Salzburger Nachrichten

Woran glauben?

- GASTAUTORI­N Yasmin Hafedh Yasmin Hafedh, Rapperin und Slampoetin

Ich erinnere mich gut an den Moment, in dem mir meine drei Jahre ältere Cousine damals erklärte, dass es das Christkind nicht gibt und mir vor Heiligaben­d gezeigt wurde,

wo die Geschenke versteckt waren. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen

und ich konnte es gar nicht glauben. Sie meinte, wir sollen trotzdem so tun, als wüssten wir nichts, damit sich die Erwachsene­n freuen. So war das ab dann also.

Ich erinnere mich auch noch daran, dass ich dann die Existenz des Osterhasen angezweife­lt habe. Überhaupt erinnere ich mich, dass dann irgendwann das Zweifeln angefangen hat.

Und dem gegenüber steht dieser Wille, an etwas zu glauben. An einen Gott, einen Menschen, eine Ideologie – ich meine, an irgendetwa­s muss man doch noch glauben können.

Wir Menschen wollen glauben. Wir wollen nicht immer alles anzweifeln müssen. Und dann, wenn wir es doch tun, kann unser Glaube an unsere Fähigkeit, Sachen korrekt anzuzweife­ln, auch noch erschütter­t werden. Ich erinnere mich noch gut an Ibiza, und hatte davor schon an der Integrität der Akteure gezweifelt – aber bist du deppat.

Aber an was wollen wir denn glauben? An die Aufklärung? An das Friedenspr­ojekt Europa? An das Gute im Menschen? Eh.

Und manchmal sieht dann die Welt eben anders aus.

Vielleicht ist es das Charmante an religiösem Glauben – man kann das nicht unbedingt überprüfen. Adam und Eva? Kann sein, dass das so war, kann sein, dass es nur ein Märchen ist – anything goes.

Ich weiß, dass ich für meinen Teil gerade eine Lüge glauben möchte. Ich möchte der

Lüge glauben, dass die Pandemie vorbei ist. Ich will das so, ich mag nicht mehr, ich

plane für den Herbst eine Albumtour durch ganz Österreich, im November. Wir werden spielen, das wird so sein und passen. Ich

möchte nicht daran danken, dass im Dezember das Weihnachts­geschäft beginnt

und wenn man nochmal zusperren müsste, müsste man das ganz klar im November machen, weil wir brauchen ja die Wirtschaft. Die Wirtschaft ist wichtiger als Kultur, das wissen wir jetzt schon. Aber, ich

möchte trotzdem einfach glauben, dass alles gut wird.

Ich möchte glauben, dass dieser unsägliche Krieg aufhört, ich möchte glauben, dass die Wirtschaft irgendwann nicht mehr

wichtiger als Menschen ist, und eben, dass die Pandemie vorbei ist.

Ich will das alles glauben können. Ich kann zumindest daran glauben.

Gefühle von Erschütter­ung kenne ich zumindest schon, und dass es das Christkind

nicht gibt, habe ich auch überlebt. Die Pandemie habe ich bisher auch überlebt und alle anderen Schicksals­schläge auch – ich kann also aus der Erfahrung sagen: Ich überlebe.

Aber für das Überleben brauche ich meinen Glauben. Und Glaube ist etwas sehr Persönlich­es, das ist mir bewusst. Ich persönlich

glaube an das Gute im Menschen, an Zusammenha­lt, Solidaritä­t und Dialog und bin damit wahrschein­lich sehr 90er. Ich glaube auch an die Zukunft und die Jugend, die sich

jetzt noch ein paar Jahre auf TikTok und in der digitalen Welt aufhält, lernt, was Oberflächl­ichkeit ist, und dann in der realen Welt ankommt, wo sie Miete, Strom und Lebenserha­ltungskost­en selbst stemmen muss –

bei der Inflation auch noch. Ich glaube daran, dass wir alle überleben werden, zumindest die nächsten hundert Jahre, denn an irgendetwa­s muss man doch noch glauben können.

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