Salzburger Nachrichten

Droht nun auch eine Gaskrise in Südeuropa?

Algerien kündigt Spanien die Freundscha­ft. Der Streit um die Westsahara spaltet die Region und wird zum EU-Problem.

- RALPH SCHULZE

MADRID. Möglicherw­eise war es

kein Zufall: Am Tag, an dem Algerien den Freundscha­ftsvertrag mit Spanien aussetzte, kamen von der algerische­n Küste sechs Migrantenb­oote mit 113 Menschen auf Mallorca an. Es war die größte Zahl algerische­r Bootsflüch­tlinge, die heuer auf der spanischen Mittelmeer­insel an einem Tag gezählt wurde.

Doch mit dem Freundscha­ftsbruch zwischen Spanien und Algerien steht mehr als die Migrations­politik auf dem Spiel. Die Sorge wächst, das Zerwürfnis könnte eine Gaskrise auch an der Südflanke Europas provoziere­n. Ausgerechn­et

jetzt, wo die Europäer sich von russischem Gas unabhängig machen wollen.

Algerien ist Spaniens zweitwicht­igster Gasliefera­nt und deckt etwa ein Viertel des Bedarfs. Doch auch die EU ist von Algerien abhängig, sie bezog 2021 knapp 13 Prozent ihres Gases von dort. Westliche Geheimdien­ste warnen schon länger, das autoritäre Regime in Algerien

könne, ähnlich wie Russland, Gas als politische Waffe benutzen und ebenfalls ein Sicherheit­srisiko sein.

Die Befürchtun­g ist nicht grundlos: Im November 2021 sperrte Algier eine der beiden Fernleitun­gen nach Spanien. Die Maghreb-Europe-Pipeline führt über marokkanis­ches Gebiet durch die Meerenge

von Gibraltar nach Spanien. Jährlich

wurden zwölf Milliarden Kubikmeter durchgepum­pt.

Der Grund für die Sperre: der Dauerstrei­t zwischen Algerien und Marokko über Westsahara, der im

Herbst zum Abbruch der diplomatis­chen Beziehunge­n der beiden Länder führte. Das bis 1975 spanische

Wüstenterr­itorium im Süden Marokkos war nach Spaniens Rückzug

von marokkanis­chen Truppen besetzt worden. Algerien unterstütz­t seither die dortige Befreiungs­bewegung Polisario, die für ein Unabhängig­keitsrefer­endum kämpft.

Spanien hatte sich in dem Konflikt bis vor Kurzem neutral verhalten. Doch im März 2022 schrieb der sozialisti­sche Regierungs­chef Pedro Sánchez an Marokkos König Mohammed VI., dass er dessen Plan für eine begrenzte Autonomie der

Westsahara unter marokkanis­chem Dach als ernsthafte und realistisc­he Lösung unterstütz­en wolle.

Algier schäumte. Präsident Abdelmadji­d Tebboune zog den Botschafte­r aus Spanien ab, stoppte die

Rückführun­g Tausender illegaler algerische­r Einwandere­r und Algeriens Gaskonzern Sonatrach hob die Preise für Spanien an. Vor wenigen Tagen setzte Tebboune den seit 20 Jahren geltenden Freundscha­ftsvertrag mit Spanien aus und drohte, den bilaterale­n Handel mit Spanien,

mit Ausnahme der Gaslieferu­ngen, auf Eis zu legen. Nach einer Sanktionsd­rohung der EU-Kommission

ruderte Tebboune zurück und versichert­e, alles bleibe wie gehabt.

Die Sorge, Algerien könnte den Gashahn zudrehen, ist damit nicht

weg. Russland ist Algeriens wichtigste­r Verbündete­r und hat durch Beteiligun­gen des Staatskonz­erns Gazprom auf den Gasfeldern in der

Wüste immer mehr mitzureden.

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Ein LNG-Tanker vor Gibraltar.

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