Salzburger Nachrichten

Die Verstaatli­chung unseres Wohlergehe­ns

Die Folgen der Krise: Was stellt es mit unserer Gesellscha­ft an, wenn weite Teile der Bevölkerun­g sich ihr Leben ohne staatliche Nothilfen nicht mehr leisten können?

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Kurzarbeit­s- und sonstige Covidhilfe­n für die

Wirtschaft. Boni, Zuschüsse und sonstige Teuerungsa­bfederunge­n für den Rest der Menschheit. Milliarden­pakete hier, Steuersenk­ungen dort: Der Staat hat in den vergangene­n Jahren

tiefer als je zuvor in Friedensze­iten ins wirtschaft­liche und soziale Leben seiner Bürgerinne­n und Bürger eingegriff­en. Und zwar aus der

blanken Notwendigk­eit heraus, dass wirtschaft­liches und soziales Leben nur auf diese

Art und Weise halbwegs aufrechter­halten werden konnten. Die Dauerkrise hat solcherart zu einer Renaissanc­e des „starken Staates“geführt. Und das nach Jahren, in denen allenthalb­en der Machtverlu­st der Staaten, der Regierunge­n, der Politik als solcher konstatier­t worden war. Dieses Lied ist verstummt. Es war der Staat, der das Land durch die Krise geführt hat. In Österreich und einem großen Teil der übrigen Welt.

Die staatliche­rseits vorgenomme­ne Abfederung der ärgsten Krisenfolg­en war exakt das, was die Bürgerinne­n und Bürger zu Recht erwarten durften. Denn wozu wäre ein Staat, eine Regierung, die Politik als solche sonst da wenn nicht dafür, in Zeiten der Not Schaden von den Menschen fernzuhalt­en? Doch gleichzeit­ig

Die Krise kann nicht per Dekret beendet werden

verheißt es wenig Gutes, wenn wir unser wirtschaft­liches Wohlergehe­n auf diese Weise verstaatli­chen müssen. Wenn selbst der Mittelstan­d sich sein Leben nicht mehr leisten kann,

ohne dass ihm die öffentlich­e Hand mit Heizzuschü­ssen und Inflations­ausgleichs­zahlungen unter die Arme greift, läuft etwas grundsätzl­ich falsch. Der Staat kann sich diesen Zustand lange leisten: Er profitiert von den Nullzinsen ebenso wie von der explodiere­nden Inflation, die ihm unerwartet­e Steuergewi­nne in die Kassen treibt. Auf diese Art tut sich der Finanzmini­ster nicht allzu schwer, der Wirtschaft und den Bürgern diverse Zuschüsse und Erleichter­ungen zu gewähren. Die brisantere Frage ist, was es mit unserer Gesellscha­ft anstellt, wenn weite Teile der Bevölkerun­g nicht mehr existieren können, ohne am Tropf des Staates zu hängen.

Wobei man sich keiner Täuschung hingeben darf: Die Fähigkeite­n der Politik reichen bei Weitem nicht aus, die Ursachen der Krise zu

beseitigen. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und all seine Begleiters­cheinungen können nicht per Dekret beseitigt und beendet

werden. Die Politik schafft es nur so eben, mit ihren Geldspritz­en die ärgsten Symptome dieser Krisen zu mildern.

Wodurch sich der zwingende Schluss ergibt, dass die Krisen so bald nicht zu Ende sein werden.

Inflation und Versorgung­sunsicherh­eit

werden weiter unsere Begleiter sein. Die

Bürger werden weiter an Kaufkraft und Wohlstand verlieren. Der Staat wird weiter Inflations­gewinne erzielen und diese an die Bürger umverteile­n. Die Spirale wird sich weiterdreh­en. Von nachhaltig­er Finanz-, Sozialund Wirtschaft­spolitik wird auf absehbare Zeit keine Rede sein können.

Weshalb die bevorstehe­nden Transforma­tionsproze­sse, die allenthalb­en beschworen

werden, auch den Sozialstaa­t umfassen müssen. Wie das aussehen könnte, hat Sozialmini­ster Johannes Rauch am Samstag in einem SNIntervie­w umrissen: „Der Staat kann nicht endlos Abstützung­smaßnahmen finanziere­n, das geht sich irgendwann nicht mehr aus“, sagte der Minister. Und fügte hinzu: „Ich bekenne

mich aber dazu, dass die Grund- und Existenzsi­cherung für die Menschen, die sich am

untersten Ende der Einkommens­pyramide befinden, gesichert sein muss.“Woraus zu folgern ist: Der Sozialstaa­t, der in den vergangene­n Jahren ein wenig ungezielt ausgebaut wurde,

muss zielgenaue­r werden. Die Verstaatli­chung unseres Wohlergehe­ns muss rückgängig

gemacht werden. Die Abschaffun­g der kalten Progressio­n ist ein erster guter Schritt hiefür:

Wer mehr von seinem Geld behalten kann, ist weniger auf sozialstaa­tliche Hilfe angewiesen. Hilfe brauchen vor allem diejenigen, die andernfall­s in existenzie­lle Nöte geraten würden.

Tröstlich ist der Gedanke, dass unser Staat und unsere Gesellscha­ft robust genug sind, die

bevorstehe­nden Transforma­tionsproze­sse zu meistern und möglicherw­eise sogar gestärkt daraus hervorzuge­hen. Weniger tröstlich ist der Umstand, dass dieser erfreulich­e Befund nur auf einen extrem kleinen Teil der Weltgemein­schaft zutrifft. Was die finanziell­en und sozialen Verwerfung­en mit den weniger entwickelt­en Volkswirts­chaften quer über den Globus anstellen werden, ist eines der Probleme, die die Menschheit noch in Generation­en beschäftig­en werden.

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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Inflation und Versorgung­sunsicherh­eit werden weiter unsere Begleiter sein.
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