Schwere Schlappe für Präsident Macron
Präsidentenpartei und ihre Partner verfehlen die absolute Mehrheit – die Rechtsextremen erzielen ihr bisher bestes Ergebnis.
PARIS. Wenig wurde im Vorfeld der französischen Parlamentswahlen
über die Rechtsextremen gesprochen – umso überraschender war deren Erfolg bei der gestrigen zweiten Runde. Da das Mehrheitswahlrecht die extremen Parteien benachteiligte, konnte der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen nicht einmal eine Fraktion in der Nationalversammlung bilden, für die mindestens 15 Abgeordnete
nötig sind. Nun erreichte der RN ersten Auszählungsergebnissen zufolge 85 Mandate – so viele wie nie zuvor. Auch die bisherige Parteichefin Le Pen, die den Vorsitz seit der Präsidentschaftswahl an ihren bisherigen Stellvertreter Jordan Bardella abgegeben hat, errang einen Sitz in ihrer nordfranzösischen Hochburg Hénin-Beaumont. „Wir
werden eine harte, unnachgiebige Opposition sein“, versprach die 53Jährige noch am Abend. Offenbar kam die hohe Stimmenthaltung
von 54 Prozent den Rechtsextremen entgegen. Viele Menschen hatten der Wahl mit Lustlosigkeit oder Gleichgültigkeit entgegengesehen.
Großer Verlierer ist das Lager von Emmanuel Macron – nicht zuletzt der Präsident selbst. Die Allianz Ensemble! („Gemeinsam!“), die seine La République en marche mit anderen liberalen Parteien geschlossen
hatte, blieb zwar stärkste politische Kraft. Doch sie erhielt ersten Hochrechnungen zufolge nur 230 Mandate und verfehlte damit die absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze. Vor fünf Jahren war dies noch gelungen; seither verloren Macron und seine Partei viel Zustimmung in der Bevölkerung. Seine Wiederwahl zum Präsidenten im
April war durch fehlende überzeugende Alternativen bedingt. „Wir
haben schon bessere Abende erlebt“,
räumte Regierungssprecherin Olivia Grégoire gestern ein. Ihr Lager habe einen „enttäuschenden ersten Platz, aber immerhin einen ersten Platz“errungen.
Das Regieren dürfte künftig deutlich schwieriger werden, denn Macron wird von der Zustimmung oppositioneller Parteien abhängig sein, um Mehrheiten für seine Gesetze zu bekommen. Darüber hinaus ist er ohnehin auf seine Partner angewiesen, ohne die LREM nur 154 Sitze errungen hätte. Seit der
Umgestaltung des Wahlkalenders im Jahr 2002, durch den die Wahl des Parlamentes wenige Wochen auf jene des Präsidenten folgt, ist eine solche Konstellation nicht
mehr vorgekommen.
Am wahrscheinlichsten gilt, dass Macron, beispielsweise bei der Umsetzung der umstrittenen Rentenreform, Allianzen mit den konservativen Republikanern suchen wird. Diese holten rund 76 Sitze – das sind zwar weniger als bisher, aber sie sicherten nach dem enttäuschenden Ergebnis von 4,8 Prozent
bei den Präsidentschaftswahlen doch ihre politische Zukunft.
Das Linksbündnis Nupes, eine Abkürzung für „neue ökologische und soziale Volks-Union“, konnten die eigenen hohen Erwartungen
nicht erfüllen. Der neuartige Zusammenschluss der Linkspartei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), der Sozialisten, Grünen und den Kommunisten hatte auf eine absolute Mehrheit gehofft, um selbst den Premierminister zu stellen. Den Anspruch hatte der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon erhoben – damit ist der 70-Jährige gescheitert. Dennoch ist das Wahlergebnis für jede der vier Parteien ein Erfolg.
Schon bald könnte eine Regierungsumbildung anstehen, auch um möglichen Partnern entgegenzukommen. 15 Minister des neuen Kabinetts waren angetreten, um sich im Falle eines Wahlsiegs als Parlamentarier zwar vertreten zu lassen, aber mehr politisches Gewicht als gewählte
Volksvertreter zu haben. Mehrere von ihnen mussten aber um ihre Posten fürchten. Nicht gewählt wurden die Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon und die Ministerin für die ökologische Wende, Amélie de Montchalin, aber auch Macron-Vertraute wie der bisherige Chef der Nationalversammlung, Richard Ferrand. Regierungschefin Elisabeth Borne siegte in ihrem Wahlkreis in Nordfrankreich.
Wahlbeteiligung war wieder gering