Salzburger Nachrichten

Spießbürge­r werden bloßgestel­lt

Vier Männer mit katastroph­alem Frauenbild machen sich unmöglich.

- ANTON THUSWALDNE­R

Der jüngste Roman des österreich­ischen Schriftste­llers Georg

Thiel lässt sich nicht lesen, ohne dass man seinen früheren Roman „Jud“von 2018 mitdenkt.

Damals tauchte er in die Zeitgeschi­chte ab. Jemand, selbst Opfer

unter den Nazis, wird aufmerksam auf ein Foto, das zeigt, wie

ein Bub gezwungen ist, das Wort „Jude“auf eine Hauswand zu malen. Bewacht wird er von einem uniformier­ten Nazi. In diesem Buch hat sich Thiel mit den finsteren Seiten im Menschen beschäftig­t. Es bedarf nur der Legitimati­on von oben, schon finden sich Helfer vom Denunziant­en

bis zum Quäler und Mörder.

Das Monströse im Banalen wird entlarvt

Der neue Roman ist im Wien des Jahres 1997 angesiedel­t, von einem Gewaltregi­me sind wir

weit entfernt. Das bedeutet noch lange nicht, dass wir von lauteren, friedlich gesonnenen Menschen umgeben sind. Vier junge Männer verbindet eine lange

Freundscha­ft – selbst dann noch, als sie verschiede­ne Wege eingeschla­gen haben. Johannes hat es nicht weit gebracht in seinem Leben, er arbeitet an einem Institut, übernimmt untergeord­nete

Aufträge, doch eigentlich ist zu rechnen, dass man ihn bald loshaben will. Seine Freundin hat

ihn hinausgewo­rfen, ein Mann im Elend. Lukas hat als Erfolgsmen­sch

im Immobilien­geschäft das große Geld gemacht, ein kleinbürge­rlicher Aufsteiger im Größenwahn. Matthias ist über das Stadium des Kiffens noch nicht hinaus, sucht

überall, wo er hinkommt, bewusstsei­nserweiter­nde Substanzen, ein Idiot der Haltlosigk­eit. Bleibt Markus – die vier heißen tatsächlic­h wie die Evangelist­en –, der ist abzuschrei­ben, seit er eine Freundin hat,

von der er sich kaum lösen kann, der Liebesfant­ast. Was soll schon

herauskomm­en, wenn sich dieses Gespann des Schreckens auf eine gemeinsame Unternehmu­ng einlässt? Daher ist die Satire die angemessen­e Form, darauf zu reagieren.

Unangenehm ist ihr Verhalten in Gemeinscha­ft. Katastroph­al ist ihr Frauenbild. Es sind mickrige Gestalten allesamt. Da leistet Georg Thiels

Aufdeckung­sarbeit des Monströsen im Banalen allerhand. Einzelne Szenen arbeiten heraus, wie rücksichts­los sie vorgehen. Nicht nur die anderen behandeln sie verächtlic­h, auch untereinan­der herrscht eine aggressive Stimmung, ein Klima der

Feindselig­keit setzt sich durch. Die

Kumpanei ist eine auf Widerruf. Ständiges Gerangel um Vorherrsch­aft, permanente­s Ausbooten und Verächtlic­hmachen der angebliche­n Freunde. Georg Thiels Buch ist eine Bloßstellu­ng der Spießbürge­r-Mentalität, die nichts gelten lässt, was nicht im eigenen engen Horizont Platz findet.

An Ödön von Horváth hat Georg Thiel seinen Meister, an dem er sich orientiert. Johannes zitiert aus dessen Roman „Der ewige Spießer“, beweist damit sein solides Bildungsfu­ndament, womit Lukas nichts anzufangen weiß. Als am Schluss bei

einem Autounfall alle umkommen außer Johannes, lautet der letzte Satz: „Er wird Melas Liebe nicht entkommen.“Das nimmt Bezug auf Horváths „Geschichte­n aus dem

Wienerwald“, wenn Oskar der störrische­n Marianne prophezeit: „Du wirst meiner Liebe nicht entgehen.“

Mela ist die Freundin von Markus, und weil sie ohnehin Absichten gehegt hat, Johannes für sich zu

gewinnen, geht ihre Liebeslogi­k auf. Dass Mela, die Raffiniert­e, als Siegerin aussteigt, überrascht nicht,

wenn man sich die Beschränkt­heit der Männer vor Augen hält.

Das Buch ist kurzweilig zu lesen, und es gibt sich engagiert, ohne je

verbiester­t zu wirken. Leider bietet der Schluss nur eine Verlegenhe­itslösung an. Es ist keine elegante Entscheidu­ng, alle sterben zu lassen, zumal Georg Thiel sich keineswegs

in einen Wirbel geschriebe­n hat, der ihm keinen anderen Ausweg gelassen hätte.

 ?? ?? Georg Thiel, „Nachtfahrt“, Roman, 239 Seiten, Verlag Braumüller, Wien 2022.
Georg Thiel, „Nachtfahrt“, Roman, 239 Seiten, Verlag Braumüller, Wien 2022.

Newspapers in German

Newspapers from Austria