Abgehängt im EU-Dauerwartesaal
Der EU-Enthusiasmus auf dem Westbalkan ist ernüchterter Ermattung gewichen. Auf Brüssels Empfehlung, der Ukraine Kandidatenstatus zu verleihen, reagiert man höflich bis nicht.
Zumindest die selbst erklärten Anwälte der EU-Anwärter auf dem Westbalkan zeigen sich vor dem EU-Gipfel in dieser Woche
über eine Vorzugsbehandlung der Ukraine besorgt. Der Westbalkan
verdiene dieselbe Sonderbehandlung wie die Ukraine, Moldau oder Georgien, fordert Sloweniens Premier Robert Golob einen „schnelleren Integrationsprozess“für alle EU-Anwärterstaaten der Region: Ljubljana werde sich auf dem EUGipfel dafür einsetzen, dass Bosnien und Herzegowina gemeinsam
mit der Ukraine und der Republik Moldau den Kandidatenstatus erhalte.
Man müsse den Eindruck vermeiden, dass einige Länder schon seit Jahren auf dem Pannenstreifen stünden und die Ukraine an ihnen
vorüberziehe, warnt der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg vor einem „Tunnelblick“: „Wir sind dafür, den Balkan auf dieser Reise mitzunehmen.“
Dabei hat die gelobte Reise in Europas Wohlstandsbündnis für den
Westbalkan bereits vor fast zwei Jahrzehnten begonnen. Beim Gipfel
von Thessaloniki 2003 gelobten die EU-Partner, dass die „Zukunft der Balkanstaaten in der EU liegt“. Doch seit Kroatiens EU-Beitritt 2013
ist die EU-Erweiterung völlig ins Stocken geraten. An die Verheißung
und Lockkarotte einer baldigen EUZukunft vermögen viele im ausgezehrten EU-Dauerwartesaal kaum
mehr zu glauben: Der einstige EUEnthusiasmus ist längst der ernüchterten Ermattung gewichen.
Mit pflichtschuldiger Zustimmung oder gar nicht reagieren die in der Dauerwarteschleife schmorenden Westbalkanstaaten denn auch
auf die Empfehlung Brüssels, der Ukraine Kandidatenstatus zu verleihen. Bei ihren EU-Ambitionen könne sich die Ukraine der Unterstützung der Westbalkannachbarn Montenegro, Albanien und Nordmazedonien sicher sein, sagte vorige Woche in Kiew Montenegros Premier Dritan Abazović. Niemand müsse darüber spekulieren, ob die
Keinerlei Erwartungen an den EU-Gipfel
Westbalkanstaaten sich durch die vermeintliche Vorzugsbehandlung der Ukraine umgangen fühlten oder beleidigt seien, beteuerte sein albanischer Amtskollege Edi Rama: „Vielleicht wird dies den Beitritt der anderen beschleunigen.“
Groß ist die Hoffnung auf neue Erweiterungsdynamik durch den
Ukraine-Krieg am Balkan allerdings nicht. Vielleicht ist es auch die leidvolle Erfahrung, dass der eher symbolische, aber Bosnien und Kosovo noch immer vorenthaltene Kandidatenstatus keineswegs ein Sesamöffne-Dich für die EU ist, die die Altanwärter eher gleichgültig reagieren lässt. Albanien erhielt den Status 2014, Serbien 2012, Montenegro 2010 und Nordmazedonien bereits 2005 – und noch immer rückt ein Beitritt nicht in Sicht.
Einerseits ist das Interesse in der Alt-EU an der Erweiterung völlig erlahmt und werden Anwärter wie Nordmazedonien ausgerechnet
von direkten Nachbarn nach Kräften blockiert. Andererseits mehren sich im EU-Wartesaal autoritäre
Tendenzen und scheint sich etwa Serbien eher von rechtsstaatlichen
Verhältnissen zu entfernen statt sich EU-Werten anzunähern.
Während der Beitrittsmarathon vom Zeitpunkt des Antrags
bis zum Zutritt zur EU für Slowenien sechs Jahre und für Kroatien zehn Jahre währte, dürften die
heutigen Anwärter bei Beibehaltung der derzeitigen Prozedur zum Teil noch jahrzehntelang in der EU-Vorhölle schmoren – mit
ungewissen Erfolgsaussichten. „Die EU ist für Serbien unerreichbar“, so die resignierte Schlagzeile der jüngsten Ausgabe des Belgrader Politmagazins NIN. Er habe keinerlei Erwartungen an den bevorstehenden EUGipfel, so Albaniens Premier Edi
Rama, der wegen der bulgarischen Blockade auch nicht mit einem baldigen Beginn der Beitrittsverhandlungen der EU mit
Albanien und Nordmazedonien rechnet: „Ich glaube, nichts wird
passieren.“