Menschen wie dem heiligen Franz von Assisi oder Mahatma Gandhi.
Aber die Liebe habe eben leider einen Wettbewerbsnachteil. Denn auch Cardenal meinte:
Nur die Liebe ist revolutionär. Der Hass ist immer reaktionär.
Immerhin glaubt Psychiater Haller, dass sich Hass überwinden lässt. Dazu müsse man seine eigenen Hassgefühle bearbeiten – das heißt: die Hassgefühle erkennen und ansprechen, die Ursachen analysieren, sich in den gehassten Menschen hineindenken, die Folgen des Hasses bedenken, Humor nutzen, loslassen und verzeihen. Hass ist allerdings nicht nur Sache des Einzelnen, sondern ein Problem, das die
Allgemeinheit betrifft. Die Gesellschaft brauche, betont Haller, mehr Empathie, mehr Wertschätzung, eine Entschärfung der Radikalsprache – und die „Überwindung des gesellschaftlichen Narzissmus“.
Nach seinen Büchern über das Böse und die Rache widmet sich Psychiater Reinhard Haller in seinem neuen Buch dem Hass.
SN: Herr Professor, eigentlich sollten
Sie ja jetzt ein Buch über die Liebe
schreiben. Warum wurde das Gegenteil daraus?
Reinhard Haller: Ich glaube, die Liebe
kann man am ehesten begreifen, wenn man ihr das Gegenteil gegenüberstellt – das ist der Hass. Liebe ist ein noch wichtigeres Thema. In meiner Arbeit als Sachbuchautor steht die Liebe ganz am Schluss.
SN: Sie beschreiben den Hass als
einzige Emotion, an der man nichts Gutes finden könne, und als die „primitivste aller Emotionen“. Aber
sind nicht Neid oder Rachelust ebenso negative Gefühle?
Neid, wenn er konstruktiv ist, stachelt zur Leistung an. Der Neid ist nur schlecht, wenn er destruktiv ist. Rache
kann süß sein und dem Ausgleich, der Gerechtigkeit dienen. Selbst der Narzissmus ist in gewissem Maß wichtig für das Selbstvertrauen. Aber beim Hass fällt
mir nichts Positives ein. Hass ist ausschließlich auf Zerstörung ausgerichtet, er ist damit die kälteste und härteste
und destruktivste Emotion.
SN:
Am Anfang steht immer der Liebesentzug. Der Liebesmangel ist eine menschliche Urangst. Und Angst lähmt den Menschen, führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Aus diesem Ohnmachtsgefühl heraus entsteht Hass.
Wie entsteht eigentlich Hass?
SN: Hängt Hass auch mit der Erziehung zusammen?
Wenn die Erziehung lieblos ist, beginnt der Mensch zu hassen. Und bei einer
hasserfüllten Erziehung wird der Trieb zur Grausamkeit gefördert.
Gibt es Menschen, die nie hassen? Oder ist Hass etwas zutiefst Menschliches?
SN:
Das Gefühl kennt jeder. Die Tendenz dazu hat auch jeder. Aber es lebt nicht
jeder aus. Nach den wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen leben nur
etwa 30 Prozent den Hass irgendwann aus. Die anderen werden damit besser
fertig. Deshalb ist die Persönlichkeitsentwicklung eine große Aufgabe der Erziehung, damit man mit Hass fertig wird.
SN: Gibt es auch so etwas wie eine
Hasspersönlichkeit? Also Menschen,
die von Natur aus mehr zu Hass neigen?
Ja. Das sind die, die wir als Psychopathen bezeichnen. Es gibt auch das Syndrom des bösartigen Narzissmus. In der Wirtschaftswelt spricht man von „Dunkler Tetrade“– das sind Menschen,
die auf alles mit Hass reagieren.
SN: War Hass immer da oder wird er mehr – durch den Hass im Netz, durch Cybermobbing etc.?
Der Hass gehört zur Grundausstattung menschlicher Gefühle, es hat ihn immer
gegeben. Aber er zeigt sich jetzt in einem neuen Gesicht, als Internethass, Frauenhass, Ausländerhass. Und er wird, so fürchte ich, so lange da sein, wie es Menschen gibt.
Sie schreiben, diese „zerstörerische Leidenschaft“lasse sich „ein Stück weit entschärfen“. Gibt es also ein Rezept gegen Hassgefühle?
SN:
Man kann dem Hass nur beikommen,
wenn man ihn durchleuchtet. Wenn Menschen Bescheid wissen über den Hass, ist das auch Macht über den Hass.
Und wir müssen die Empathie fördern. Dort, wo warme Emotionen dominieren,
haben kalte keinen Platz.