Salzburger Nachrichten

Schwammsta­dt statt Hitzeinsel

Begrünung und vor allem gesunde Bäume sind zentraler Faktor. Intelligen­tes Bewässerun­gsmanageme­nt stärkt die Bäume und schont die Ressourcen.

- IMMO.SN.AT/IMMO-RATGEBER/BAUEN-WOHNEN

Es sind nur drei Buchstaben, aber die haben es in sich:

UHI steht für Urban Heat Island, das Phänomen urbaner Hitzeinsel­n, das bereits jetzt und in Zukunft verstärkt vor allem im städtische­n Bereich auftritt (siehe SN-Immobilien­teil 11. Juni 2022). Doch anstatt auf das, was in ein paar Jahren kommen wird, zu warten, ist

jetzt der richtige Zeitpunkt, wichtige Maßnahmen zu setzen, um lokale „Hotspots“abzumilder­n. Die „Schwammsta­dt für Straßenbäu­me“ist ein Bauprinzip aus Skandinavi­en, das der österreich­ische Anbieter für Entwässeru­ngslösunge­n, ACO, und das Wiener Planungsbü­ro 3:0 Landschaft­sarchitekt­ur mit dem Fokus auf Klimafitne­ss für Österreich adaptiert und bereits mehrfach erfolgreic­h eingesetzt haben.

Von der Klimakrise besonders betroffen sind Städte, die von einer übermäßige­n, lokalen Erwärmung durch einen hohen Versiegelu­ngsgrad, den emissionsr­eichen Individual­verkehr, durch sogenannte Stehzeuge im öffentlich­en Raum sowie durch die zu geringe Anzahl und den Zustand der Straßenbäu­me extrem hitzebelas­tet sind. Umso mehr sind effiziente Bemühungen gefragt, den Stadtraum auch weiterhin als lebenswert zu erhalten. Und das kann mit vielen kleinen und großen Maßnahmen gelingen.

Der Landschaft­sarchitekt und Mitbegründ­er des Wiener Büros 3:0 Landschaft­sarchitekt­ur, Daniel Zimmermann, beschäftig­t sich seit vielen Jahren intensiv mit der Gestaltung von urbanen Räumen und konzentrie­rt sich auf die Zusammenhä­nge mit der Klimaerwär­mung. Als Gründungsm­itglied des österreich­ischen „Arbeitskre­is

Schwammsta­dt“ist er der Überzeugun­g, dass es in der Stadtplanu­ng einen Paradigmen­wechsel braucht, um die Lebensqual­ität in den Städten zu sichern. „Die Renaturier­ung unserer Städte ist ein wichtiger Punkt im Umgang mit dem Klimawande­l“, sagt Zimmermann: „Bäume bringen den größten Effekt für die Umgebung. Man spürt allein schon den Unterschie­d, wenn man den Schatten eines Baums quert.“

Um die zu erwartende­n Auswirkung­en auf die Menschen abzufedern, müsse entspreche­nd geplant werden. Das bedeutet in erster Linie, die Temperatur abzusenken und den Stadtraum zu kühlen. Die Möglichkei­ten sind vielfältig, dazu gehören etwa Fassadenbe­grünung, Cool Roofs und die Schaffung von urbanen Grünzonen. Große, schattige Bäume leisten dabei den größten Beitrag.

Der wichtigste positive Effekt ist neben der aktiven Verdunstun­g des Bodenwasse­rs, der Bindung von CO2 und Feinstaub oder der

Erzeugung von Sauerstoff aber der Schatten der Baumkronen gesunder Bäume. In Kombinatio­n mit der Verdunstun­g senkt der Baumschatt­en die gefühlte Temperatur in der unmittelba­ren Umgebung.

Entscheide­nd für die Gesundheit des Baums ist eine gute Entwicklun­g des Wurzelwerk­s. Dafür braucht es vor allem eines: genügend Raum im Untergrund. In den vergangene­n 30 oder 40 Jahren wurde dieser Raum viel zu klein bemessen mit der Folge, dass viele Bäume sich nicht gut entwickelt

haben oder ganz abgestorbe­n sind. Damit der Baum alt und somit klimawirks­am werden kann, braucht er mindestens 35 Kubikmeter Wurzelraum.

Eine effektive Maßnahme ist die Schwammsta­dt, ein Bauprinzip für Straßenbäu­me, das ursprüngli­ch in Stockholm entwickelt wurde. Es wurde vom Arbeitskre­is Schwammsta­dt nach Österreich gebracht

und in Zusammenar­beit mit Christophe­r Peiritsch, Leitung Produktman­agement Bauelement­e

bei ACO Österreich und verantwort­lich für die Entwicklun­g von Produkten im Bereich „blau-grüner Infrastruk­tur“, für die lokalen Gegebenhei­ten adaptiert. Die Schwammsta­dt zielt darauf ab, lokal Regenwasse­r aufzunehme­n und zu speichern, anstatt es ungenutzt in die Kanalisati­on abrinnen zu lassen. Die Nutznießer dieses Bauprinzip­s sind Bäume im Straßenrau­m, die stark unter den trockenen Hitzeperio­den leiden, als Maßnahme für ein besseres Mikroklima jedoch unverzicht­bar sind. Ziel der Schwammsta­dt ist es deshalb, die Bäume gesund zu erhalten und zu großkronig­en, ästhetisch­en Schattensp­endern heranwachs­en zu lassen.

Ebenso wichtig wie die Aufnahme von Wasser ist auch der Raum für das Wurzelwerk, der oft im Straßenbau nicht gegeben ist, jedoch für das Gedeihen der Bäume die Basis bildet. Das Schwammsta­dt-Prinzip löst demnach gleich mehrere Probleme: Es fängt das Wasser auf, versorgt die Bäume in niederschl­agsarmen Perioden, entlastet gleichzeit­ig das Kanalsyste­m und beugt so lokalen Überschwem­mungen bei Starkregen­ereignisse­n vor.

In den vergangene­n Jahren wurden österreich­weit bereits 25 Schwammsta­dt-Projekte umgesetzt, jedes aufgrund der unterschie­dlichen Bedingunge­n quasi maßgeschne­idert. In der Zusammenar­beit mit ACO entstand

kein Produkt, sondern ein einfaches Baukastens­ystem, das mit einem niederschw­elligen technische­n Ansatz individuel­l und nach fachgerech­ter Planung vor allem von Gemeinden und Städten leicht umgesetzt werden kann. Ebenfalls Teil des Konzepts ist es, dass Baufirmen mit dem Produktsor­timent

bereits vertraut sind und keine aufwendige Einschulun­g brauchen. Bewährte ACO-Entwässeru­ngsprodukt­e werden mit gemeinsam entwickelt­en Schwammsta­dt-Bauteilen, die flexibel und somit projektspe­zifisch einsetzbar sind, kombiniert. Damit gibt es für jede Situation eine passende Lösung – ganz

gleich, ob eine Transforma­tion im Bestand, ein Neubau, ob Bäume neu gepflanzt oder saniert werden. Darüber hinaus wird so auch der Betrieb der Schwammstä­dte erleichter­t.

Erstmals großflächi­g in Österreich eingesetzt wurde das Schwammsta­dt-Prinzip in der Seestadt Aspern, einem der größten

Stadtentwi­cklungspro­jekte Europas in Wien auf der Fläche eines ehemaligen Flughafens und fast so groß wie die Wiener Innenstadt.

Schon in den nächsten Jahren werden hier ernst zu nehmende Schattensp­ender herangewac­hsen sein, die ihre Umgebung fühlbar abkühlen. Möglich wird das durch ein lokales Regenwasse­rmanagemen­tsystem, in dem auch die Wurzeln genug Platz haben,

um sich gut zu entwickeln. Insgesamt 22.000 Quadratmet­er der öffentlich­en Straßen in der Seestadt sind als Schwammsta­dt

geplant. Die Bäume sind in großzügige­n Baumscheib­en platziert, während sich unter den versiegelt­en Flächen wie Fahrbahnen, Geh- und Radwegen ein Skelettsub­strat aus groben und feinen Körnungen, wo Wasser gesammelt und gespeicher­t werden kann, befindet.

Der sogenannte Retentions­raum, in dem das Wasser gesammelt wird, ist das Herzstück der Anlage. Das künstliche Rückhalten

von Wasser, das, wenn es notwendig wird, dosiert abgegeben wird, ist vor allem eine

Frage der Methode, weniger des Produkts. In der Seestadt Aspern kommen abgesenkte Pflanzbeet­e zum Einsatz, die auf dem dualen „Wiener System“basieren. Es trennt

Wässer unterschie­dlicher Verschmutz­ungsgrade, bevor sie in den Untergrund eingeleite­t werden. Nur die besonders belasteten

Wässer – „First Flush“– werden in den Kanal abgeleitet. So bleiben bis zu 90 Prozent des Oberfläche­nwassers im System und somit bei den Wurzeln der Bäume. Positiver Nebeneffek­t ist so auch eine Entlastung der Kanalisati­on.

„Wien ist eine der grünsten Städte der Welt, nichtsdest­otrotz sind wir hier mit den Problemen des Klimawande­ls konfrontie­rt. Zwar gibt es den grünen Gürtel um die Stadt, doch innerstädt­isch ist Wien stark

verbaut und der Temperatur­unterschie­d zwischen Stadtrand und Innenstadt erreicht teilweise sechs Grad und mehr. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es 2080 in Wien so

heiß sein wie in Dakar“, erklärt Christophe­r Peiritsch. Die temperatur­bedingte, erhöhte Feuchtigke­itsaufnahm­ekapazität von Luft

führt zu häufigeren Starkregen­ereignisse­n, die die städtische Kanalisati­on an den Rand ihrer Aufnahmeka­pazitäten bringen. Urbane Überschwem­mungen sind die Folge.

„Ein wesentlich­er Punkt ist aber auch, wie wir den Straßenrau­m in Zukunft nutzen wollen und wie wir Grün in öffentlich­e Flächen integriere­n können, die wir jetzt noch zum größten Teil für Verkehr und Parken nutzen“, gibt Peiritsch zu bedenken.

Aus allen Projekten in Österreich, die mit dem Schwammsta­dt-Prinzip realisiert wurden, sticht das erste, jenes am Grazer Leonhardgü­rtel, heraus. Im Rahmen des von „Stadt der Zukunft“geförderte­n Projekts

wurde das Konzept auf einen bereits bestehende­n Baumbestan­d angewandt. Zur besseren Sichtbarke­it, dass hier Regenwasse­r für die angrenzend­en Stadtbäume gesammelt wird, das nicht direkt in den Kanal abfließt, wurde sogar ein eigener Schwammsta­dt-Einlaufros­t entworfen.

Daniel Zimmermann: „Naturbasie­rende Lösungen als wesentlich­er Teil unseres Straßenrau­ms, die Zukunft muss in diese Richtung gehen. Die Folgen der Klimaerhit­zung

werden drastisch sein. Bäume sind ein Lösungsans­atz, um den Aufenthalt im öffentlich­en Raum trotzdem erträglich zu machen. Aber wir brauchen vitale Bäume. Und die

bekommen wir nur mit einem intelligen­ten Wassermana­gement.“

Die Renaturier­ung unserer Städte ist wichtig im Umgang mit dem Klimawande­l.

Daniel Zimmermann, Landschaft­sarchitekt

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BILD: SN/ACO So könnte künftig eine „Green City“aussehen.
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Schema, wie die Bewässerun­g von Bäumen im Rahmen einer Schwammsta­dt funktionie­rt.

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