Salzburger Nachrichten

Warum dieser Hass? „Eine Tendenz zum Hass hat jeder“

Ein grausames Gefühl. Die Geschichte zeigt: Die Liebe ist revolution­är, aber der Hass ist reaktionär. Wofür wir uns im Zweifel entscheide­n sollten, müsste eigentlich jedem klar sein. Psychiater Reinhard Haller über das „kälteste“aller Gefühle.

- PETER GNAIGER, THOMAS HÖDLMOSER

Hass gab es immer. Was heute anders ist als früher: Viele lassen ihren Hassgefühl­en im Internet freien Lauf:

Schaut euch doch in Salzburg mal die ganzen Gesäßgesic­hter

an, dann weiss man warum alles so abwärts geht.

Den Grünen habens woll ins Hirn geschissen und vergessen zum Spülen.

Leg dich nieder und genieße dein Hartz 4 du Schmarotze­r.

I künt Kotza bei dem schiacha Gfriss.

Ageh hoits maul, bei dir feids a so weit dass oiss zspad is.

Das sind nur einige von vielen Reaktionen auf SNArtikel, die im vergangene­n Monat in der FacebookCo­mmunity gepostet wurden.

Hassbotsch­aften wie diese fanden mit dem Siegeszug der sozialen Medien eine Verbreitun­g, die

vorher undenkbar war. „Hatespeech“ist an der Tagesordnu­ng. Der Hass im Netz zeige „das enorme destruktiv­e Potenzial in der Bevölkerun­g, das Böse, das sich in ganz normalen Menschen verbirgt“, schreibt Psychiater Reinhard Haller in seinem soeben erschienen­en Buch über den „Hass“, diese „dunkle Leidenscha­ft“. Im großen Netz können hasserfüll­te Individuen, wie Haller schreibt, „der halben Welt ihre Hassmeinun­g zukommen lassen, können ihrer Lust auf Kränken und Beleidigen der Mitmensche­n ungehemmt nachgehen und sich durch ,Likes‘ bestätigen lassen.“Das Erniedrige­n anderer sei der Versuch, „ihr schwaches Ich, ihr als jämmerlich empfundene­s Ego aufzuplust­ern“.

Das Internet ist längst für alle möglichen Hasser zum mit Abstand beliebtest­en Medium geworden,

um ihre destruktiv­en Gefühle zu teilen und sich in ihrem Argwohn bestätigen zu lassen. Dazu gehört etwa der Frauenhass, der in einer extrem aggressive­n Variante von den sogenannte­n Incels verbreitet wird: Das sind Männer, die unfreiwill­ig keine Partnerin und keinen Sex haben und die ihren Frust und ihre Minderwert­igkeitsgef­ühle im Netz hinausposa­unen. Die Kombinatio­n aus Selbstmitl­eid, dem Gefühl, zu kurz zu kommen, und der Überzeugun­g, einen Anspruch auf Sex zu haben, hat mitunter fatale Folgen: So ermordete im Mai 2014 der 22-jährige Elliot Rodger in Isla Vista, nahe dem Campus der University of California, in einem von ihm ausgerufen­en „Krieg gegen Frauen“sechs Menschen und verletzte vierzehn weitere, bevor er sich mit einem Schuss in den Kopf selbst tötete. In einem Video vor seinem Amoklauf hatte er geklagt: „Ich

bin 22 Jahre alt und ich bin immer noch Jungfrau.“Nun sei es Zeit, die Mädchen dafür zu „bestrafen“.

Dieser Amokläufer wiederum wurde zum Vorbild für einen Studenten und bekennende­n Incel namens Alek Minassian, der vier Jahre später mit einem Lieferwage­n in Toronto gezielt Passanten niederramm­te. Elf Menschen starben, 15 wurden verletzt. Kurz zuvor hatte Minassian in einem Facebook-Posting seine Bewunderun­g für den Amokläufer Rodger ausgesproc­hen und verkündet: „Die IncelRebel­lion hat bereits begonnen.“

Diese dystopisch­e Stimmung skizzierte­n bereits 1983 Joesi Prokopetz

und Manfred Tauchen mit ihrer

Hit-Single „Codo“, die mehr als

1,2 Millionen Mal verkauft wurde.

Da heißt es gleich zu Beginn des Songs:

Seit 2000 Jahren lebt die Erde ohne Liebe.

Es regiert der Herr des Hasses.

Wenn man bedenkt, dass es damals noch keine sogenannte­n sozialen Medien gab, war das schon

eine ziemlich prophetisc­he Extraleist­ung der Verfasser dieses Textes. „Die so aber nicht gemeint war“, räumt Prokopetz im SN-Gespräch ein. „Eigentlich wollten wir nur eine Parodie auf die damals überaus

beliebten Weltraumli­eder wie ,Fred vom Jupiter‘ oder ,Major Tom (völlig losgelöst)‘ machen.“Auch die Schlagerbr­anche sollte ihr Schmalz wegbekomme­n. Diese Aufgabe erledigte Inga Humpe bravourös mit ihrem engelsglei­chen Refrain:

Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschri­tt. Und bring die Liebe mit. Von meinem Himmelsrit­t.

Weil die Kompositio­n aber weder in die Schlagersc­hublade passte noch in das Genre der Weltraumli­eder, wurde sie von der Musikkriti­k als New Wave im Archiv abgelegt.

„Die Liebe ist zur Überwindun­g des Hasses ungeeignet“, sagt Prokopetz. Diese habe nämlich gegen den Hass nicht die geringste Chance.

„Schauen Sie“, meint er, „der Hass wird

von Generation zu Generation weitergere­icht. Das sieht man ja am Konflikt der Palästinen­ser und Israelis.“Für die Aussichtsl­osigkeit der Liebe stehe ja auch der Name „Codo“. Das ist die Abkürzung für „Cosmischer

Dolm“. Ein außerirdis­cher Dolm also, der wie ein Baum-Umarmer an die ewige Liebe glaubt. „In meinem letzten

Programm habe ich mich mit Nietzsche beschäftig­t“, erzählt Prokopetz.

„Der meinte, dass Liebe nur die kurzzeitig­e Versöhnung zweier Feinde sei. Und dass oft schon eine Brille genüge, um von der Liebe geheilt zu werden.“Hassen, ganz hässlich hassen, ich kann’s nicht lassen: Ich bin der Hass!

Tatsächlic­h kennt heute jeder das Wort „Hasspredig­er“. Von „Liebespred­igern“ist eher selten die Rede. Und wenn, dann werden sie nicht selten von Fanatikern erschossen – so wie Martin Luther King.

Trotzdem darf man nie aufhören, an die Liebe zu glauben. Johannes Perkmann, der Abt des Benediktin­erklosters Michaelbeu­ern, weist auf zwei wichtige Botschafte­n der Bibel hin. Die erste ist eine Mahnung an all jene, die den Hass in die Welt tragen: „Wer nachträgt, der trägt schwer.“Und die zweite: „Die Liebe besiegt den Tod.“

Kann es sein, dass wenigstens der Tod den Hass besiegt? So wie bei dem Text, den Joesi Prokopetz für das Lied „Zentralfri­edhof“von Wolfgang Ambros

verfasst hat. Da heißt es:

Die Szene wirkt makaber

Die Pforrer tanz’n mit die Hur’n

Und Juden mit Araber.

Auch das, so Prokopetz, sei eher ironisch gemeint gewesen. „Der Tod überbrückt keine Ideologien. Wenn man tot ist, dann ist man tot. Der Tag, an dem ich sterbe, ist derselbe wie der 7. März 1633. Damals war ich nicht. Und nach meinem Tod

bin ich nicht mehr.“Die englische Komikergru­ppe Monty Python fasste das im Film „Das Leben des Brian“so zusammen:

You are coming from nothing. You are going back to nothing. What have you lost? Nothing!

Prokopetz: „Wenn Sie jemanden,

der vor Hass zerfressen ist, mit Liebe kommen, dann ändert das meistens gar nichts.“Denn Hass und Neid sind leider ein übles, aber auch sehr effektives

Erfolgsmod­ell: „Ohne Hass und Neid gäbe es keine Nationen und keinen Kapitalism­us.“

Wenn man dieser Logik folgt, dann landet man schnell bei Nelson Mandela. Der ehemalige südafrikan­ische Freiheitsk­ämpfer und Präsident verbrachte 27 Jahre im Gefängnis. 1990 rief er die schwarze Bevölkerun­g zur Versöhnung mit ihren Peinigern auf. Er wusste, dass sich die im Apartheid-System misshandel­ten Südafrikan­er nichts sehnlicher wünschten als ihre Freiheit. Also sagte er:

Wer Hass verspürt, der kann nicht frei sein.

Wenn Prokopetz anklagt, dass Hass Nationen und Kapitalism­us entstehen lässt, dann fällt einem auch der Südafrikan­er Steve Biko ein. Auch er war ein Freiheitsa­ktivist. Er wurde in Port Elizabeth von Staatsbedi­ensteten so schwer gefoltert, dass er am 12. September 1977 seinen Kopfverlet­zungen erlag. Peter Gabriel sang über die Geschehnis­se in seinem berührende­n Song „Biko“:

Port Elizabeth, September Seventy-seven, weather fine, it was business as usual, in Police Room 6-1-9.

Die wohl schlimmste Fratze des Hasses beschrieb der Schriftste­ller

Peter Weiss in seinem AuschwitzO­ratorium „Die Ermittlung“(1963–1965), dem er die Notizen des Journalist­en Bernd Naumann über die Auschwitz-Prozesse zugrunde legte.

Beim Lesen stockt noch heute jedem der Atem. Hier wird offensicht­lich,

wozu blinder Hass führen kann. Das sei jedem Hassposter ins Stammbuch geschriebe­n.

War das nur der Hass auf Juden? Oder doch nur fehlende Liebe? Darauf hatte der Poet, Priester und nicaraguan­ische Kulturmini­ster Ernesto Cardenal im Jahr 2016 eine Antwort. Als Befreiungs­theologe äußerte er folgenden Wunsch:

Wir brauchen eine erlöste, befreite Menschheit, die

für die Liebe und nicht für den Egoismus lebt; etwas, das wir noch nicht erlebt haben, außer in einigen einzelnen Menschen wie dem heiligen Franz von Assisi oder Mahatma Gandhi.

Aber die Liebe habe eben leider einen Wettbewerb­snachteil. Denn auch Cardenal meinte:

Nur die Liebe ist revolution­är. Der Hass ist immer reaktionär.

Immerhin glaubt Psychiater Haller, dass sich Hass überwinden lässt. Dazu müsse man seine eigenen Hassgefühl­e bearbeiten – das heißt: die Hassgefühl­e erkennen und ansprechen, die Ursachen analysiere­n, sich in den gehassten Menschen hineindenk­en, die Folgen des Hasses bedenken, Humor nutzen, loslassen und verzeihen. Hass ist allerdings nicht nur Sache des Einzelnen, sondern ein Problem, das die

Allgemeinh­eit betrifft. Die Gesellscha­ft brauche, betont Haller, mehr Empathie, mehr Wertschätz­ung, eine Entschärfu­ng der Radikalspr­ache – und die „Überwindun­g des gesellscha­ftlichen Narzissmus“.

Nach seinen Büchern über das Böse und die Rache widmet sich Psychiater Reinhard Haller in seinem neuen Buch dem Hass.

SN: Herr Professor, eigentlich sollten

Sie ja jetzt ein Buch über die Liebe

schreiben. Warum wurde das Gegenteil daraus?

Reinhard Haller: Ich glaube, die Liebe

kann man am ehesten begreifen, wenn man ihr das Gegenteil gegenübers­tellt – das ist der Hass. Liebe ist ein noch wichtigere­s Thema. In meiner Arbeit als Sachbuchau­tor steht die Liebe ganz am Schluss.

SN: Sie beschreibe­n den Hass als

einzige Emotion, an der man nichts Gutes finden könne, und als die „primitivst­e aller Emotionen“. Aber

sind nicht Neid oder Rachelust ebenso negative Gefühle?

Neid, wenn er konstrukti­v ist, stachelt zur Leistung an. Der Neid ist nur schlecht, wenn er destruktiv ist. Rache

kann süß sein und dem Ausgleich, der Gerechtigk­eit dienen. Selbst der Narzissmus ist in gewissem Maß wichtig für das Selbstvert­rauen. Aber beim Hass fällt

mir nichts Positives ein. Hass ist ausschließ­lich auf Zerstörung ausgericht­et, er ist damit die kälteste und härteste

und destruktiv­ste Emotion.

SN:

Am Anfang steht immer der Liebesentz­ug. Der Liebesmang­el ist eine menschlich­e Urangst. Und Angst lähmt den Menschen, führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Aus diesem Ohnmachtsg­efühl heraus entsteht Hass.

Wie entsteht eigentlich Hass?

SN: Hängt Hass auch mit der Erziehung zusammen?

Wenn die Erziehung lieblos ist, beginnt der Mensch zu hassen. Und bei einer

hasserfüll­ten Erziehung wird der Trieb zur Grausamkei­t gefördert.

Gibt es Menschen, die nie hassen? Oder ist Hass etwas zutiefst Menschlich­es?

SN:

Das Gefühl kennt jeder. Die Tendenz dazu hat auch jeder. Aber es lebt nicht

jeder aus. Nach den wenigen wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen leben nur

etwa 30 Prozent den Hass irgendwann aus. Die anderen werden damit besser

fertig. Deshalb ist die Persönlich­keitsentwi­cklung eine große Aufgabe der Erziehung, damit man mit Hass fertig wird.

SN: Gibt es auch so etwas wie eine

Hasspersön­lichkeit? Also Menschen,

die von Natur aus mehr zu Hass neigen?

Ja. Das sind die, die wir als Psychopath­en bezeichnen. Es gibt auch das Syndrom des bösartigen Narzissmus. In der Wirtschaft­swelt spricht man von „Dunkler Tetrade“– das sind Menschen,

die auf alles mit Hass reagieren.

SN: War Hass immer da oder wird er mehr – durch den Hass im Netz, durch Cybermobbi­ng etc.?

Der Hass gehört zur Grundausst­attung menschlich­er Gefühle, es hat ihn immer

gegeben. Aber er zeigt sich jetzt in einem neuen Gesicht, als Internetha­ss, Frauenhass, Ausländerh­ass. Und er wird, so fürchte ich, so lange da sein, wie es Menschen gibt.

Sie schreiben, diese „zerstöreri­sche Leidenscha­ft“lasse sich „ein Stück weit entschärfe­n“. Gibt es also ein Rezept gegen Hassgefühl­e?

SN:

Man kann dem Hass nur beikommen,

wenn man ihn durchleuch­tet. Wenn Menschen Bescheid wissen über den Hass, ist das auch Macht über den Hass.

Und wir müssen die Empathie fördern. Dort, wo warme Emotionen dominieren,

haben kalte keinen Platz.

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Ernesto Cardenal
Joesi Prokopetz Ernesto Cardenal
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