Spießbürger werden bloßgestellt
Vier Männer mit katastrophalem Frauenbild machen sich unmöglich.
Der jüngste Roman des österreichischen Schriftstellers Georg
Thiel lässt sich nicht lesen, ohne dass man seinen früheren Roman „Jud“von 2018 mitdenkt.
Damals tauchte er in die Zeitgeschichte ab. Jemand, selbst Opfer
unter den Nazis, wird aufmerksam auf ein Foto, das zeigt, wie
ein Bub gezwungen ist, das Wort „Jude“auf eine Hauswand zu malen. Bewacht wird er von einem uniformierten Nazi. In diesem Buch hat sich Thiel mit den finsteren Seiten im Menschen beschäftigt. Es bedarf nur der Legitimation von oben, schon finden sich Helfer vom Denunzianten
bis zum Quäler und Mörder.
Das Monströse im Banalen wird entlarvt
Der neue Roman ist im Wien des Jahres 1997 angesiedelt, von einem Gewaltregime sind wir
weit entfernt. Das bedeutet noch lange nicht, dass wir von lauteren, friedlich gesonnenen Menschen umgeben sind. Vier junge Männer verbindet eine lange
Freundschaft – selbst dann noch, als sie verschiedene Wege eingeschlagen haben. Johannes hat es nicht weit gebracht in seinem Leben, er arbeitet an einem Institut, übernimmt untergeordnete
Aufträge, doch eigentlich ist zu rechnen, dass man ihn bald loshaben will. Seine Freundin hat
ihn hinausgeworfen, ein Mann im Elend. Lukas hat als Erfolgsmensch
im Immobiliengeschäft das große Geld gemacht, ein kleinbürgerlicher Aufsteiger im Größenwahn. Matthias ist über das Stadium des Kiffens noch nicht hinaus, sucht
überall, wo er hinkommt, bewusstseinserweiternde Substanzen, ein Idiot der Haltlosigkeit. Bleibt Markus – die vier heißen tatsächlich wie die Evangelisten –, der ist abzuschreiben, seit er eine Freundin hat,
von der er sich kaum lösen kann, der Liebesfantast. Was soll schon
herauskommen, wenn sich dieses Gespann des Schreckens auf eine gemeinsame Unternehmung einlässt? Daher ist die Satire die angemessene Form, darauf zu reagieren.
Unangenehm ist ihr Verhalten in Gemeinschaft. Katastrophal ist ihr Frauenbild. Es sind mickrige Gestalten allesamt. Da leistet Georg Thiels
Aufdeckungsarbeit des Monströsen im Banalen allerhand. Einzelne Szenen arbeiten heraus, wie rücksichtslos sie vorgehen. Nicht nur die anderen behandeln sie verächtlich, auch untereinander herrscht eine aggressive Stimmung, ein Klima der
Feindseligkeit setzt sich durch. Die
Kumpanei ist eine auf Widerruf. Ständiges Gerangel um Vorherrschaft, permanentes Ausbooten und Verächtlichmachen der angeblichen Freunde. Georg Thiels Buch ist eine Bloßstellung der Spießbürger-Mentalität, die nichts gelten lässt, was nicht im eigenen engen Horizont Platz findet.
An Ödön von Horváth hat Georg Thiel seinen Meister, an dem er sich orientiert. Johannes zitiert aus dessen Roman „Der ewige Spießer“, beweist damit sein solides Bildungsfundament, womit Lukas nichts anzufangen weiß. Als am Schluss bei
einem Autounfall alle umkommen außer Johannes, lautet der letzte Satz: „Er wird Melas Liebe nicht entkommen.“Das nimmt Bezug auf Horváths „Geschichten aus dem
Wienerwald“, wenn Oskar der störrischen Marianne prophezeit: „Du wirst meiner Liebe nicht entgehen.“
Mela ist die Freundin von Markus, und weil sie ohnehin Absichten gehegt hat, Johannes für sich zu
gewinnen, geht ihre Liebeslogik auf. Dass Mela, die Raffinierte, als Siegerin aussteigt, überrascht nicht,
wenn man sich die Beschränktheit der Männer vor Augen hält.
Das Buch ist kurzweilig zu lesen, und es gibt sich engagiert, ohne je
verbiestert zu wirken. Leider bietet der Schluss nur eine Verlegenheitslösung an. Es ist keine elegante Entscheidung, alle sterben zu lassen, zumal Georg Thiel sich keineswegs
in einen Wirbel geschrieben hat, der ihm keinen anderen Ausweg gelassen hätte.