ÖVP-Chataffäre wurde zur Oper und lockte auf den Dorfplatz
Der Inhalt der Oper: Amtsbekanntes von Altkanzler Sebastian Kurz und Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid unter dem Titel „Der Prätorianer“.
ST. KOLOMAN. Am späten Samstagnachmittag bot sich in St. Koloman ein Bild, das man eher aus der Hofstallgasse in Salzburg
kennt: Hunderte Opernbesucher. Der Etikette zu urteilen jedoch
nicht für eine klassische Oper, eher für ein zeitgenössisches Schauspiel. Biochemikerinnen, Schlossbesitzerinnen, Hochschulmanagerinnen, Galeristinnen und Unternehmensberaterinnen eilten kurz vor Vorstellungsbeginn zu ihren Sitzplätzen. Heimische und Zugereiste trafen sich. „Wir sind aus St. Georgen im
Attergau und ein Verwandter spielt mit“, sagt Antonia MayrMelnhof. Auf den Eintrittskarten stand die Tischnummer, Platz genommen wurde auf Bierbänken. Den Spritzwein oder ein kühles Bier eines Salzburger Klosters gab es ums Eck, zur Mitnahme in die Oper. Oper in St. Koloman? Ja – zwischen Pfarrkirche, Gemeindeamt und Dorfwirtschaft. Auf dem Spielplan: „Der Prätorianer – oder die Zärtlichkeit des Thomas S.“. Eine gezielte Vorbereitung im Rahmen einer Literaturrecherche war seitens der Rezipientinnen und Rezipienten nicht notwendig. Der Inhalt: amtsbekannt. Kurz gesagt: Chats, Chats, Chats, zwischen Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid und Altkanzler Sebastian
Kurz. Natürlich: Es gilt auch diesen Samstagnachmittag die Unschuldsvermutung. In der Rolle des Ex-Kanzlers, auch optisch charakterisiert: Laura Rieger.
Und Anita Giovanna Rosati, die in die Rolle von Thomas S. schlüpfte, einen Slim-Fit-Anzug
vor sich und ein Fußballtrikot an sich trug.
Die Sängerinnen und Sänger kämpften mit der Akustik des Dorfplatzes, schafften es aber,
verständlich und mit stimmlicher Präsenz nahe am Publikum zu sein. Eine auf der Bühne dargestellte Chat- und Liebesbeziehung von Thomas S. und Sebastian K. sorgte für viele Lacher. Als dann die Krawatten und Slim-FitAnzüge fielen, sprangen zwei Puppenspieler für die Liebesszenen ein. „Kriegst eh alles, was du
willst.“Als Erzähler führte der Tenor und Regisseur des Stücks, Johannes Czernin, durch die Oper. Das Gewissen, Peter Godulla, der einzige Amateur im
Ensemble, rief in JedermannManier „Sebastian“über St. Koloman. „Sie haben eine laute Stimme gesucht und ich habe zugesagt.“
„Der Sebastian hat noch viele Befürworter im Ort.“Bürgermeister
Auch dem Ausflug von Kanzler Kurz in das freikirchliche Umfeld inklusive kollektiven Gebets wurde eine Szene gewidmet. Die Fesselung der Akteure an das Smartphone wurde mit Gurten
und übergroßen Handys dargestellt.
Der Orchestergraben befand sich im Eingangsbereich des Dorfgasthauses und bot Platz für
Violine, Violoncello, Kontrabass und Akkordeon. Die Bühne befand sich am Gasthofvorplatz,
bespielt wurde auch der Balkon. Das Publikum saß am sonst für den motorisierten Verkehr zugelassenen Dorfplatz. Bühne und Kostüme lagen in den Händen der gebürtigen Adneterin Elena
Scheicher. Die Chats von Sebastian Kurz und Thomas Schmid umrahmten musikalische Kompositionen von Tristan Schulze.
Die Idee für die Produktion, die auf der Commedia dell’Arte basiert, also der speziellen Form eines Volkstheaters, die von Profis auf Straßen und Märkten bis ins 18. Jahrhundert gespielt wurde,
um besonders nahe am Publikum zu sein, hatte Patrick Sellier. „Ich sah die eingesprochenen Chatprotokolle des Burgtheaters und
Die Oper als Video
finden Sie unter sofort kam mir die Idee.“Jedoch
habe er sich einen Sprechgesang gewünscht und sich diesen selbst erfüllt. Der Dorfwirt und Unternehmer sponserte auch den Opernnachmittag gemeinsam
mit Geschäftspartnern. Das Ziel der Initiatoren: Kultur an die Menschen zu bringen, mit Humor über heikle Themen und vor allem über Macht und Verantwortung zu sprechen.
Bürgermeister Herbert Walkner (ÖVP) erteilte die Freigabe für die Oper im Ort. Dass der Inhalt die ÖVP-Chats werden, habe er anfangs nicht gewusst. „Aber der Kultur alle Freiheit.“Der türkis
gefärbte ÖVP-Balken kam bei der Nationalratswahl 2019 in St. Koloman bei 68,1 Prozent zu stehen. „Wir sind zwar die schwarze ÖVP
geblieben, haben aber Sebastian immer unterstützt.“Er habe auch noch heute viele Befürworterinnen und Befürworter in der Gemeinde. Der Ex-Bundeskanzler
habe vieles richtig gemacht. „Wie es halt so ist, sucht die politische
Konkurrenz nach Dingen, die eine Angriffsfläche bieten.“Der
Bürgermeister versichert: In der Gemeinde gibt es keine Chats. Er sei auch erst seit drei Monaten auf Facebook und kommuniziere nur Dinge, die Inhalte der Gemeinde betreffen. Auf den autofreien Dorfplatz war der Bürgermeister an diesem Abend besonders stolz. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass uns das immer gelingt.“
Zurück zur Produktion: Standing Ovations gab es erst mit Nachdruck einiger Gäste. Das lag
wohl auch am lauen Sommerabend
und an den Bierbänken, die noch bis spätabends bevölkert wurden. Das Publikum zeigte sich in der Kritik danach begeistert.
Die Organisatoren und das Ensemble hoffen auf weitere Auftrittsmöglichkeiten. Anfragen gebe es schon aus Bad Gastein und St. Georgen im Attergau. „Unser Wunschort wäre natürlich Wien“, sagt Sellier.