Salzburger Nachrichten

Ich bin halt wie eine freie Friesin

Was sich Frauen bei Kolleginne­n im hohen Norden abschauen können.

- Karin Zauner

Es heiße, die Ostfriesen seien stur. Sie sei nicht stur, sondern eine freie Friesin, sagt die Frau, die uns durch die von Handel und Seefahrt geprägte kleine Stadt Leer in Ostfriesla­nd führt.

Anfänglich ist es als Fremde schwer zu verstehen, was die Gästeführe­rin mit „freier Friesin“meint, doch schon nach dem ersten Tag wird

klar, dass die Frauen in der Küstengege­nd Ostfriesla­nds ein besonderes Selbstbewu­sstsein haben – eine Stärke, die sie unverblümt zum

Ausdruck bringen. So wie die Gästeführe­rin, wenn sie erklärt, dass sie konsequent mit ihren Enkelkinde­rn Plattdeuts­ch schnackt, weil es für deren Identität wichtig sei, genauso wichtig

wie der Kampf um den Erhalt der alten Speicherhä­user.

Später erzählt eine Restaurant­besitzerin, die selbst bestimmt, was auf die Teller der Gäste kommt, dass ihr alle gesagt hätten, ihr Konzept

würde nicht funktionie­ren. „Ich mache, was ich für richtig halte, und habe mein Ding

durchgezog­en“, sagt sie. Mit Erfolg. Als ein Gast ungeduldig Informatio­nen zu einem Fisch

will, weist sie ihn ruhig, bestimmt und freundlich in die Schranken. „Jetzt lassen Sie mich mal in Ruhe fertig servieren, dann erkläre ich alles.“

Die sogenannte­n freien Friesen entwickelt­en seit der Mitte des 12. Jahrhunder­ts ein Gegenmodel­l zur sonst in ganz Europa üblichen feudalen Gesellscha­ftsstruktu­r. Nach dem König kamen gleich die Bauern. Und sie hatten auch

besondere Frauen, etwa Helene Christine Wilhelmine Siefkes, Politikeri­n, Lehrerin und Schriftste­llerin, die auch für die regionale Zeitung schrieb. Selbst den Nazis hatte sie sich

widersetzt und war mit einem Berufs- und Schreibver­bot belegt worden. Beeindruck­en

ließ sie sich davon nicht und schrieb unter einem Pseudonym weiter.

Gästebegle­iterinnen in Ostfriesla­nd erzählen mit Stolz über ihre starken Frauen in der Geschichte. Unterstütz­ung kommt von der Initiative frauenOrte Niedersach­sen, die das Leben

und Wirken historisch­er Frauenpers­önlichkeit­en einer breiten Öffentlich­keit bekannt macht.

Niedersach­sen, Salzburg, Wien? Das ist austauschb­ar. Es gab überall in der Geschichte starke und außergewöh­nliche Frauen, die besonders gewirkt haben, aber zu wenig bekannt sind. Auch in Salzburg bemüht man sich seit

Jahren, mittels Denktafelp­rojekt, besondere Frauen der Geschichte vor den Vorhang zu holen. Als Vorbilder und Wegbereite­rinnen sollen sie heute motivieren, mit kritischem Geist eine aktive Rolle in der Gesellscha­ft einzunehme­n. Es bräuchte nur mehr davon.

Sollte übrigens künftig jemand meinen, ich sei ein wenig beharrlich, nehme ich mir Anleitung im hohen Norden und antworte: „Ich bin

halt wie eine freie Friesin.“

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