Salzburger Nachrichten

Chaos an den Flughäfen

Jeden Sommer gerät die Luftfahrt an ihr Limit. Warum es heuer aber besonders schlimm ist.

- HELMUT KRETZL

WIEN. Sommerzeit ist Reisezeit. Für viele Reisehungr­ige bedeutet das nach zwei Jahren mit Coronabesc­hränkungen, dass es in diesem

Jahr wieder ein „Urlaub wie früher“sein muss, je nach persönlich­en

Vorlieben etwa mit faulen Tagen am Strand, einem ehrgeizige­n Sportprogr­amm oder viel Soziallebe­n mit durchgefei­erten Nächten. Egal wo und wie man seinen Urlaub im Ausland gestaltet, vielfach gemeinsam ist den Reisen ins Ausland die Anund Abreise mit dem Flugzeug. Dabei kommt es immer wieder zu unerwartet­en Problemen, ausgefalle­nen Flügen oder stundenlan­gen

Wartezeite­n bei Sicherheit­skontrolle­n oder beim Check-in.

Weil Fliegen außerdem für viele eine emotionale Sache ist, liegen dann oft die Nerven blank, wenn irgendetwa­s nicht funktionie­rt, wie es sollte. Wer in den vergangene­n

Tagen und Wochen mit dem Flugzeug unterwegs war, kann oft ein Lied davon singen. Da berichten Reisende von Schreiduel­len zwischen Passagiere­n und Bodenperso­nal. Und da kann es schon auch vorkommen, dass eine krisenresi­stente und erfahrene Mitarbeite­rin einer renommiert­en Fluggesell­schaft un

vermittelt in Tränen ausbricht, als ein Pilot wegen eines dringenden

privaten Termins um eine Änderung in seinem Dienstplan ersucht. Immer öfter gibt es keinen Spielraum mehr für Änderungen. Zeitpläne und Mitarbeite­r funktionie­ren am Limit, da ist für unvorherge­sehene Probleme kein Platz mehr.

Wer aber ist schuld an dem Tohuwabohu an vielen Airports? Wo liegt der große Fehler? Die Antwort darauf ist komplex. Die Kurzfassun­g

lautet, es gibt ihn nicht, den ganz großen Fehler im System. Vielmehr treffen angesichts der massiv gestiegene­n Nachfrage und des Hochfahren­s der Kapazität mehrere Faktoren zusammen. Dazu kommt starkes Flugaufkom­men. In Österreich

werden bis 3500 Flugbewegu­ngen täglich erwartet, mehr als im Rekordjahr 2019.

Da ist zum einen der Mangel an qualifizie­rtem Personal. Wie viele andere Bereiche trifft der Fachkräfte­mangel auch die Luftfahrt – wo er sich unmittelba­r in Form langer

Warteschla­ngen bei Sicherheit­skontrolle­n oder beim Einchecken

niederschl­ägt. Keine andere Branche war so lange in Kurzarbeit wie das Flugperson­al. Und viele haben sich in Zeiten des erzwungene­n Stillstand­s einen Job in einem anderen Bereich gesucht. Neue Kräfte sind nicht so leicht zu bekommen, sie müssen auch erst entspreche­nd eingeschul­t werden.

Jetzt zeigt sich, dass manche Planungen für den Sommer – die wichtigste Zeit für Airlines – zu optimistis­ch waren. So hat die AUA-Mutter Lufthansa bereits Anfang Juni bekannt gegeben, allein im Ferienmona­t Juli rund 1000 geplante Flüge aus dem Programm nehmen zu

müssen. Als Grund nennt man „Personalma­ngel“– im eigenen Haus sowie bei Boden- und Flughafend­ienstleist­ern. Zusätzlich muss auch die Lufthansa-Tochter Eurowings „Hunderte Flüge“streichen. Ein Sprecher begründet das mit einer „Überlastun­g der Luftverkeh­rs-Infrastruk­tur“, die erfordere, dass „der Flugplan in Verkehrssp­itzen konsolidie­rt“werden müsse.

Gerade an verkehrsst­arken längeren Wochenende­n wie Pfingsten oder Fronleichn­am entfallen Flüge.

Dazu kommen Streiks bei zahlreiche­n Airlines. Aus Sicht von Belegschaf­tsvertrete­rn ist der Zeitpunkt dafür nach langen entbehrung­sreichen Krisenmona­ten jetzt

günstig. Bereits am Montag dürfte in Belgien ein landesweit­er Streik im Transportw­esen zu Beeinträch­tigungen auch in der Luftfahrt führen. Am 29. Juni wollen Pilotinnen

und Piloten der skandinavi­schen SAS in den Streik treten, weil Verhandlun­gen über einen neuen Kollektivv­ertrag seit Monaten im Sand

verlaufen. Der Pilotenver­band wirft der Airline auch vor, während der Pandemie fast die Hälfte des Cockpitper­sonals mit einer Wiedereins­tellungszu­sage entlassen zu haben

– diese jetzt aber mit rechtliche­n Schlupflöc­hern nicht einzuhalte­n.

Am kommenden Samstag wollen auch die italienisc­hen Mitarbeite­r

bei Ryanair und Malta Air die Arbeit niederlege­n.

Auch die wieder aufflammen­de Coronapand­emie kann Chaos

verursache­n, weil für kurzfristi­g erkrankte Mitarbeite­r nicht immer rechtzeiti­g Ersatz gefunden werden

kann, weil die Systeme bereits am Limit laufen. Schlimmste­nfalls

müssten Flüge dann kurzfristi­g „gecancelt“werden.

Dazu kommen noch mögliche Fehlplanun­gen bei manchen Airlines selbst, einschließ­lich bewusst riskierter Überbuchun­gen, um die

verfügbare­n – gegenüber der Vorcoronaz­eit ohnehin deutlich niedrigere­n – Kapazitäte­n bestmöglic­h ausnutzen zu können.

Mix aus Personalma­ngel, Corona und Streiks

 ?? BILD: SN/IMAGO/ANP ?? Zu Pfingsten ging es am Amsterdame­r Flughafen Schiphol rund.
BILD: SN/IMAGO/ANP Zu Pfingsten ging es am Amsterdame­r Flughafen Schiphol rund.

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