Chaos an den Flughäfen
Jeden Sommer gerät die Luftfahrt an ihr Limit. Warum es heuer aber besonders schlimm ist.
WIEN. Sommerzeit ist Reisezeit. Für viele Reisehungrige bedeutet das nach zwei Jahren mit Coronabeschränkungen, dass es in diesem
Jahr wieder ein „Urlaub wie früher“sein muss, je nach persönlichen
Vorlieben etwa mit faulen Tagen am Strand, einem ehrgeizigen Sportprogramm oder viel Sozialleben mit durchgefeierten Nächten. Egal wo und wie man seinen Urlaub im Ausland gestaltet, vielfach gemeinsam ist den Reisen ins Ausland die Anund Abreise mit dem Flugzeug. Dabei kommt es immer wieder zu unerwarteten Problemen, ausgefallenen Flügen oder stundenlangen
Wartezeiten bei Sicherheitskontrollen oder beim Check-in.
Weil Fliegen außerdem für viele eine emotionale Sache ist, liegen dann oft die Nerven blank, wenn irgendetwas nicht funktioniert, wie es sollte. Wer in den vergangenen
Tagen und Wochen mit dem Flugzeug unterwegs war, kann oft ein Lied davon singen. Da berichten Reisende von Schreiduellen zwischen Passagieren und Bodenpersonal. Und da kann es schon auch vorkommen, dass eine krisenresistente und erfahrene Mitarbeiterin einer renommierten Fluggesellschaft un
vermittelt in Tränen ausbricht, als ein Pilot wegen eines dringenden
privaten Termins um eine Änderung in seinem Dienstplan ersucht. Immer öfter gibt es keinen Spielraum mehr für Änderungen. Zeitpläne und Mitarbeiter funktionieren am Limit, da ist für unvorhergesehene Probleme kein Platz mehr.
Wer aber ist schuld an dem Tohuwabohu an vielen Airports? Wo liegt der große Fehler? Die Antwort darauf ist komplex. Die Kurzfassung
lautet, es gibt ihn nicht, den ganz großen Fehler im System. Vielmehr treffen angesichts der massiv gestiegenen Nachfrage und des Hochfahrens der Kapazität mehrere Faktoren zusammen. Dazu kommt starkes Flugaufkommen. In Österreich
werden bis 3500 Flugbewegungen täglich erwartet, mehr als im Rekordjahr 2019.
Da ist zum einen der Mangel an qualifiziertem Personal. Wie viele andere Bereiche trifft der Fachkräftemangel auch die Luftfahrt – wo er sich unmittelbar in Form langer
Warteschlangen bei Sicherheitskontrollen oder beim Einchecken
niederschlägt. Keine andere Branche war so lange in Kurzarbeit wie das Flugpersonal. Und viele haben sich in Zeiten des erzwungenen Stillstands einen Job in einem anderen Bereich gesucht. Neue Kräfte sind nicht so leicht zu bekommen, sie müssen auch erst entsprechend eingeschult werden.
Jetzt zeigt sich, dass manche Planungen für den Sommer – die wichtigste Zeit für Airlines – zu optimistisch waren. So hat die AUA-Mutter Lufthansa bereits Anfang Juni bekannt gegeben, allein im Ferienmonat Juli rund 1000 geplante Flüge aus dem Programm nehmen zu
müssen. Als Grund nennt man „Personalmangel“– im eigenen Haus sowie bei Boden- und Flughafendienstleistern. Zusätzlich muss auch die Lufthansa-Tochter Eurowings „Hunderte Flüge“streichen. Ein Sprecher begründet das mit einer „Überlastung der Luftverkehrs-Infrastruktur“, die erfordere, dass „der Flugplan in Verkehrsspitzen konsolidiert“werden müsse.
Gerade an verkehrsstarken längeren Wochenenden wie Pfingsten oder Fronleichnam entfallen Flüge.
Dazu kommen Streiks bei zahlreichen Airlines. Aus Sicht von Belegschaftsvertretern ist der Zeitpunkt dafür nach langen entbehrungsreichen Krisenmonaten jetzt
günstig. Bereits am Montag dürfte in Belgien ein landesweiter Streik im Transportwesen zu Beeinträchtigungen auch in der Luftfahrt führen. Am 29. Juni wollen Pilotinnen
und Piloten der skandinavischen SAS in den Streik treten, weil Verhandlungen über einen neuen Kollektivvertrag seit Monaten im Sand
verlaufen. Der Pilotenverband wirft der Airline auch vor, während der Pandemie fast die Hälfte des Cockpitpersonals mit einer Wiedereinstellungszusage entlassen zu haben
– diese jetzt aber mit rechtlichen Schlupflöchern nicht einzuhalten.
Am kommenden Samstag wollen auch die italienischen Mitarbeiter
bei Ryanair und Malta Air die Arbeit niederlegen.
Auch die wieder aufflammende Coronapandemie kann Chaos
verursachen, weil für kurzfristig erkrankte Mitarbeiter nicht immer rechtzeitig Ersatz gefunden werden
kann, weil die Systeme bereits am Limit laufen. Schlimmstenfalls
müssten Flüge dann kurzfristig „gecancelt“werden.
Dazu kommen noch mögliche Fehlplanungen bei manchen Airlines selbst, einschließlich bewusst riskierter Überbuchungen, um die
verfügbaren – gegenüber der Vorcoronazeit ohnehin deutlich niedrigeren – Kapazitäten bestmöglich ausnutzen zu können.
Mix aus Personalmangel, Corona und Streiks